Erinnerung an den 11. September: Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
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Rettungsteams suchen sechs Tage nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den Trümmern des World Trade Centers nach Überlebenden.
© Quelle: imago/ZUMA Press
Auch nach 20 Jahren wissen noch fast alle genau, was sie an jenem 11. September 2001 getan haben. Wir können nicht nur die Bilder der einstürzenden Türme ohne Weiteres aus dem Gedächtnis abrufen, sondern auch, wo und mit wem wir die Ereignisse im Fernsehen und im Internet verfolgt haben. Details, die wir normalerweise viel schneller vergessen würden. Wie ist es möglich, dass unsere Erinnerung auch nach so langer Zeit noch so stark ist?
Unangenehme Ereignisse werden allgemein besser erinnert, erklärt Hans Markowitsch. Der emeritierte Psychologieprofessor ist auf die Erforschung des menschlichen Gedächtnisses spezialisiert: „Das liegt daran, dass es in der Steinzeit einen Überlebensvorteil bedeutet hat, mögliche Gefahren wiederzuerkennen.“ Für positive Situationen gelte das hingegen weniger. „Evolutionsbiologisch sind wir auf negativ geprägt“, sagt Markowitsch.
Der 11. September sei für viele ein so einschneidendes Erlebnis gewesen, weil es so unerwartet kam. „Viele Menschen hatten noch nichts Vergleichbares erlebt und fühlten sich am ehesten an eine Kriegssituation erinnert. Dazu kam die Unsicherheit, man wusste zunächst nicht, was noch passiert und ob zum Beispiel der amerikanische Präsident überlebt hatte.“
Erinnerung muss nicht immer stimmen
Immer wenn wir etwas wahrnehmen, was bedrohlich ist, werde die Amygdala aktiviert, eine Kernstruktur im Gehirn. „Es werden besonders viele Stresshormone ausgeschüttet, die Erinnerung brennt sich ein und wird in den Schläfenlappen gespeichert“, erklärt der Gedächtnisforscher. Bei einem besonders intensiven Erlebnis könne es später zu Flashbacks kommen, einem wiederholten Erleben der Situation. Dies könnte zum Beispiel Menschen betreffen, die den Anschlag unmittelbar miterlebten – und nicht, wie die meisten, nur vor dem Fernsehen.
Wie viele erinnert sich auch Markowitsch noch daran, was er selbst am 11. September getan hat, wie er mit dem Auto unterwegs war und im Radio von den Anschlägen hörte. In seinem Gedächtnis ist dieser Tag sehr genau abgespeichert und er ist sich sicher, dass die Erinnerung stimmt. Genauso geht es auch den meisten anderen Menschen: Sie können scheinbar exakt aus ihrem Gedächtnis abrufen, was sich zugetragen hat, bevor und nachdem sie von den Terror-Attacken erfuhren. Doch selbst wer sich präzise zu erinnern meint, könne sich täuschen, sagt Markowitsch. „Es gibt große Untersuchung, in denen Menschen zwei Jahre und fünf Jahre nach dem 11. September befragt wurden und sich deren Erinnerungen deutlich unterschieden“, sagt der Gedächtnisforscher. Das gelte auch für den damaligen US-Präsidenten George W. Bush, der den Moment, in dem er von der Ereignissen erfuhr, später immer wieder unterschiedlich geschildert hat.
Erinnert wird das, was lebenswichtig ist
Es sei eine normale Funktion des Gedächtnis, dass detaillierte Erinnerungen nach einiger Zeit nicht mehr korrekt sind. Die Erinnerung an die Gefühle aber bleibe: „Brisant ist immer das Emotionale“, sagt Markowitsch. Eine Möglichkeit, sein Gedächtnis zu überprüfen, sei, sich mit denjenigen auszutauschen, mit denen man den 11. September 2001 verbracht hat. Oft genug bemerke man bei solchen Gelegenheiten, dass sich jeder anders erinnert.
Bertram Gerber leitet die Abteilung „Genetik von Lernen und Gedächtnis“ am Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg (LIN). Bei Erinnerungen, die Ereignisse rund um eine als dramatisch empfundene Situation betreffen, spreche man auch vom episodischen Gedächtnis, erklärt der Professor. „Das beinhaltet Details dazu, was man wann, wo oder auch mit wem erlebt hat“, sagt Gerber.
„Solche Metadaten werden nur dann gespeichert, wenn ein Ereignis als besonders einschneidend empfunden wird. Deshalb erinnern sich noch die meisten Menschen daran, wie und wann sie von den Anschlägen des 11. September erfahren haben, nicht aber daran, wann sie zum ersten Mal von der dritten binomischen Formal gehört haben.“
Auch das episodische Gedächtnis sei aber bei weitem nicht perfekt. Die Metadaten, die wir uns rund um die Ereignisse vom 11. September gemerkt haben, stimmten nicht immer, sagt Gerber, genau wie Markowitsch. Das liege an der Funktionsweise des Gehirns: „Unser Gedächtnis ist nicht dazu da, die Vergangenheit abzubilden, sondern im nächsten Moment das Richtige zu tun. Es ist so gebaut, dass wir uns an das erinnern, was lebenswichtig ist.“ Richtig erinnert werde daher das Wahrnehmen einer Gefahr – nicht unbedingt das, was sich sonst noch zugetragen hat.