Aktivist Krauthausen zu Triageurteil: „Es wird immer jemanden treffen, der es nicht verdient hat“
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Aktivist Raul Aguayo-Krauthausen während einer Pressekonferenz.
© Quelle: picture alliance/dpa
Raul Krauthausen ist Aktivist für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen und erhielt 2013 für sein Engagement mit dem von ihm gegründeten Verein Sozialhelden das Bundesverdienstkreuz am Bande. Er selbst leidet von Geburt an an der Glasknochenkrankheit (Osteogenesis imperfecta). Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärt Krauthausen, warum er das Urteil des Karlsruher Verfassungsgerichts zur Triage wichtig findet.
Herr Krauthausen, warum war das Triageurteil des Verfassungsgerichts für Menschen mit Behinderungen wichtig?
Es war wichtig, weil ohne dieses Urteil ausschließlich Ärzte untereinander eine Triage aushandeln würden, hinter verschlossenen Türen. Dabei gäbe es die Gefahr, dass Menschen mit Behinderungen diskriminiert werden – sei das bewusst oder unbewusst.
Die Klage richtete sich gegen eine Empfehlung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Demnach sollte bei einer Triage nach der Aussicht auf Behandlungserfolg ausgewählt werden. Warum ist das Diskriminierung?
Bei der Erfolgsaussicht gibt es das grundsätzliche Problem, dass diese überproportional oft bestritten wird, wenn eine Behinderung vorliegt. Ich wurde mit der Glasknochenkrankheit geboren. Damals hieß es: „Der wird nicht älter als drei Jahre alt“. Heute bin ich 41.
Laut der Divi-Empfehlung wäre der Faktor „Gebrechlichkeit“ bei einer Triage ein Nachteil. Das wurde im Karlsruher Urteil kritisiert, weil befürchtet wird, dass bei Menschen mit Behinderungen gar nicht mehr genau auf den möglichen Behandlungserfolg geschaut wird.
Es bestünde die Gefahr, dass Menschen mit Behinderungen von vornherein aussortiert werden. Es gab ja bereits diese Anschreiben vom Landratsamt und dem Klinikum Tuttlingen an Pflege- und Behindertenheime. Darin wurde auf die fehlenden Intensivbetten hingewiesen und dass man einen Behandlungsverzicht auch ohne Patientenverfügung erklären könnte. Das kann man auch wie eine vorgelagerte Triage verstehen.
Wie kann eine bessere Triageregelung aussehen?
Eine Triage ist immer großer Mist. Und es wird immer auch jemanden treffen, der es nicht verdient hat. Eine Möglichkeit könnte aber zum Beispiel sein, das Zufallsprinzip einzubauen. Das wäre zwar auch nicht gerecht, würde aber zumindest für Chancengleichheit sorgen. Ich will auch nicht sagen, dass ich persönlich den besten Vorschlag habe. Es sollten von einem demokratischen Gremium Regeln verfasst werden, wie es das Karlsruher Urteil jetzt ja auch vorsieht. Dabei gilt es nicht nur medizinische Gründe, sondern auch moralische und ethische Beweggründe abzuwägen. In jedem Fall kann man das Verfassen solcher Regeln nicht einfach einer privaten Organisation wie der Divi überlassen.
Die Divi hatte das Prinzip des Behandlungserfolgs verteidigt, dieses wird offenbar auch in Katastrophensituation angewandt.
Es ist vielleicht auch etwas anderes, ob man in einer Katastrophensituation schnell handeln muss, oder ob man Zeit hat, sich mit dem Thema zu befassen. Die Corona-Pandemie gibt es jetzt seit zwei Jahren und seit einem Jahr reden wir über die Möglichkeit einer Triage. Deshalb haben wir ja auch schon vor einem Jahr die Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. Am besten wäre natürlich gewesen, Vorkehrungen zu treffen, um eine Triage in der Zukunft sicher auszuschließen – also zum Beispiel mehr Pflegepersonal ausbilden. Aber das ist nicht geschehen.