Arzt: „Psychosomatische Erkrankungen können lebensbedrohlich werden“
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Kopfschmerzen können durchaus psychosomatische Ursachen haben. (Symbolbild)
© Quelle: Oliver Killig/dpa-Zentralbild/dp
Der Bauch schmerzt, das Herz rast und schon wieder drückt dieser dubiose Kopfschmerz. Manchmal finden Ärzte keine organische Ursache. „Dann ist das wohl psychosomatisch“, heißt es oft in diesen Fällen. So lautet auch der Titel des neuen Buches von Dr. med. Alexander Kugelstadt. Als Arzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie arbeitet er in Berlin. Seine Mission darüber hinaus: Leicht verständlich über sein Fachgebiet aufklären. Im Interview spricht Kugelstadt darüber, warum auch psychosomatische Krankheiten lebensbedrohlich sein können, wie man sich gesund hält und was Verliebtsein mit Psychosomatik zu tun hat.
Herr Kugelstadt, „Gefühle wollen auch nur ihren Dienst erledigen“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Wieso sind Emotionen für uns so wichtig, auch die schwierigen wie Wut oder Angst?
Gefühle oder Emotionen sind in uns angelehnt, um uns blitzschnell zu orientieren, damit wir mit Situationen umgehen können. Deshalb sind auch negative Emotionen prinzipiell etwas Wichtiges. Wir merken durch sie, wenn uns etwas abstößt. Nun lernen Menschen in manchen Familien, dass es Gefühle gibt, die nicht gut seien, und daraufhin diese zu unterdrücken. So stauen sich Emotionen in uns an, die wir nicht nach außen im Kontakt mit anderen kommunizieren können. Stattdessen drücken sie sich körperlich in allerlei Symptomen wie Verspannungen oder Kopfschmerzen aus.
Solche psychosomatischen Symptome kennt eigentlich fast jeder aus dem Alltag, oder? Also nicht im krankhaften Sinne.
Genau. Da bin ich auch ganz sicher. Es ist eben die Frage, ob man sie bewusst wahrnimmt oder nicht. Die meisten haben schon einmal bemerkt, dass das Herz in bestimmten Situationen schneller schlägt, die Hände schwitzig werden, dass man rot wird.
Also ist Verliebtsein ein psychosomatisches Symptom?
Absolut. Die Auswirkungen davon finden wir in der Psyche und im Gehirn sowie im Rest unseres Körpers – wer kennt nicht die Schmetterlinge im Bauch? Man weiß mittlerweile, dass das Dopamin beim Verliebtsein besonders hoch ist und das Serotonin besonders niedrig. Das wiederum wirkt sich auf das Körperempfinden aus, ist also psychosomatisch. (lacht)
Ihrem Verständnis nach wirken Psyche und Körper bei allen Erkrankungen mit. Was bedeutet das für die moderne Schulmedizin, wie muss sie sich ändern?
Erst einmal: Aus jedem Gedanken und jedem Gespräch wird Biochemie im Körper. Wir beide werden nach diesem Gespräch möglicherweise veränderte körperliche Vorgänge aufweisen, je nachdem, ob das Gespräch bereichernd oder anstrengend war. Die Trennung von Körper und Seele ist also überholt. Für die Medizin bedeutet das, es kann eigentlich keine hochspezialisierte Herzklinik geben, die supergut Herzinfarkte behandelt, aber die psychische Komponente außer Acht lässt.
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Alexander Kugelstadt arbeitet als Arzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Berlin.
© Quelle: Mosaik Verlag
Es ist aber natürlich einfach, darauf zu vertrauen, dass die spezialisierte Klinik hilft, wenn das Herz nicht mehr richtig funktioniert. Ihr Verständnis von Medizin kann auf viele Patienten ganz schön verunsichernd wirken.
Ja, das verunsichert erst einmal. Bei Patienten mit körperlichen Beschwerden, die auf den Körper fixiert sind, ist das auch nicht sonderlich beliebt. Sie rennen von Arzt zu Arzt und hören am Ende: „Das ist wohl psychosomatisch.“ Ich sehe ein, dass diese Thematik erst einmal unangenehm ist. Es hat aber auch etwas mit der mangelnden Akzeptanz von psychosomatischen Symptomen zu tun und dass das Medizinsystem von seiner Ökonomie her ganz wenig auf Psychosomatik ausgelegt ist. Die Krankenhäuser und Praxen verdienen Geld mit Röntgenbildern, Operationen und verschiedenen Eingriffen – aber gegen seelische Not hilft das nicht.
Wir können nicht in kurzer Zeit das medizinische System auf den Kopf stellen. Der Weg ist eher, kurzfristig selber ein wenig umzudenken und anzufangen, uns mehr als ganzen Menschen zu sehen – der intensiv von Gefühlen und Beziehungen beeinflusst wird. Wir sollten uns nicht so sehr von der Medizin irritieren lassen, die immer alles vermisst und hinterher sagt: Okay, du bist gesund. Dafür plädiere ich, die Sichtweise zu ändern.
Können psychosomatische Erkrankungen lebensbedrohlich werden?
Auch die können schlimm werden, ja. Ich habe beispielsweise Patientinnen und Patienten gesehen, die immer wieder operiert wurden. Es kann am Ende zu ärztlich bedingten Schädigungen kommen, weil man durch die Dramatik dieses Krankheitsbildes und weil die Patienten so aufgebracht und hilflos sind, immer wieder operiert. Zum Beispiel am Bauch, Ärzte nehmen den Blinddarm raus oder schauen nach einer Entzündung. Die Operationen hinterlassen durch die Narbenbildung Verwachsungen im Bauch. Das kann wieder zu Schmerzen führen, die Patienten gehen wieder zum Arzt. Da ist es ganz wichtig, irgendwann die Notbremse zu ziehen und das Ganze psychosomatisch abzuklären. Sonst kann es zu heftigen Folgeproblemen kommen.
Zum Thema Suizidalität: Das ist je nach Krankheitsbild ganz unterschiedlich. Zur Psychosomatik gehören auch Essstörungen, das sind gefährliche Krankheiten. Da gibt es Patientinnen, die so eine Sucht danach haben, zu hungern, dass sie daran sterben können. Jedes Erkrankungsbild hat auch seine Risiken. Ebenso eine schwere Angststörung mit Bluthochdruck und Herzrasen. Werden viele Herzkatheteruntersuchungen gemacht, erhöht sich die Gefahr, auch organisch herzkrank zu werden.
Haben Sie Tipps, wie man sich im Alltag verhalten kann, damit man nicht irgendwann bei Ihnen in der Sprechstunde sitzen muss?
Erst einmal alles an Gefühlen, aber auch Symptomen zuzulassen und wohlwollend mit sich selbst zu sein. Wenn ich mich in einen Kollegen verliebe und mir das nicht eingestehe, habe ich trotzdem Herzklopfen und meine Beine sind etwas weicher. Unsere Gefühle und unsere Körperreaktionen können wir nicht bewusst beeinflussen. Wir können nicht sagen, unser Herz soll langsamer schlagen. Also, wir können das schon sagen, aber es passiert halt nicht. Wir können die Körperreaktionen nicht steuern. Deshalb ist es wichtig, das zu akzeptieren, was gerade im Körper los ist und was für Gefühle wir zeigen. Wenn man dagegen angeht, läuft man in Gefahr, dass sich Gefühle anstauen. Im schlimmsten Fall treten ganz heftige psychosomatische Symptome auf.
Irgendwann muss der Körper wohl die Notbremse ziehen.
Genau, und das macht er auch. Meistens haben psychosomatisch Erkrankte eine lange Vorgeschichte und sind lange gegen etwas angegangen. Ihrem Körper, ihren Gefühlen und ihren Bedürfnissen haben sie gar nicht mehr zugehört.
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Das Buch „Dann ist das wohl psychosomatisch! Wenn Körper und Seele SOS senden und die Ärzte einfach nichts finden“ hat Dr. med. Alexander Kugelstadt geschrieben. Es ist im Mosaik Verlag erschienen, umfasst 400 Seiten und kostet 16 Euro.
© Quelle: Mosaik Verlag
Es gibt doch diese Idee: Wenn man sich selbst nicht mag, soll man sich vorstellen, was der beste Freund oder die beste Freundin zu einem sagen würde in dieser Situation. Was halten Sie davon?
Das finde ich total gut. Es gibt ja so Situationen, in denen man das Gefühl hat, alles laufe schlecht. Und dann spielt auch noch der Körper verrückt. Man steht allein da und hat nur noch schlechte Sätze für sich übrig. Da ist es wirklich gut, sich zehn Minuten hinzusetzen, wohlwollend mit sich selbst zu reden und sich selbst ein guter Freund zu sein. Und dann zu überlegen, was eigentlich andere an mir Wertvolles finden. Das muss man bewusst machen, weil das oft nicht so von selbst kommt. Sich zehn Minuten Zeit zu nehmen, das Smartphone wegzulegen und in sich hineinzuhorchen, das ist ein total guter Anfang.