Depressionen: Wie Betroffene die Corona-Pandemie erleben – und was ihnen hilft
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Die Zahl der Menschen, die tatsächlich wegen der Corona-Krise an einer Depression erkranken, schätzt Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Deutschen Depressionshilfe, als gering ein. Entscheidend für die Entstehung einer Depression sei die Veranlagung.
© Quelle: Free-Photos auf Pixabay
Eine Depression ist mehr, als nur traurig oder schlecht drauf zu sein. Um zu verstehen, wie sich die Erkrankung anfühlt, muss man sie selbst erlebt haben, sagen viele Betroffene. Selbst für Lena Ulrich, die schon seit vielen Jahre mit Depressionen zu kämpfen hat, ist das Gefühl an guten Tagen schwer zu greifen. Menschen, die noch keine Erfahrungen mit Depressionen gemacht haben, beschreibt sie ihre Krankheit so: „Wenn ich in einer mittelschweren oder schweren Depression bin, dann ist das die Hölle", sagt Ulrich. Es fühle sich so an, als würde alles brennen und als wäre alles schrecklich. „Das wünscht man wirklich keinem Menschen dieser Welt.“
Betroffene über Depressionen: „Ein Dauerzustand, der über Wochen und Monate anhält“
Man möchte sich in diesem Zustand der Schwäche nicht der Welt zeigen.
Georg Kepkowski
„Ein gutes Bild“, findet auch Georg Kepkowski, der zusammen mit Ulrich als Betroffener in einer von der Deutschen Depressionshilfe und der Deutsche Bahn Stiftung organisierten Pressekonferenz zur neuen repräsentativen Befragung „Deutschland-Barometer Depression“ zu Wort kommen. Der Frührentner kämpft schon seit seinem 20. Lebensjahr mit der psychischen Erkrankung. Herbstblues, depressive Verstimmungen oder einfach schlecht drauf zu sein – solche Tage kennen viele, auch nicht an Depressionen erkrankte Menschen. „Doch für uns ist das ein Dauerzustand, der über Wochen und Monate anhält“, berichtet Kepkowski. Soziale Kontakte vermeidet er in schweren Phasen – er möchte sich niemandem aufzwingen. „Man möchte sich in diesem Zustand der Schwäche nicht der Welt zeigen“, sagt er.
Lockdown belastet an Depressionen Erkrankte stärker
Das „Deutschland-Barometer Depression“ ist eine Untersuchung der Deutschen Depressionshilfe, die jährlich rund 5000 Menschen zwischen 18 und 69 Jahren befragt. Der Schwerpunkt der diesjährigen repräsentativen Befragung war die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen für die psychische Gesundheit. Die Studie zeigt, dass Menschen mit Depressionen in Deutschland stärker von den Folgen der Corona-Maßnahmen betroffen sind als die Allgemeinbevölkerung. Rund drei Viertel (74 Prozent) der an Depressionen Erkrankten empfanden demnach den Lockdown im Frühjahr als bedrückend, während es in der Allgemeinbevölkerung 59 Prozent gewesen sind. Menschen mit Depressionen zogen sich im Vergleich zudem häufiger weitgehend zurück (67 Prozent versus 43 Prozent) und machten sich mehr Sorgen um ihre berufliche Zukunft (41 Prozent versus 28 Prozent).
Experte schätzt Zahl der durch Corona-Pandemie ausgelösten Depressionen gering ein
„Eine unserer Kernbotschaften ist: Depressionen können jeden treffen“, sagt Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Deutschen Depressionshilfe. Das zeigt auch das Barometer: Die Aussage, dass eine Depression jeden Treffen kann, fanden 95 Prozent der Befragten als völlig oder eher zutreffend. Doch die Zahl der Menschen, die tatsächlich wegen der Corona-Krise an einer Depression erkrankten, schätzt Hegerl als gering ein. „Entscheidend für die Entstehung einer Depression ist die Veranlagung. Wenn man eine Veranlagung hat, kann es einem noch so gut gehen, man kann das beste Umfeld haben – man rutscht trotzdem wieder rein“, sagt Hegerl. Der Einfluss von äußeren Faktoren werde oft von Laien, aber auch von Ärzten überschätzt. Zudem gibt Hegerl zu Bedenken, dass sich viele Menschen nicht der Tatsache bewusst sind, dass es sich bei einer Depression um eine Erkrankung des Gehirns handelt.
Corona-Krise reißt Menschen mit Depressionen in weitere Krise
Die Unsicherheiten, wie es jetzt weitergeht mit dem Virus und den Maßnahmen, haben mich in eine sehr hilflose Situation gebracht.
Lena Ulrich
Doch der Lockdown hat viele Menschen in ein weiteres tiefes Loch fallen lassen, die auch bereits vor der Pandemie an einer Depression litten. Bevor die Krise losging, befand sich Kepkowski auf einem guten Weg. Er war in therapeutischer Behandlung, und hatte Anlaufstellen mit denen die Situation gut zu bewältigen war, berichtet er. Dies änderte sich mit dem Lockdown im Frühjahr: „Bei mir sind viele Bausteine weggebrochen. Zum einen hat die Selbsthilfegruppe nicht mehr stattgefunden, zum anderen waren auch soziale Kontakte zu Freunden und Familie sehr eingeschränkt“, berichtet Kepkowski. Er bekam einen „Depressionsschub“.
Ähnliches erlebte auch Ulrich: „Vorher habe ich einen guten Weg gefunden, mit der Krankheit zu leben“, berichtet sie, „doch dieser Weg steht auf bestimmten Pfeilern – zum Beispiel meinem Beruf, meiner Struktur im Alltag, meinem sozialen Leben mit Freunden.“ Doch im Zuge des ersten Lockdown brach alles zusammen: Als Freiberuflerin musste sie zunächst einstecken, dass wenige bis gar keine Aufträge mehr reinkamen. Das habe dazu geführt, dass sie keine beruflichen Kontakte mehr hatte. Auch ihre sozialen Kontakte wurden extrem reduziert – und die Fitnessstudios wurden geschlossen. „Es hat mich sehr unerwartet getroffen. Auch die Unsicherheiten, wie es jetzt weitergeht mit dem Virus und den Maßnahmen, haben mich in eine sehr hilflose Situation gebracht“, erinnert sich Ulrich. So sei sie in einer recht starken und längeren depressiven Episode gelandet.
Digitale Angebote: Therapeutische Videosprechstunden werden beliebter
Die Corona-Krise hat digitalen Angeboten laut Hegerl einen Schub gegeben. „Unser Gesundheitssystem hat gut und rasch [auf die Pandemie, Anm. d. Red.] mit digitalen Angeboten reagiert“, betont Hegerl. So boten viele Psychotherapeuten zum Infektionsschutz Video- und Telefonsprechstunden an, die auch genutzt wurden: In der Befragung gaben 10 Prozent der Menschen mit Depressionen an, dass sie in der Krise zum ersten Mal solche Sprechstunden in Anspruch nahmen. Selbsthilfe-Tools wie „Ifightdepression“ von der Deutschen Depressionshilfe verzeichneten einen rasanten Anstieg seiner Nutzer. Auch Ulrich und Kepkowski nutzten das Angebot und machten positive Erfahrungen mit dem Online-Tool.
Viele Betroffene und Psychotherapeuten stehen Sprechstunden per Video und Telefon meist zwar kritisch gegenüber, jedoch waren die Erfahrungen laut Hegerl erfreulich, die mit solchen Angeboten gemacht wurden: 85 Prozent der Befragten bewerteten Videosprechstunden als positiv und 82 Prozent gaben an, mit Telefonsprechstunden positive Erfahrungen gemacht zu haben. Auch Ulrich, die vorher keine Erfahrungen damit hatte, war positiv von der Videosprechstunde überrascht: „Es war eine sehr nette Atmosphäre. Ich habe dabei auch angefangen, mehr Sachen mitzuschreiben – das habe ich auch in meine Vor-Ort-Therapie mitgenommen“, sagt Ulrich.
An der Qualität der Videosprechstunden bemängelte Hegerl jedoch, dass die Behandlung vor allem dann problematisch sein kann, wenn es sich um die ersten Sitzungen des Betroffenen handelt: „Wenn man sich noch nicht gesehen hat und noch kein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat [...], dann ist es skeptisch zu sehen“, sagt er. Gerade „krisenhafte Zuspitzungen“ wie eine Suizidgefährdung könnten so nicht immer gut erkannt werden. Hegerl schätze die Chance höher sein, solche Krisen zu erkennen, wenn sich Therapeut und Patient gegenübersitzen und in die Augen schauen.
Betroffene über zweiten Lockdown: „Fühle mich wieder besser vorbereitet“
Im Zuge des zweiten Lockdowns blicken Ulrich und Kepkowski wieder positiver in die kommenden Wochen. „Über den Sommer habe mir wieder einiges an Struktur in mein Leben geholt,“ sagt Ulrich. „Ich fühle mich wieder besser vorbereitet.“ Sie habe sich auf einen weiteren Lockdown eingestellt und ihr Leben dementsprechend umgestellt. Anstelle vom Training im Fitnessstudio geht sie jetzt joggen, was unabhängig vom Lockdown möglich ist. Außerdem verbringt sie ihre Freizeit eher mit einem Spieleabend statt im Restaurant. So hält sie ihre sozialen Kontakte auch im Lockdown noch stabil. Auch die Erfahrungen darüber, was ihr hilft und was nicht, macht sie sich zunutze: „Mir hilft es zum Beispiel nicht, mir mehrmals am Tag die Corona-News anzuschauen“, berichtet Ulrich. Stattdessen informiert sie sich täglich maximal zehn Minuten über das aktuelle Corona-Geschehen. Dieser Weg hilft auch Kepkowski, der außerdem darauf achtet, Nachrichten über Corona-Leugner „auszublenden“: „Das lasse ich auch nicht an mich rankommen“, sagt er.
Hilfe für Betroffene
Haben Sie Suizidgedanken? Dann wenden Sie sich bitte an folgende Rufnummern:
Telefonhotline (kostenfrei, 24 h), auch Auskunft über lokale Hilfsdienste:
(0800) 111 0 111 (ev.)
(0800) 111 0 222 (r.-k.)
(0800) 111 0 333 (für Kinder / Jugendliche)
E-Mail unter www.telefonseelsorge.de