Bundessprecher der Kinder- und Jugendärzte: „Die unter Zwölfjährigen werden sich irgendwann anstecken“
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Ein Großteil der unter Zwölfjährigen wird sich wohl früher oder später mit Covid-19 infizieren. Davon gehen auch Kinder- und Jugendärzte aus.
© Quelle: Peter Kneffel/dpa
Herr Maske, gehen Sie davon aus, dass Ungeimpfte sich mit dem Coronavirus im Laufe des Jahres infizieren werden?
Herr Drosten ist diesbezüglich eine fachliche Stimme, die das immer wieder bestätigt. Aber auch wir denken, dass sich ein Großteil der Ungeimpften infizieren wird, ja.
Das ist ein Umstand, der gerade Eltern jüngerer Kinder sehr sorgenvoll stimmt. Berechtigterweise?
Wir sehen ja sehr wenig schwere Verläufe bei Kindern und Jugendlichen. Insofern sind wir wenig besorgt. Natürlich beschützen wir die Kinder weiterhin durch die ganz normalen Hygieneregeln. Aber es wird sich wahrscheinlich nicht vermeiden lassen, dass die unter Zwölfjährigen sich irgendwann anstecken. Die Frage ist in welchem Tempo und wie man das dann nennt.
Es geht um den Begriff „Durchseuchung“?
Eine Seuche ist erst mal verbunden mit schweren Krankheiten und ich finde diesen Begriff daher wirklich schwierig. Man könnte auch einfach von Infekt sprechen. Kinder werden sich infizieren, ja. Aber sie werden in Großteilen nicht erkranken. Das muss man sehr gut unterscheiden. Natürlich gibt es einzelne schwere Verläufe. Die gibt es aber bei jeder anderen Infektionskrankheit auch, etwa der Grippe. Insofern sind wir nicht so aufgeregt, wie manch andere.
Kinder werden sich infizieren – aber in Großteilen nicht erkranken.
Kann man bei Kindern denn Corona und Grippe miteinander vergleichen?
Wir würden es nicht mit Grippe vergleichen, weil es eine ganz neue Erkrankung ist, über die wir nicht hundertprozentig Bescheid wissen. Daher würden wir auch nicht aktiv sagen: Steckt euch alle an! Aber wir müssen uns trotzdem überlegen: Haben wir überhaupt eine Chance, dass sich die Kinder unter zwölf nicht anstecken? Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass wir eh keine Chance haben, dann muss man auch sagen, dass Schutzmaßnahmen, die diese Zeit der Nichtansteckung nur verlängern, gar nicht sinnvoll sind.
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Jakob Maske, Sprecher des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte
© Quelle: Privat
Man sollte die Maßnahmen an den Schulen also beenden?
Wir müssen gemeinsam überlegen, welche Maßnahmen in Schule und Kita überhaupt noch sinnvoll sind. Was man ganz klar sagen kann: Wenn man Schulen schließt, werden die Schäden für die Kinder und Jugendlichen erheblich schwerer sein, als wenn sie sich anstecken.
Wenn man Schulen schließt, werden die Schäden für die Kinder und Jugendlichen erheblich schwerer sein, als wenn sie sich anstecken.
Schulschließungen werden ausgeschlossen, Quarantäneregeln werden neu verhandelt. Sind das die Maßnahmen, über die wir diskutieren sollten?
Absolut. Bisher hat jedes Bundesland seine eigenen Regeln, da müssen wir gemeinsame Regeln finden. Medizinisch ist es oft nicht sinnvoll, was hier entschieden wird. Wir müssen zu guten Regeln kommen, die dazu führen, dass Kinder einen regelmäßigen und verlässlichen Schulalltag haben.
Welche Regeln sind denn noch sinnvoll? Was nützt etwa noch das Testen?
Die neuen Quarantäneregeln, die nur noch das infizierte Kind in Quarantäne schicken wie etwa in Berlin, gehen ja genau in die richtige Richtung. Und natürlich müssen wir uns irgendwann auch fragen, wie sinnvoll das Testen und Hygieneregeln in der Schule überhaupt noch sind, wenn wir davon ausgehen, dass Kinder sich ohnehin anstecken werden.
Wann ist dafür der Zeitpunkt gekommen?
Wir sind ein Berufsverband und keine wissenschaftliche Gesellschaft. Ich denke, dass dazu eine wissenschaftliche Gesellschaft in Einklang mit uns Stellung nehmen muss. Das muss auch sofort passieren. Das darf nicht noch Wochen dauern, damit die Schulen auch eine klare Leitlinie haben. Auch Eltern brauchen die Sicherheit, wie dieses Schuljahr verlaufen wird.
Wir haben nach drei Lockdowns schwerste psychiatrische Erkrankungen, wir haben Adipositas in einem Ausmaß, das wir so noch nicht erlebt haben. Das darf mit unseren Kindern nicht noch mal passieren.
Fallen die Schutzmaßnahmen an den Schulen weg, könnte das für viele Eltern das Signal sein: Die Kinder sind uns egal.
Nein, eben nicht! Wir wollen, dass die Kinder einen geregelten Schulablauf haben, weil wir in den letzten anderthalb Jahren gesehen haben, dass die Kinder nach drei Lockdowns in den Schulen einen erheblichen Schaden davongetragen haben. Und das darf nicht noch mal passieren! Wir haben schwerste psychiatrische Erkrankungen, wir haben Adipositas in einem Ausmaß, das wir so noch nicht erlebt haben. Wir haben Kinder, die zweistellige Stundensummen täglich vorm Bildschirm sitzen. Das sind Sachen, die wir so nicht akzeptieren können. Das darf mit unseren Kindern nicht noch mal passieren.