„Herr der Ringe: Gollum“ im Test: kleiner Antiheld, großer Flop
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„Der Herr der Ringe: Gollum“ wurde von der deutschen Spielefirma Daedalic entwickelt.
© Quelle: Daedalic
In dem großen Fantasy-Epos „Der Herr der Ringe“ verstecken sich viele Leerstellen und offene Fragen. Eine davon beantwortet „Der Herr der Ringe: Gollum“ kurz nach Spielbeginn. Wie war das eigentlich genau, als Gollum von den Mächten des Bösen gefangen genommen wurde? Klingt spannend!
Ist es aber nicht. Der legendär schmierige Antiheld ist halt herumgeklettert, dann hat ihn plötzlich ein Ringgeist gesehen, dann ist er bei der wilden Flucht durch ein Labyrinth geirrt, dann haben ihn die Diener Saurons umzingelt. Schnitt. Und dann begleiten wir Gollum bei der Arbeit in einem unansehnlichen Knast unter der Erde. Für mehrere Stunden.
Das liest sich nicht nur wie ein Achselzucken, es spielt sich leider auch so. „Der Herr der Ringe: Gollum“ ist die Antwort auf die spannende Frage, was die deutsche Spielefirma Daedalic eigentlich als Nächstes in der Mache hat. Bekannt ist sie für Adventure-Hits aus dem eigenen Studio, etwa die Deponia-Serie. Außerdem hat Daedalic erfolgreich Spiele anderer Studios herausgegeben, etwa „Shadow Tactics“, „Unrailed!“ oder „Barotrauma“.
Originelles Konzept: Gollums unerzählte Geschichte
Und nun erscheint mit „Gollum“ nach jahrelanger Entwicklungsarbeit endlich wieder ein eigenes Projekt. Mit detaillierter 3-D-Grafik in einer modernen Engine soll es überzeugen, unsere Playstation-5-Version bietet sogar Ray Tracing. Gollum erscheint außerdem für PC, Playstation 4, Xbox One und Xbox Series. Freigegeben ist es ab zwölf Jahren.
Die Idee für „Gollum“ fanden wir interessant: die Geschichte eines Nebencharakters erzählen, der aber eine Schlüsselrolle einnahm. Was treibt ihn an? Welche neuen Facetten würde er von sich zeigen? Was ist ihm passiert, damit er als eine so traurige Kreatur endet? Das sollte ein aufwendiges 3-D-Abenteuer mit einem Mix aus Erzählen, Erkunden, Rätseln und Schleichpassagen klären.
Beim Start gestolpert
Das Projekt ist ambitioniert. Leider scheitert es auf mehreren Ebenen. Es scheitert schon früh an der Geschichte, die in der Form schlicht nicht funktioniert. Sie ist schlecht inszeniert und schwer zu verstehen; wiederholt springt „Gollum“ in der Zeit oder wechselt den Schauplatz, ohne vernünftig zu erklären, warum und wohin. Und es hält sich viel zu lang an deprimierenden und langweiligen Orten auf. Viel Zeit geht etwa in den ersten Stunden für den Alltag im Knast der Orcs drauf. Und die Dialoge machen es nicht besser. Einige Passagen von „Gollum“ sind gut geschrieben und gespielt, aber viele Nebencharaktere klingen lust- und ratlos.
Auch technisch reißt das Spiel mit den Füßen ein, was es mit den Händen aufgebaut hat. Gelegentlich beeindruckt uns die Grafik mit stimmungsvollen Lichteffekten oder Gollums detaillierten Charakterzügen. Aber wenn hölzern animierte und austauschbare Orks und Elben ins Bild treten, wirken sie wie aus einem anderen, älteren Spiel.
Ein innovativer Mix aus Spielideen hätte das Abenteuer vielleicht retten können. Aber auch das scheitert schon an den Grundlagen. Gollum überhaupt zu steuern, mit ihm zu klettern, zu schleichen und zu springen fühlt sich schwammig an. Schleichen und Springen wirkt unpräzise. Regelmäßig sind wir an Zielen vorbei in den Abgrund gesprungen, sind Orks und Elben aus Versehen in die Hacken gelaufen oder bei der Flucht an kleinsten Ecken im Boden hängen geblieben. Immerhin war der Schritt zurück zum letzten Speicherpunkt nie besonders weit.
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Selbst die Ringgeister können das Spiel nicht retten.
© Quelle: Daedalic
Dummheit trifft Langeweile: Gollums Gegner sind schwerhörig
Gerade, wenn Schleichpassagen wiederholt werden müssen, fällt aber auch die nächste Schwäche auf: Gollums Gegner sind in aller Regel dumm und schwerhörig. Sobald der Antiheld um mehr als eine Ecke gekrabbelt ist, findet ihn niemand mehr. Kombiniert mit der fehleranfälligen Steuerung ergeben sich so immer wieder unfreiwillig komische Eskapaden – als stelle sich Gollum blöd an, seine Verfolger aber noch blöder.
Nicht alles ist schlecht. Das Klettern macht zumindest wenig Probleme, und bei der Erkundung haben wir uns immer wieder über einfallsreiche Panoramen gefreut. Eher ratlos lassen uns dagegen auch die wenigen Rätsel zurück. Gollums Aufgaben als Häftling sind einfach nicht besonders interessant. Zu freudlosen Fleißaufgaben kommen auch Aktivitäten, die nicht so recht zum Charakter passen. Gollum ist mal schwächlich, dann wieder athletisch, mal unverwüstlich, dann wieder zerbrechlich. Allein der Dauerstreit zwischen Smeagol – seine Identität, bevor er dem einen Ring zum Opfer fiel – und seiner dunklen Seite Gollum sorgt gelegentlich für interessante Konflikte im Kopf des Charakters. Aber auch dieser Part wirkt halbherzig, unterentwickelt.
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Gollums dumme Gegner stellen kaum eine Gefahr dar.
© Quelle: Daedalic
Fazit: kleiner Gollum, großer Flop
Somit ist „Gollum“ ein klarer Flop. Das ist nicht nur schade für alle, die auf das nächste Spiel eines verdienten deutschen Studios gespannt waren oder die von Mittelerde noch nicht genug haben. Tragisch wirkt das Scheitern, weil in dem Titel durchaus interessante Ideen stecken. Es unternimmt den lohnenden Versuch, ein neues Licht auf einen legendären Antihelden zu werfen. Es weckt in einigen gelungenen Szenen sogar Empathie für die bemitleidenswerte Kreatur mit der diabolischen Seite. Und es leuchtet ein, so einen Hauptdarsteller nicht in ein beliebiges Genre zu pressen, sondern passende Spielideen für ihn zu entwickeln.
Aber das Unternehmen scheitert kolossal an der Umsetzung. „Gollum“ erscheint als Spiel mit eklatanten Mängeln. Vieles funktioniert nur so gerade, einiges gar nicht. Dazu wirken zahlreiche Aspekte seltsam lieblos, etwa die Gestaltung praktisch aller Menüs. Gravierende technische Probleme sind uns mit der offiziellen Verkaufsversion auf der Playstation 5 nicht begegnet, aber viele Kleinigkeiten.
Das erste Echo auf „Gollum“ fällt auch anderswo dermaßen negativ aus, dass sich inzwischen sogar Daedalic für sein Spiel entschuldigt hat. Eine Ausbesserung der Fehler steht in Aussicht. Doch nur größere Umbauarbeiten könnten hier noch ein lohnendes Spiel zutage fördern.