Autor Robert Wringham: So überleben Sie Ihren öden Job – und den Corona-Lockdown

Ein junger Mann hat sein Homeoffice auf die sonnige Fensterbank seiner Wohnung im Berliner Stadtteil Kreuzberg verlegt.

Ein junger Mann hat sein Homeoffice auf die sonnige Fensterbank seiner Wohnung im Berliner Stadtteil Kreuzberg verlegt.

Herr Wringham, viele Menschen sind derzeit mit einer völlig neuen Lebenssituation konfrontiert. Sie dürfen nicht raus, arbeiten plötzlich zu Hause, haben Angst um Verwandte oder die eigene Gesundheit. Sie beschäftigen sich mit grundsätzlichen Fragen – in Ihrem neuen Buch zum Beispiel damit, was ein “gutes Leben” ausmacht. Was würden Sie derzeit raten?

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Ein guter Startpunkt, unabhängig vom Lockdown, ist zu fragen: Was kann ich in meiner derzeitigen Position tun? Was ist der beste Nutzen meiner Zeit? Statt auf ideale Umstände oder darauf zu warten, dass jemand die Führung übernimmt, sagt man sich: Das sind meine Umstände, das sind meine Ressourcen – was kann ich tun? In einer Situation wie dem Lockdown kann das zum Beispiel sein, mehr Zeit in die Familie zu investieren. Es kann auch intellektuelle Erfüllung sein: Endlich den Stapel Bücher angehen, der schon seit Langem im Regal liegt.

Dabei sollten Sie mit dem Ende vor Augen starten: Was ist das eigentliche Ziel, worauf arbeiten Sie hin? Ich fand diesen Rat immer sehr offensichtlich, ein Kinderspiel. Aber tatsächlich tun wir das oft nicht. Wir neigen dazu, reaktiv zu sein. “Oh, ich muss diese Email beantworten” – und das geht dann ewig so weiter, wie im Autopilot.

Wie lautet denn, Ihrer Meinung nach, das Ziel?

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Ich würde sagen, der ideale Endzustand ist genau das, was ich in meinem Buch beschreibe: das gute Leben. Doch stattdessen priorisieren wird die verrückten Dinge, die uns als Glück des modernen Lebens verkauft werden. Wir sagen: “Nun, man muss zur Arbeit gehen und 50.000 Euro im Jahr verdienen.” Dabei wissen wir im Geheimen, dass das nicht das ist, wonach wir streben sollten. Alles, was wir wirklich wollen, ist Glück, Geborgenheit, Liebe. Aber wir stellen diese Dinge hinten an und wenn wir das realisieren, ist es oft zu spät.

Ich wünschte, ich wäre mir selbst treu geblieben

Ich habe eine Zeit lang als Bibliothekar in einer Krebsforschungs-Bibliothek gearbeitet. Sie bestand zum größten Teil aus medizinischen Fachzeitschriften, aber es gab auch eine Abteilung mit Tagebüchern von Krebspatienten, von denen viele an der Krankheit gestorben sind. Darin konnte man immer wiederkehrende Themen lesen, sie alle kamen zum gleichen Schluss und hatten ähnliches Bedauern: Ich wünschte, ich hätte nicht so hart gearbeitet und mehr Zeit mit meiner Familie verbracht. Ich wünschte, ich wäre mir selbst treu geblieben.

Robert Wringham wurde 1982 in England geboren und lebt heute in Glasgow. Er ist Autor, Stand-up-Comedian und Herausgber des Magazins "New Escapologist".

Robert Wringham wurde 1982 in England geboren und lebt heute in Glasgow. Er ist Autor, Stand-up-Comedian und Herausgber des Magazins "New Escapologist".

Während des Lockdowns gibt es also die Möglichkeit, Prioritäten neu zu setzen?

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Niemand würde sich dafür entscheiden, eine globale Pandemie oder einen Lockdown zu erleben. Das ist eine schreckliche Sache, die wir nicht gewählt haben. Aber der Silberstreifen am Horizont ist tatsächlich: Es ist die Krise, die wir brauchen, um diese Wahrheit zu erkennen. Unser normales Leben wird unterbrochen und gestört, ähnlich wie bei den Krebspatienten, die ihre Tagebücher schreiben. Unser Glück ist nur, dass es in unserem Fall früh passiert. Es ist besser, diese Dinge zu erkennen, wenn man noch 50 Jahre vor sich hat und nicht bloß ein oder zwei Monate.

Könnte nicht genau das Gegenteil eintreten? Die Menschen sind den Ausnahmezustand leid und sehnen sich bloß danach, schnell in ihr altes Leben zurückkehren zu können?

Ja, das ist natürlich ein Risiko. Das Leben besteht aus Entscheidungen, es geht immer um Kompromisse: Nehme ich den Salat oder die Pommes? Wenn ich die Pommes esse, fühle ich mich im Moment glücklicher, wenn ich den Salat nehme, ist das langfristig gesünder. Wir stehen gerade wieder vor einer Entscheidung, nur ist sie dieses Mal etwas größer: Können wir aus dieser Erfahrung etwas lernen? Oder kehren wir bloß zur Normalität zurück?

“Ich habe in einem Büro gearbeitet und jeden Moment gehasst”

Wie wird die Entscheidung ausfallen? Werden wir zum Beispiel künftig weniger im Büro und mehr zu Hause arbeiten?

Ich weiß es tatsächlich nicht. Auf der einen Seite höre ich Beispiele, wie das von einer Freundin in Kanada: Sie arbeitet für die staatliche Rentenbehörde, eine Organisation, die dem Homeoffice notorisch feindselig gegenüber stand. Nun, da es Beweise dafür gibt, dass man zu Hause tatsächlich arbeiten kann, sind sie offener für die Idee und eine Neubewertung geworden. Aber Vorhersagen sind schwierig, ich tue mich schwer damit zu sagen: Ja, alle werden für das Homeoffice sein.

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Viele Menschen merken gerade: Homeoffice, das kann auch ziemlich stressig sein.

Für jeden Menschen, der nun mit dem Arbeiten zu Hause Schwierigkeiten hat, gab es die ganze Zeit jemanden, für den das für die Arbeit im Büro galt. Ich habe in einem Büro gearbeitet und jeden Moment gehasst: das ständige Telefonklingeln; die Menschen, die reden. Ich dachte: “Ich kann in dieser Umgebung niemals gute Arbeit verrichten, höchstens anspruchslosen Papierkram.”

Ihr Buch “Ich bin raus” handelt unter anderem davon, wie man sich vom Joballtag und anderen Alltagszwängen befreit. Doch in “Das gute Leben” finden Sie sich in einem im Großraumbüro wieder.

Ja, es gibt in dem Buch ein sehr großes biografisches Element. Die Idee ist, dass wenn ich als “Ich-Autor" spreche, jemand bin, der sehr öffentlich gesagt hat: “Schaut, ich kann meinem Job entkommen und deshalb kann das jeder.” Dann änderte sich alles in meinem Leben und ich musste zurück zur Arbeit gehen. Das war peinlich – und ich hoffe daher rührt die Komik des Buches. Aber es war auch schwierig.

“Umstände können Dinge diktieren”

Was ist denn passiert?

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Die Immigrationspolitik der “feindlichen Umgebung” der damaligen Innenministerin Theresa May hatte das Ziel, das Leben so ungemütlich machen, dass man Menschen nicht mehr ausweisen muss, sondern dass sie selbst gehen. Davon war meine Frau betroffen. Es gibt verschiedene Wege, auf die dieses System zum Problem werden kann, für uns war es das Geld. 2012 gab es auf einmal eine finanzielle Anforderung, die verhindern sollte, dass arme Menschen ihre Partner ins Land holen. Ich verdiente als Autor genug Geld, um davon nett zu leben, aber nicht genug, um die Anforderungen für das Visum zu erfüllen. Zurück zur Arbeit zu gehen, war das einzige, was ich tun konnte. Die größere Parabel dieser Situation ist allerdings: Umstände können Dinge diktieren.

Etwas, dass sie zuvor immer abgestritten hatten.

Ja, Menschen haben oft zu mir gesagt: Ich kann meinem Job nicht entkommen, weil ich Kinder habe oder Schulden. Ich war davon nie wirklich überzeugt, meine Antwort lautete immer: Man kann diesen Dingen ja Rechnung tragen, wenn man einen Fluchtplan erstellt. Nun fand ich mich in einer Situation wieder, in der es keine andere Option gab. Ich habe das zur Recherche genutzt: “Das gute Leben” erklärt Menschen, die entweder nicht entkommen wollen oder es nicht können, wie sie die Situation überleben. Es ist deutlich weniger radikal als “Ich bin raus” und handelt von ganz herkömmlichen Dingen: Teilzeit, wie man seine Zeit wiedergewinnt, wie man die Zeit auf der Arbeit verbessert, wie man sich nicht komplett über die Arbeit definiert und auch das Leben außerhalb der Arbeit besser macht.

Nur noch zwei Stunden bis zum Mittagessen

Was haben Sie selbst dabei gelernt?

Ein Beispiel: Während ich in meinem “Bullshit-Job” arbeitete, hatte ich immer diese Einstellung, dass ich bloß den Tag zu Ende bringen wollte. Ich glaube, das tun wir alle, wenn wir unglücklich oder in einer schlimmen Situation sind. Aber das ist völlig unproduktiv und selbstzerstörerisch. Statt zu denken: “In 15 Minuten kann ich einen Kaffee trinken" oder "Nur noch zwei Stunden bis zum Mittagessen”, sollte man sich voll in die Arbeit und die aktuelle Aufgabe vertiefen. Dann geht die Zeit schneller vorbei. Es gibt bestimmt Menschen, die das schon vorher begriffen haben, für mich war es eine neue Erkenntnis.

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"Das gute Leben" erscheint als e-book am 21. April, das gebundene Buch am 27. April – beide im Heyne Verlag.

"Das gute Leben" erscheint als e-book am 21. April, das gebundene Buch am 27. April – beide im Heyne Verlag.

Welche Veränderungen empfehlen Sie für das Zuhause?

Arbeit und Konsum sind zwei Seiten derselben Medaille. Wenn man also die Arbeit reduzieren möchte, muss man den Konsum ebenfalls reduzieren. Es ist ganz einfach: Wenn Ihr Leben teuer ist, müssen Sie für immer arbeiten. Ein gutes Leben bedeutet aber nicht, viele Dinge und ein großes Haus zu haben oder teuren Urlaub zu machen. Es sind Familie, Freunde, intellektuelle Erfüllung, sinnliche Freuden, ein sauberer und würdiger Ort zum Leben. Dafür braucht man ein Grundeinkommen, aber keine 50.000 Euro im Jahr.

Sie sprechen viel über Selbsterfüllung und Kreativität. Aber nicht jeder möchte in seinem Leben eigentlich ein Autor oder Künstler sein.

Auch zu Hause gibt es viele Möglichkeiten kreativ zu sein, die viele Menschen nicht sehen. Für die Familie zu kochen, anstatt ein teures Fertigprodukt aufzuwärmen, zum Beispiel. Für die Familie zu sorgen, zu Hause eine gesunde, nicht kommerzielle Umgebung zu schaffen, ist auch ein Akt der Kreativität.

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