„Es verändern sich fast alle Bestandteile“: Wie das Coronavirus unsere Zellen umbaut
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Das Coronavirus verschafft sich mithilfe des Spike-Proteins Zutritt zu menschlichen Zellen.
© Quelle: Pixabay
Herr Prof. Bartenschlager, ich würde gern mit Ihnen den „Infektionsweg des Coronavirus“ skizzieren. Wir wissen, dass Sars-CoV-2 über die Atemwege in den menschlichen Körper gelangt. Wie verschafft sich der Erreger dann Zutritt zu den Zellen?
Sars-CoV-2 nutzt – wie andere Viren auch – einen Rezeptor. Also eine Art Antenne, an die das Virus andocken kann. Diese Antenne ist der ACE2-Rezeptor, der auf der Oberfläche unterschiedlicher Zellen zu finden ist und an den das Virus mithilfe des Spike-Proteins, das an der Oberfläche des Viruspartikels sitzt, binden kann. Wenn das passiert, verschmilzt entweder die Membranhülle des Virus mit der Membran der Zelle, so dass der Erreger sein Erbgut in das Zellinnere freisetzen kann.
Oder das Virus löst an der Stelle, an der es an den ACE2-Rezeptor gebunden hat, die Einstülpung der Zellmembran nach innen aus, so dass das Virus zunächst in einer Art Transportbläschen aufgenommen wird. Die Membran dieses Bläschens verschmilzt danach mit der Membranhülle des Virus, so dass auch auf diesem Weg das Erbgut des Erregers in das Zellinnere gelangt.
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Prof. Ralf Bartenschlager ist Leiter der Abteilung Molekulare Virologie an der Universität Heidelberg und Präsident der Gesellschaft für Virologie.
© Quelle: Privat
Und dann folgt der Moment, den Sie in Zusammenarbeit mit Yannick Schwab vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie und weiteren Kollegen der Universität Heidelberg genauer untersucht haben. Das genetische Material des Virus befindet sich im Zellinneren …
Wenn das Genom des Virus – also das Erbgut – in der menschlichen Zelle ist, wird es zunächst abgelesen. Das heißt, die viralen Proteine werden hergestellt. Diese programmieren dann die Zelle um; sie wird zweckentfremdet zur Herstellung neuer Viruspartikel. Dieses Umprogrammieren ist typisch für Viren, nicht nur für Sars-CoV-2, wobei sich die Art und das Ausmaß des Zellumbaus zwischen den Viren sehr stark unterscheidet. Wir haben gefunden, dass Sars-CoV-2 die infizierten Zellen besonders intensiv umbaut.
Inwiefern?
Schon sechs Stunden nach der Infektion konnten wir kleine Membranbläschen in den Zellen sehen. Zuerst sind nur wenige vorhanden, aber je weiter die Infektion voranschreitet, desto mehr Bläschen werden gebildet. Um die Hüllen dieser Bläschen zu entwickeln, macht sich das Virus das Endoplasmatische Retikulum zunutze. Das ist ein Membransystem, das die gesamte Zelle durchzieht.
Wofür sind diese Bläschen gut?
In diesen Bläschen vermehrt sich das virale Erbgut. Der Vorteil dabei ist, dass das Erbgut vor den Abwehrmechanismen der Zelle gut abgeschirmt ist. Denn die Zellen erkennen normalerweise sofort, wenn sich etwas Fremdes im Inneren befindet. Dann wird ein Abwehrprogramm ausgelöst, das die Zelle weitgehend resistent gegen Virusinfektionen macht. Durch die Abschirmung mithilfe der Membranbläschen schafft es das Coronavirus, dass diese wichtige Abwehr nur ungenügend ausgelöst wird.
Besonders auffällig waren massive Veränderungen des Cytoskeletts – also des Fasernetzwerks, das für die Stabilität und Form der Zellen zuständig ist.
Prof. Ralf Bartenschlager,
Leiter der Abteilung Molekulare Virologie an der Universität Heidelberg
Ist das die einzige Veränderung, die Sie feststellen konnten?
Im Prinzip verändern sich fast alle Zellbestandteile. Am deutlichsten ist die Veränderung des Endoplasmatischen Retikulums. Aber auch der Golgi-Apparat wird umgebaut – genauer gesagt zerfällt er später in einzelne, kleine Bestandteile. Der Golgi-Apparat ist ein System in der Zelle, das normalerweise für das Ausschleusen von Substanzen aus der Zelle zuständig ist. Sars-CoV-2 baut dieses Zellorganell so um, dass es die Hüllen der neuen Viren produziert und die Viruspartikel dann ausschleust.
Zudem konnten wir strukturelle Veränderungen der Mitochondrien beobachten. Ihre Funktion als Energielieferanten wird jedoch nicht so stark beeinträchtigt. Besonders auffällig waren aber massive Veränderungen des Cytoskeletts – also des Fasernetzwerks, das für die Stabilität und Form der Zellen zuständig ist.
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Wie kommt es dazu?
Das liegt zum Teil an Verdrängungsprozessen. Denn sobald viele Membranbläschen in den Zellen entstanden sind, in denen sich das virale Erbgut vermehrt, werden andere Bestandteile wie das Cytoskelett verdrängt. Es ist schlichtweg kaum noch Platz in der Zelle. Das Cytoskelett bildet dann eine Ringstruktur um diese Membranbläschen.
Also wie eine Art schützender Käfig.
Wenn Sie so wollen, ja. Es kann eine Schutzfunktion haben, kann aber auch ein Nebeneffekt der Verdrängungsprozesse sein. Wenn wir einzelne Bestandteile dieses Cytoskeletts hemmen, dann können wir damit teilweise die Virusvermehrung beeinflussen, teilweise hat es aber auch gar keinen Effekt, je nachdem, welchen Teil des Cytoskeletts wir hemmen. Wir nehmen deshalb an, dass bestimmte Bestandteile des Cytoskeletts für die Vermehrung von Sars-CoV-2 notwendig sind.
Das Virus verursacht massive Zelländerungen, die Zellen sterben innerhalb weniger Tage ab, vergleichbar mit einem aggressiven Trojaner, der die Festplatte blockiert und zerstört.
Prof. Ralf Bartenschlager,
Leiter der Abteilung Molekulare Virologie an der Universität Heidelberg
Ist dieser Umbauprozess in den Zellen denn typisch für Viren?
Ja, aber es gibt ein breites Spektrum. Dabei muss man auch zwischen akuten und chronischen Virusinfektionen unterscheiden. Bei chronischen Infektionen gibt es in der Regel eher subtile Veränderungen, so dass die Zellen relativ lange mit den Viren leben können. Die Erreger nutzen also die menschlichen Zellen aus wie ein moderater Trojaner, der sich in den Computer einschleicht, diesen aber nicht stark beeinflusst. Sars-CoV-2 verursacht hingegen einen akuten Infekt und ist recht aggressiv. Das heißt, das Virus verursacht massive Zelländerungen, die Zellen sterben innerhalb weniger Tage ab, vergleichbar mit einem aggressiven Trojaner, der die Festplatte blockiert und zerstört.
Wie kommt es dazu?
Weil die Anzahl und das Ausmaß der Zellveränderungen mit der Zeit so stark zunehmen und die Zelle so stark beeinträchtigt ist, dass sie quasi den Geist aufgibt. Das nennt sich Apoptose. Die Zelle schaltet ein Selbstmordprogramm ein und stirbt dann ab. Nach dem Motto: Ich habe so viele Veränderungen, die ich nicht mehr kontrollieren kann, dass ich lieber Schluss mache. Und dieses Selbstmordprogramm leiten Zellen immer dann ein, wenn alle Regelmechanismen versagen, die die Zellstörungen beheben sollen.
Ich persönliche vermute, dass diese Umbauprozesse auch in anderen Zellen in analoger Weise stattfinden.
Prof. Ralf Bartenschlager,
Leiter der Abteilung Molekulare Virologie an der Universität Heidelberg
Damit schneidet sich das Coronavirus aber ins eigene Fleisch. Denn eigentlich müsste es das Ziel haben, seine Wirtszelle so lange wie möglich am Leben zu behalten, um Viren zu produzieren.
Korrekt. Die erfolgreichsten Viren sind diejenigen, die sich gut vermehren, ohne den Wirt zu beeinflussen. Ein Beispiel dafür wären Hepatitisviren. Sars-CoV-2 verändert hingegen die Zellen so stark, dass diese als Folge der Infektion absterben. Deshalb muss das Coronavirus innerhalb kurzer Zeit jede Menge neuer Viren produzieren, die dann die nächsten Wirtszellen infizieren.
Sie haben diese Umbauprozesse bei Lungenzellen beobachtet. Sind diese Vorgänge denn auch auf andere Zellen übertragbar?
Das ist das nächste, was wir untersuchen wollen. Ich persönlich vermute, dass diese Umbauprozesse auch in anderen Zellen in analoger Weise stattfinden. Zum Beispiel in Herzmuskelzellen oder Zellen von Blutgefäßen. Auch dort würde ich ähnliche Strukturänderungen erwarten.
Wieso ist es eigentlich wichtig zu verstehen, was im Inneren der menschlichen Zellen passiert, sobald Sars-CoV-2 dort eingedrungen ist?
Das ist zum einen wichtig, um zu verstehen, warum die Zellen so schnell absterben und welche zellulären Veränderungen dem Zelltod vorausgehen. Und zum anderen bilden diese Informationen die Grundlage für weitere Forschungsarbeiten, die der Frage nachgehen, welche viralen und zellulären Faktoren die Veränderungen verursachen. Wenn wir diese Faktoren kennen, können wir Angriffsziele identifizieren, die für eine Therapie wichtig sind. Wir wissen zum Beispiel aus anderen Studien, dass die Entstehung der Membranbläschen relativ anfällig für eine antivirale Therapie ist. Zudem gibt es gewisse Ähnlichkeiten zwischen Sars-CoV-2 und dem Hepatitis-C-Virus.
Inwiefern?
Obwohl beide Viren nichts miteinander zu tun haben, treten beim Hepatitis-C-Virus sehr ähnliche Veränderungen in den infizierten Zellen auf. Auch dieses Virus nutzt das Endoplasmatische Retikulum, um Membranbläschen zu bilden, in denen sich das virale Erbgut vermehrt. Diese Bläschen ähneln auffällig denen von Sars-CoV-2. Wir haben deshalb geschaut, ob Faktoren, die im Fall von Hepatitis-C für die Bildung der Membranbläschen eine Rolle spielen, auch bei Sars-CoV-2 von Bedeutung sind. Die Antwort lautet: ja.
Was bedeutet das?
Das heißt, wir können direkt diese Faktoren im Kontext von Sars-CoV-2 testen – mit der Frage, ob die Hemmung dieser Faktoren auch bei Sars-CoV-2 einen antiviralen Effekt hat. Das ist natürlich aus therapeutischer Sicht interessant. Denn sollten wir bestimmte zelluläre Faktoren finden, die für verschiedene Viren gleichermaßen benötigt werden, ist das eigentlich ein sehr gutes Angriffsziel für ein Breitband-Virostatikum. Denn bei Virusinfektionen gibt es – anders als bei antibakteriellen Infekten – bisher für jedes Virus nur einen bestimmten Wirkstoff.
Die Idee ist jetzt, dass wir die Gemeinsamkeiten der Viren ausnutzen, wenn es darum geht, wie sie bestimmte zelluläre Mechanismen gleichermaßen für ihre Vermehrung ausnutzen. Wir könnten also an diesen Zellmechanismen angreifen und verhindern, dass Viren diese zweckentfremden – und damit über verschiedene Virusarten hinweg einen Therapieansatz entwickeln. Das wäre ein Ansatz, mit dem man sich auch für zukünftige Pandemien wappnen könnte, indem man einen Wirkstoff hat, der zum Beispiel nicht nur Sars-CoV-2 hemmt, sondern alle Coronaviren. Auch wenn das bisher noch Zukunftsmusik ist, halte ich es für einen vielversprechenden Ansatz.