Corona: Eine Herausforderung für Menschen mit Depressionen
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Wer sich schon in einer Psychotherapie befindet, sollte diese trotz der weitreichenden Schließungen fortsetzen – wenn möglich über eine Videosprechstunde.
© Quelle: imagoimages/Panthermedia
Ausgangsbeschränkungen beziehungsweise Kontaktverbote, die nahezu komplette Stilllegung des öffentlichen Lebens und die Sorge, was morgen, nächste Woche oder nächsten Monat sein wird: Schon für seelisch gesunde Menschen ist die derzeitige Krise eine große Herausforderung. Das, was bisher die Normalität war, gilt plötzlich nicht mehr. Stattdessen müssen wir uns fast täglich auf neue Bedingungen einstellen.
Pharmazeutische Versorgung muss weiter bestehen
“Für Menschen, die sich in einer Depression befinden, sind die mit dieser Krise verbundenen Einschränkungen und Herausforderungen noch um einiges schwerer zu bewältigen”, weiß Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Inhaber der Senckenberg-Professur an der Goethe-Uni Frankfurt am Main. “Denn in einer Depression wird alles Negative im Leben vergrößert wahrgenommen und ins Zentrum gerückt, so auch die Sorgen und Ängste wegen des Coronavirus. Ihnen fehlen die Hoffnung und die Energie, um sich auf neue Umstände einzustellen.”
“Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen wird mit Antidepressiva therapiert, und dies sollte natürlich konsequent weitergeführt werden”, mahnt Ulrich Hegerl eindringlich. “Es hätte fatale Folgen, wenn die Pharmakotherapie unterbrochen wird, weil die Patienten nicht mehr zum Arzt gehen, um sich ein neues Rezept zu holen oder um eine Behandlung zu beginnen.”
Therapeutische Angebote weiterhin nutzen
Wer sich außerdem schon in einer Psychotherapie befindet, so der Rat der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, sollte diese trotz der weitreichenden Schließungen fortsetzen. Besuche beim Psychotherapeuten sind ebenso wie Arztbesuche auch dann erlaubt, wenn am Wohnort eine Ausgangsbeschränkung herrscht. Wenn der physische Besuch der Praxis nicht möglich ist – weil der Psychotherapeut selbst Kinder betreuen muss, der Patient zu viel Angst vor einer Ansteckung hat oder eine der beiden Parteien sich in häuslicher Quarantäne befindet –, ist die Videosprechstunde eine gute Alternative. Bisher wird sie noch viel zu wenig genutzt, aber viele Psychotherapeuten erarbeiten derzeit entsprechende Angebote. Diese sind wegen der besonderen Sensibilität der Thematik auf einige wenige datenschutzkonforme Anbieter reduziert.
Patienten, die nicht in die Praxis gehen können, sollten deshalb unbedingt nachfragen, ob diese Möglichkeit besteht. Allerdings haben gerade ältere Menschen oft nicht die technischen Mittel für die Videosprechstunde. Hier kann ein Telefongespräch eine Alternative sein. Diese Telefonate sind jedoch – anders als Videositzungen – bislang noch nicht bei den Krankenkassen abrechenbar. Darüber hinaus haben Patienten, die in eine akute Krise geraten, jederzeit Anspruch auf eine stationäre Behandlung.
Digitale Hilfen für Menschen mit Depressionen
Abgesehen von der unmittelbaren therapeutischen Behandlung bietet die Stiftung Deutsche Depressionshilfe Betroffenen mehrere Möglichkeiten zur Selbsthilfe. Eine davon ist iFightDepression, ein internetbasiertes kostenfreies Selbstmanagementprogramm für Menschen mit leichteren Depressionsformen ab 15 Jahren. Es unterstützt Betroffene beim eigenständigen Umgang mit den Symptomen einer Depression und gibt praktische Hinweise für den Alltag. Durch Übungen lernen sie zum Beispiel, den Tag zu strukturieren, negative Gedankenkreise zu durchbrechen oder den Zusammenhang zwischen Schlaf und Stimmung zu verstehen.
“In Reaktion auf die derzeitige Corona-Krise haben wir dieses Tool nun für alle Betroffenen freigeschaltet”, erklärt Ulrich Hegerl. Normalerweise setze iFightDepression eine Begleitung durch einen Arzt oder psychologischen Psychotherapeuten voraus – denn Studien belegen, dass Onlineprogramme dann besonders wirksam sind. Inzwischen ist das Programm zunächst für sechs Wochen auch ohne Begleitung zugänglich. “Wir wollen Patienten unterstützen, den Alltag in häuslicher Isolation gut zu meistern”, so Hegerl. Betroffene können sich formlos über die E-Mail-Adresse ifightdepression@deutsche-depressionshilfe.de kostenlos für das Programm anmelden und werden innerhalb von 24 Stunden freigeschaltet.
Darüber hinaus bietet die Stiftung Deutsche Depressionshilfe unter www.diskussionsforum-depression.de ein fachlich moderiertes Onlineforum zum Erfahrungsaustausch. Dieses ist ebenso kostenlos wie die Infohotline zum Thema Depression, die unter der Rufnummer 08 00 33 44 533 erreichbar ist. Speziell an junge Menschen mit depressiven Erkrankungen richten sich die E-Mail-Beratungen unter www.u25-deutschland.de und www.jugendnotmail.de.
Tipps zur Bewältigung des Alltags
Nicht mehr zur Arbeit gehen zu können und auch die Freizeit größtenteils zu Hause verbringen zu müssen kann gerade für Menschen mit Depressionen eine große Herausforderung sein. “Wenn das Geländer wegfällt, das die Arbeit oder vielleicht auch die Mitgliedschaft in einem Verein sonst bieten, wird es möglicherweise schwer, den Tag zu strukturieren”, erklärt Ulrich Hegerl. “Betroffene haben dadurch mehr Zeit zum Grübeln, wodurch sich negative Gedanken verstärken können.”
Neben der Nutzung der digitalen Hilfsangebote rät der Psychiater den Betroffenen deshalb, aktiv zu bleiben, zu festen Uhrzeiten aufzustehen und das Gespräch mit Freunden und Familie zu suchen. “Tauschen Sie sich aus – am besten nicht nur über das Coronavirus, sondern auch über andere Themen. Auch Bewegung in und, falls man nicht unter Quarantäne steht, außerhalb der Wohnung ist zu empfehlen. Sehr wichtig ist, die Bettzeit nicht zu verlängern, da bei vielen Betroffenen eine längere Liegedauer und auch längerer Schlaf nicht zu einem Abbau, sondern zu einer Zunahme des Erschöpfungsgefühls und der Depressionsschwere führen.”
Ansonsten gelte, was er auch seelisch gesunden Menschen raten würde: “Suchen Sie sich etwas Sinnvolles. Lesen Sie ein Buch oder hören Sie einmal ganz in Ruhe eine Beethoven-Sonate. Lassen Sie möglicherweise eingeschlafene soziale Kontakte wiederaufleben – per E-Mail, Chat oder telefonisch. Die aktuelle Situation kann auch zur Chance werden, Dinge anzupacken, die aus Zeitgründen lange liegen geblieben sind.”
Hier bekommen Betroffene Hilfe:
Hinweis: Menschen, die sich in einer akuten seelischen Krise befinden, bekommen unter diesen beiden Telefonnummern rund um die Uhr kostenlosen telefonischen Beistand: 08 00 11 10 111 sowie 08 00 11 10 222.
RND