Aufhebung der Priorisierung: Wer muss jetzt länger auf einen Impftermin warten?
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Hausärztin Burgis-Michaele Heckemann impft in ihrer Praxis eine Frau gegen das Coronavirus.
© Quelle: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa
Längst noch nicht alle Menschen der Risikogruppen hatten die Chance auf einen Impftermin. Trotzdem ist ab heute die Priorisierung bei der Corona-Impfung aufgehoben: Nun kann sich jeder, der will, grundsätzlich impfen lassen.
Eigentlich hatten in den meisten Bundesländern erst vor Kurzem die Impfungen in der Priorisierungsgruppe drei begonnen. In diese Kategorie fallen alle 60 bis 69-Jährigen, darüber hinaus Personen mit bestimmten Vorerkrankungen wie Asthma, HIV oder Adipositas sowie Kontaktpersonen von Pflegebedürftigen ab 60 Jahren. Auch bestimmte Berufsgruppen, bei denen von einem erhöhten Infektionsrisiko ausgegangen wird, gehören dazu, wie zum Beispiel Angestellte im Lebensmitteleinzelhandel.
Die gesamte Priorisierungsgruppe drei hätte eigentlich noch vor allen anderen Personen die Möglichkeit zur Impfung bekommen sollen, so das ursprüngliche Versprechen der Politik. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte aber beschlossen, die Priorisierung aufzuheben, noch bevor die Impfung der Risikogruppen abgeschlossen wurde. Weil der Impfstoff nach wie vor knapp ist, bedeutet das: Personen der Priorisierungsgruppe drei wären zwar eigentlich an der Reihe gewesen. Nun müssen sie trotz eines teils deutlich höheren Erkrankungsrisikos mit jungen und gesunden Personen um die Impfdosen konkurrieren.
Stiko und Ärztevertreter kritisierten Spahns Beschluss
Aus diesen Gründen lehnt die Ständige Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut die vorzeitige Aufhebung der Priorisierung ab. Es sei „nicht gerecht und nicht sinnvoll“, wenn Menschen mit hohem Risiko für eine Erkrankung nun „noch länger als nötig auf ihre Impfung warten müssten“, hatte der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gesagt. Mertens hatte der Politik zudem indirekt vorgeworfen, aus wahlkampftaktischen Gründen zu handeln. Auch Ärztevertreter hatten Spahns Beschluss kritisiert.
Wie viele Personen nun nicht mehr priorisiert geimpft werden können, obwohl sie in eine Risikogruppe fallen, lässt sich nur schätzen. Einer Umfrage von Statista vom Mai zufolge wollen sich 92 Prozent der über 65-Jährigen ganz sicher impfen lassen. Diese Impfquote ist aber bei Weitem noch nicht erreicht. Zwar sind nach einer Berechnung des RKI schon etwa 87 Prozent der über 80-Jährigen vollständig geimpft. In der Altersgruppe der 70 bis 79-Jährigen sind es aber erst 33 Prozent und in der Gruppe der 60 bis 69-Jährigen sogar erst 14 Prozent. Und 47 Prozent der 60 bis 69-Jährigen, die den Hauptanteil der Priorisierungsgruppe drei ausmachen dürften, haben bisher nicht einmal eine Impfdosis erhalten.
Einzelne Länder wollen Priorisierung aufrechterhalten
Einige Bundesländer kündigten bereits an, die Priorisierung zumindest in den Impfzentren doch noch nicht aufzugeben. So wollen Schleswig-Holstein, Hamburg und Bayern laut einem Bericht der „Tagesschau“ daran festhalten, im Saarland sollen Personen der Priorisierungsgruppen bei der Impfung in den Zentren bevorzugt werden. Eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums kündigte an, NRW behalte sich vor, bestimmten Bevölkerungsgruppen ein „Sonderimpfangebot“ zu unterbreiten.
In Niedersachsen hatte das Gesundheitsministerium erklärt, alle Menschen der Prioritätsgruppen eins bis drei, die schon auf einer Warteliste stehen, hätten „ihren Platz weiterhin sicher“. Es machte allerdings keine Angaben dazu, wann diese auf eine erste Impfdosis hoffen können. Rund 600.000 Personen der Risikogruppe eins bis drei sollen in die Wartelisten der niedersächsischen Impfzentren eingetragen sein, wie die „Hannoversche Allgemeine“ berichtet.
Bei der Impfung in Arztpraxen ist den Ärztinnen und Ärzten künftig freigestellt, ob sie ältere oder kranke Patientinnen und Patienten bei der Vergabe von Impfterminen bevorzugen wollen. Der Verband der Betriebsärzte, die ebenfalls ab sofort mit den Impfungen beginnen können, empfiehlt diesen, zuerst Angestellte mit einem höheren Infektionsrisiko zu impfen. Allerdings hat ein Großteil der Personen der Priorisierungsgruppen das Rentenalter erreicht und kann daher nicht mehr von Betriebsimpfungen profitieren.