Corona-Boosterimpfung: Wann müssen sich Genesene ein zweites Mal impfen lassen?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/I6Y6PNUZ7JAFNBOJ2MZGNZEJ7U.jpeg)
Ein Mann bekommt eine Impfung mit dem Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer verabreicht.
© Quelle: Frank Rumpenhorst/dpa
Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat ihre Empfehlung zur Corona-Impfung von Genesenen noch einmal aktualisiert: Wer sich mit Sars-CoV-2 infiziert hat, kann schon vier Wochen nach Ende der Symptome eine Impfdosis erhalten. Möglich machen dies unter anderem die zunehmenden Impfstoffkapazitäten, heißt es auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts (RKI), wo das Expertengremium angesiedelt ist. Nach asymptomatischen Infektionen ist eine Impfung sogar schon vier Wochen nach der Labordiagnose möglich. Bislang hatte die Stiko Genesenen grundsätzlich dazu geraten, sechs Monate bis zur Impfung zu warten.
Unverändert bleibt hingegen ihre Empfehlung, dass bei Genesenen eine einzige Impfdosis ausreicht. Denn dies führe bereits zu hohen Antikörperkonzentrationen, „die durch eine zweite Impfstoffdosis nicht weiter gesteigert werden”, teilt die Stiko mit. Eine Studie der Universität Nottingham, die vergangene Woche im Fachmagazin „Science Translational Medicine” erschienen ist, kommt hinsichtlich der zuerst in Südafrika entdeckten Beta-Variante und der in Brasilien aufgetauchten Gamma-Variante jedoch zu einem anderen Ergebnis.
Studie: Zweite Dosis kann Antikörperspiegel erhöhen
Das Forscherteam hatte die unterschiedlichen Immunantworten von Beschäftigten im Gesundheitswesen untersucht, die mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer geimpft worden sind und sich zuvor teilweise mit dem Coronavirus infiziert hatten. Dabei konnten sie zeigen, dass eine zweite Dosis, vor allem bei Genesenen, die neutralisierenden Antikörperreaktionen gegen die Virusvarianten „drastisch“ erhöht.
Eine einzelne Impfdosis reichte in der Studie hingegen nicht aus, um Beta und Gamma wirksam zu neutralisieren. „Wir konnten zeigen, dass die Personen mit einer früheren Infektion nach jeder Impfdosis mehr Antikörper produzierten als diejenigen, die nicht infiziert waren“, wird Studienleiter Prof. Jonathan Ball in einer Mitteilung der Universität Nottingham zitiert. Auch für Menschen, die bereits vollständig geimpft sind und sich zuvor nicht mit dem Coronavirus infiziert haben, sei eine Auffrischungsimpfung im Herbst sinnvoll, sagte seine Kollegin Prof. Ana Valdes. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass auf diese Weise ein hervorragender Schutz für die wichtigsten bedenklichen Varianten gewährleistet wird.“
Stiko: Zweite Impfung bei Immungeschwächten sinnvoll
Ob diese Ergebnisse tatsächlich eine Auffrischungsimpfung für Genesene in Deutschland rechtfertigen, ist jedoch fraglich. Denn hierzulande scheinen die Virusvarianten Beta und Gamma überhaupt nicht mehr zu zirkulieren. Zumindest gab das RKI ihren Anteil Ende Juli im wöchentlichen Lagebericht mit null Prozent an. Es handelt sich dabei allerdings um eine Stichprobe, bei der unter Umständen nicht alle Virusvarianten entdeckt worden sind. Vorherrschend ist demnach allerdings die anfänglich in Indien detektierte Virusvariante Delta mit 97,7 Prozent, deren Einfluss auf die Impfstoffwirksamkeit die britische Studie nicht untersuchte.
„Ob und wann zu einem späteren Zeitpunkt eine zweite Covid-19-Impfung notwendig ist, lässt sich gegenwärtig nicht sagen“, schreibt die Stiko in ihrer Impfempfehlung, die im Epidemiologischen Bulletin (25/2021) abgedruckt ist. Bei Personen mit einem geschwächten Immunsystem müsse hingegen im Einzelfall entschieden werden, ob eine einmalige Impfung ausreicht oder ob eine weitere Dosis notwendig ist. „Dies hängt maßgeblich von der Art und Ausprägung der Immundefizienz ab.“
Studie legt hohe Antikörperreaktion bei Genesenen nahe
Bei nicht immungeschwächten Genesenen sei weniger die Frage, ob sie eine Boosterimpfung erhalten sollten, sondern wann, meint Prof. Reinhold Förster. „Ich weiß nicht, ob es momentan sinnvoll ist, alle gleichzeitig noch einmal zu immunisieren”, sagte der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Schließlich gebe es viele Genesene, die nach der Infektion und einer Impfung eine gute Immunantwort entwickelt hätten. Eine schnelle zweite Dosis würde nach Einschätzung von Förster diese Wirkung kaum verstärken. Damit schließt sich der Immunologe dem Urteil der Stiko an.
Tatsächlich konnten mehrere Studien zeigen, dass Genesene nach einer einzelnen Impfdosis gut vor dem Coronavirus geschützt sind. Ein Forscherteam um Thomas Perkmann von der Klinischen Abteilung für Labormedizin an der MedUni Wien/AKH hatte etwa herausgefunden, dass Genesene nach einer Dosis des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer „deutlich höhere“ Antikörperspiegel aufweisen als zuvor Nichtinfizierte. Teil der Studie, die Anfang August im „European Journal of Clinical Investigation“ publiziert wurde, waren 69 Personen ohne vorangegangene Corona-Infektion und zwölf Genesene. Alle erhielten eine Dosis des Biontech/Pfizer-Vakzins. Nach 21 Tagen wurden die Antikörperkonzentrationen in ihrem Blut gemessen.
Bekamen die Probandinnen und Probanden eine zweite Dosis, erhöhte sich die Antikörperkonzentration bei denjenigen ohne Corona-Erkrankung um das 25-Fache gegenüber dem Wert nach der Erstimpfung, schrieben die Forscherinnen und Forscher. Dagegen seien die Antikörperspiegel bei den Genesenen „mehr oder weniger“ gleich geblieben.
Impfwirkung bei Genesenen könnte nach neun bis zwölf Monaten nachlassen
Immunologe Förster rechnet damit, dass die Wirkung einer Impfung bei den Genesenen nach neun bis zwölf Monaten so weit zurückgegangen sein könnte, dass etliche nicht mehr gut vor dem Coronavirus geschützt sind. „Dann wird es eine weitere Immunisierung brauchen”, sagte er. Insbesondere für Risikopatientinnen und -patienten sei eine zweite Impfung sinnvoll.
Prof. Carsten Watzl, Immunologe am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund, sagte gegenüber dem RND: „Ja, Genesene könnten von einer zweiten Impfung profitieren, indem sie höhere Antikörperspiegel bilden und damit auch besser gegen Delta geschützt wären. Aber auch zweimal Geimpfte könnten wahrscheinlich von einer dritten Impfung im gleichen Maße profitieren. Daher ist die Diskussion um eine zweite Impfung bei Genesenen zusammen mit der Diskussion um eine dritte Impfung der nicht Genesenen zu führen.“
Eine dritte Impfung hält Watzl ebenfalls primär für Risikogruppen für sinnvoll. „Ein 50-Jähriger ohne Vorerkrankungen, der erst vor ein bis zwei Monaten geimpft wurde, braucht noch keine dritte Impfung“, führte er als Beispiel an. „Eine genesene Person über 80 sollte wahrscheinlich ein zweites Mal geimpft werden.“