Festgebunden oder zum Essen gezwungen: Deutlich mehr Fälle von Gewalt in Kitas gemeldet
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In der Garderobe in einer Kindertagesstätte (Kita) hängen Kinderjacken.
© Quelle: Friso Gentsch/dpa
Gewalt in Kitas ist ein Tabuthema, dennoch haben die Meldungen zu seelischen und körperlichen Misshandlungen zugenommen. Das hat der Bayrische Rundfunk (BR) in einer Umfrage unter 59 Kitaaufsichtsbehörden in Bayern festgestellt. Während im vergangenen Jahr lediglich 129 Verdachtsfälle gemeldet wurden, waren es in diesem Jahr 232. Dazu zählt zum Beispiel, dass Kinder vom Personal nachgeäfft, festgebunden oder zum Essen gezwungen werden.
Besonders in den Bereichen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht (2021: 24 Fälle, 2022: 57 Fälle) und seelische Gewalt (2021: 16 Fälle, 2022: 32 Fälle) ist der Anstieg drastisch: Die Meldezahlen haben sich mehr als verdoppelt. Auch die Meldungen von körperlicher Gewalt gegenüber Kindern sind innerhalb eines Jahres von 43 auf 59 gestiegen. Insgesamt haben 21 Kitaaufsichten im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben keine Meldung erhalten, in diesem Jahr sind es nur 11.
Größter Risikofaktor: Personalmangel
Alle 59 befragten Aufsichtsbehörden melden Personalmangel. Ein Großteil hält diesen zudem für den größten Risikofaktor für Gewalt gegen Kinder. Das bestätigt auch eine Sprecherin vom Verband Kita-Fachkräfte Bayern gegenüber dem BR: „Das liegt an der ständigen Überlastung der Kollegen und an immer mehr Krankmeldungen, die wiederum mehr Stress für das übrige Personal zur Folge haben – und dann kann es zu mehr Grenzverletzungen kommen.“ Sie plädiert dafür, offener über Gewalt in der Kita zu sprechen – ohne dabei das Personal zu stigmatisieren.
Gespräche mit Erzieherinnen und Erziehern zeigen zudem, dass auch die aktuellen Zahlen nur bedingt die Wirklichkeit abbilden. Nach eigenen Angaben haben nur wenige Erzieherinnen die Vorfälle der Kitaleitung, dem Träger oder sogar der Kitaaufsicht gemeldet. Auch gaben zehn der befragten Behörden an, zwar Meldungen bekommen zu haben, diese aber nicht zu zählen. Die Dunkelziffer der Gewaltvorfälle in Kitas ist also trotz gestiegenen Meldungen weiter hoch.
Lauterbach: „Kitas sind keine wichtigen Treiber der Pandemie gewesen“
Der SPD-Bundesgesundheitsminister Lauterbach nannte die Maßnahme nach heutigem Wissensstand „medizinisch nicht angemessen“.
© Quelle: Reuters
Deutschlandweites Problem
Dass in den meisten Kitas zu wenig Erzieherinnen und Erzieher arbeiten, ist aus Sicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin nicht nur ein bayrisches Problem: „An allen Ecken und Enden herrscht Personalmangel, der kompensiert werden muss“, kritisiert GEW-Berlin-Geschäftsführer Markus Hanisch gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Es herrschten vielerorts Bedingungen, die nicht mehr haltbar seien.
In Ganztagsschulen müssten sich Erzieher in der Nachmittagsbetreuung teilweise um 50 Kinder kümmern, obwohl es laut Personalschlüssel höchstens 22 Kinder sein sollten. „Da geht es nur noch um Verwahrung. Man kann dem Anspruch an die eigene Arbeit nicht mehr gerecht werden“. Auch viele Lehrkräfte hätten das Gefühl, dass ihnen mehr zugemutet werde, als sie leisten könnten.
mit dpa