Corona: Ungewollt Schwangeren droht Notlage – Signal von der Politik gefordert

Demonstration gegen die Regelung in Paragraf 219a, in dem das Werbeverbot für Abtreibungen festgeschrieben ist.

Demonstration gegen die Regelung in Paragraf 219a, in dem das Werbeverbot für Abtreibungen festgeschrieben ist.

Hannover. Frauen, die derzeit ungewollt schwanger werden, können leicht in Bedrängnis geraten: Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist während der Corona-Krise noch schwerer als sonst. Pro Familia hatte deshalb schon im März von der Politik gefordert, zu handeln und Hürden abzubauen. Defizite in der Versorgung habe es vorher schon gegeben, nun drohe wirklich ein gravierender Engpass.

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Auch die Gießener Ärztin Kristina Hänel unterstützt diese Forderung. Sie gehört zu den wenigen Ärzten, die in Deutschland noch Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Weil sie das auf ihrer Internetseite erwähnt hatte und medizinische Informationen dazu anbot, hatten radikale Abtreibungsgegner sie verklagt. Denn das ist gemäß § 219a, einem bis heute gültigen Paragrafen aus der Nazi-Zeit, verboten: Es wird als Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ausgelegt. Frauen, die einen Arzt für einen Schwangerschaftsabbruch suchen, hatten daher schon lange Probleme, diesen zu finden. Und trotz bundesweiter Proteste im vergangenen Jahr wurde § 219a bisher nicht gestrichen, sondern nur geringfügig geändert.

Es gibt eine Liste – aber sie ist nicht vollständig

Nun gibt es zwar auf der Internetseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine Adressliste. Doch schon vor Corona-Zeiten war diese Lösung nicht ideal: “Die Liste ist nämlich unvollständig, weil längst nicht alle Ärzte darin aufgenommen werden möchten”, sagt Hänel. Der Grund: Fanatische Abtreibungsgegner können das nutzen, um die Ärzte darauf mit Schmähungen und Drohungen zu überziehen. Hänel erlebt solche Anfeindungen seit Jahren.

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Auch können Frauen der Liste nicht entnehmen, mit welcher Methode ein Arzt arbeitet und bis zu welchem Zeitpunkt er Abbrüche vornimmt: “Manche machen es zum Beispiel nur bis zur achten oder neunten Woche nach Empfängnis”, sagt Hänel. Der Schwangerschaftsabbruch ohne medizinischen Grund ist in Deutschland strafbar und wird nur bis zur zwölften Woche nach Empfängnis toleriert, wenn Frauen ein Beratungsgespräch absolvieren und danach drei Tage verstreichen lassen.

Ist ein Schwangerschaftsabbruch so einfach aufschiebbar?

Momentan sind die Listen noch weniger hilfreich, sagt Hänel. “Denn die ohnehin wenigen Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, gehören wegen ihres Alters oft zur Risikogruppe und schließen die Praxen. Und es gibt tatsächlich Krankenhäuser, die Schwangerschaftsabbrüche derzeit mit der Begründung ablehnen, es handele sich um keinen dringlichen Eingriff.” Tatsächlich wurden Verordnungen erlassen, wonach aufschiebbare Operationen warten sollten, um vorsorglich Plätze für mögliche Corona-Patienten frei zu halten. Nur, dass ein Schwangerschaftsabbruch eben nicht einfach noch ein halbes Jahr später erfolgen kann – wie vielleicht eine Knie-OP.

Den meisten gelinge es trotzdem, einen Arzt oder eine Klinik zu finden. Es gebe aber auch Patientinnen, die schon 20 Ärzte abtelefoniert haben, bevor sie zu Hänel kommen – und schon anfingen, zu verzweifeln.

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Die Bürokratie belastet Menschen mit geringem Einkommen

Pro Familia und andere Organisationen hatten daher gefordert, zumindest vorübergehend die Bürokratie zu erleichtern. Und immerhin können Frauen die vorgeschriebene Beratung vor dem Schwangerschaftsabbruch derzeit online in Anspruch nehmen, die Bescheinigung darüber wird digital ausgestellt. In Zeitnot geraten können aber Betroffene mit geringem Einkommen, die das Recht auf eine Kostenübernahme haben – und darauf angewiesen sind.

Sie müssen zunächst per Post ein Formular anfordern, dieses dann an die Kasse senden und anschließend auf die Rückmeldung warten. So können wertvolle Tage verstreichen. Doch bis heute gibt es Krankenkassen, die das Formular nicht online zur Verfügung stellen wollen. Angeblich aus Datenschutzgründen, dabei handelt es sich um ein Blankoformular.

“Eine meiner Patientinnen befand sich schon in der zwölften Woche und die Krankenkasse hatte ihren Antrag immer noch nicht bearbeitet. Ich musste erst selbst dort angerufen“, erzählt Hänel. Einige Ärzte nehmen 900 bis 1000 Euro für einen Schwangerschaftsabbruch. Wenn die Krankenkassen die Bewilligung nicht rechtzeitig verschicken, bleibt den Frauen nichts übrig, als diese selbst zu bezahlen – was sie womöglich nicht können.

Hänel sorgt sich um die Frauen, denen aus all diesen Gründen der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch erschwert ist. “Wir wissen aus Ländern, in denen Abbrüche nicht möglich sind, dass es einige Schwangeren dann zu Hause selbst versuchen oder sogar Selbstmord begehen.”

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So haben andere Staaten reagiert

Andere europäische Staaten haben längst reagiert und für ungewollt Schwangere Sonderregeln während der Corona-Krise erlassen. So können Frauen in Großbritannien einen Schwangerschaftsabbruch mit einem Medikament vornehmen und werden dabei von einem Arzt telemedizinisch begleitet. In Deutschland wissen viele Patientinnen wegen des Informationsverbots nicht einmal, dass ein Abbruch mit Medikamenten möglich ist – und unterziehen sich unnötig oft einer unangenehmen Ausschabung.

In den Niederlanden sind Schwangerschaftsabbrüche ohnehin länger, nämlich bis zur 24. Woche nach Empfängnis, möglich. Noch Anfang der 70er-Jahre war das Nachbarland die letzte Rettung für deutsche Frauen, die ungewollt schwanger wurden: Ehe die Frauenbewegung zumindest eine teilweise Legalisierung der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland erreichte. Nun deute einiges darauf hin, dass Frauen wegen der schlechten Versorgungslage in Deutschland wieder vermehrt ins Nachbarland fahren müssen, sagt Heike Spohr, die das Aktionsbündnis Gießen initiiert hat, das sich für die Streichung des § 219a und die Rechte ungewollt Schwangerer einsetzt.

Was Aktivisten von der Politik verlangen

Auch Spohr sagt: Die ohnehin schon schwierige Lage Betroffener hat sich zu Corona-Zeiten noch verschärft. Daher müsse die Politik nun handeln: “Schon vor Ausbruch des Virus ist sie ihrer Verantwortung nicht nachgekommen, Frauen ausreichend Zugang zu diesem Teil der Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Dass nun auch noch Krankenhäuser mit der Begründung Corona keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen wollen, geht gar nicht.” Spohr fordert ein klares Signal von Gesundheitsminister Jens Spahn: “Er sollte den Krankenhäusern endlich die klare Vorgabe machen, dass ein Schwangerschaftsabbruch kein aufschiebbare Eingriff ist.”

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UN kritisieren Deutschland als rückständig

Wegen seiner restriktiven Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch hat sich Deutschland bereits der Kritik der Vereinten Nationen (UN) ausgesetzt. Deren Menschenrechtskommissariat hatte im Dezember vergangenen Jahres einen Brief an die deutsche Regierung geschrieben. Die momentane Gesetzeslage in Deutschland wird darin im Hinblick auf die Frauenrechte als rückständig kritisiert.

RND

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