Einsam und depressiv durch Social Media?

Psychologen sehen eher den Grund für erhöhten Social Media Konsum als gefährlich an: Niemanden zum Reden zu haben.

Psychologen sehen eher den Grund für erhöhten Social Media Konsum als gefährlich an: Niemanden zum Reden zu haben.

Hannover. Die Welt der Generation Selfie wirkt auf Fotos hell und strahlend: Ob auf Facebook oder Instagram – überall blickt man in fröhliche, lachende Gesichter. Doch unter der heilen Oberfläche sehen die Seelen der Jugendlichen ganz anders aus, so die Psychologin Jean Twenge von der San Diego State University. Die Generation Selfie bilde "die Vorhut der größten psychischen Krise seit Jahrzehnten, mit Prozentzahlen für Depression und Selbstmorde, die in den USA seit 2011 raketenartig in die Höhe schießen". Und Twenge glaubt, auch die Schuldigen ausgemacht zu haben: das Smartphone und die sozialen Medien. Denn 2011 und 2012 waren genau die Jahre, in denen sich die Mehrheit der Amerikaner ein Smartphone zugelegt hat. Das ständige Tummeln in sozialen Medien, möglich gemacht durch die Allgegenwart des Smartphones, verringere den persönlichen Kontakt zwischen Jugendlichen und befeuere die Einsamkeit. In den USA kursiert bereits der Begriff "Facebook-Depression".

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Besonders Mädchen berichten von Depressionen

Auch in Deutschland kreist das Leben der Teenager um das Smartphone und soziale Medien. Kein Wunder also, dass auch hierzulande die Thesen von Twenge begierig aufgegriffen werden und mit Schlagzeilen wie „Die sozialen Medien machen depressiv“ für Aufmerksamkeit sorgen. Der ständige Abgleich zwischen dem eigenen Leben und dem, was andere in den sozialen Netzwerken inszenieren, schlage sich negativ in der Stimmung nieder und könne seelisch krank machen – so der allgemeine Konsens.

Für eine Untersuchung von 2018 hatte sich Jean Twenge mit Kollegen die Daten von mehr als 500.000 Teenagern vorgeknöpft, die aus zwei repräsentativen Befragungen stammten und seit 1991 durchgeführt worden waren. Man hatte die Heranwachsenden zum sozialen Miteinander, zum Medienkonsum und dem seelischen Befinden befragt. In der Auswertung dieser Daten konnte Twenge verschiedene Trends herausfiltern: Vor allem weibliche Teenager berichteten im Laufe der Zeit von mehr depressiven Symptomen. Um eine Erklärung zu finden, schaute sich Jean Twenge an, was in der kritischen Zeitspanne passiert war. Depressive Symptome waren vor allem unter den Teenagern verbreitet, die sich viele Stunden in den sozialen Medien tummelten. Auch das traf besonders auf Mädchen zu.

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Deutsche Psychologen sind skeptisch

Der Medienpsychologe Markus Appel von der Uni Würzburg zeigt sich von Twenges Studie wenig beeindruckt. In dem in der Untersuchung betrachteten Zeitraum sei schließlich so einiges passiert. Insofern könne man da leicht spekulieren, dass eine schlechtere psychische Befindlichkeit mit der veränderten Mediennutzung zusammenhänge. „Aber das ist kein Beleg, sondern reines Mutmaßen.“ Genauso gut kämen andere mögliche Ursachen infrage, etwa gestiegener Stress. „Letztlich kann man solche rein zeitlichen Zusammenhänge immer leicht konstruieren, ohne dass ein ursächlicher Zusammenhang gegeben sein muss“, so Appel. Beispielsweise seien die Gewaltstraftaten in den USA in den 1980ern und 1990ern stark gesunken, und gleichzeitig habe die Verbreitung von Computerspielen, auch von sogenannten Ballerspielen, zugenommen. Da könne man eigentlich nach der gleichen Logik sagen, der Rückgang der Gewalt liege daran, dass die Ballerspiele die Gewalt kanalisieren. „Aber das behauptet vernünftigerweise kaum jemand.“

Langzeitstudien nötig – bis jetzt nur schwacher Zusammenhang

Tatsächlich haben Studien wie die von Twenge ein Problem: Es handelt sich nicht um Langzeituntersuchungen, bei denen man immer wieder dieselben Probanden zu unterschiedlichen Zeitpunkten befragt hat. Solche Studien können daher die Frage nach Henne und Ei nicht beantworten – sorgt nun der Social-Media-Konsum für das schlechtere seelische Befinden oder umgekehrt? Dafür braucht man eben Langzeitdaten. Die hat die Psychologin Taylor Heffer von der kanadischen Brock University zusammen mit Kollegen von Heranwachsenden über einen Zeitraum von zwei Jahren und jungen Erwachsenen über einen Zeitraum von sechs Jahren gesammelt. Sie liefern keine Belege dafür, dass die Nutzung von Social Media mit der Zeit depressiv macht. „Die Studie zeigt eigentlich, was auch andere medienpsychologische Untersuchungen nahelegen“, sagt die Medienpsychologin Sabine Trepte von der Uni Hohenheim. „Es gibt keinen oder nur einen ganz schwachen Zusammenhang zwischen dem Social-Media-Konsum und Depression und Einsamkeit.“

Die Ergebnisse legen umgekehrt nahe, dass stärkere depressive Symptome eine spätere Nutzung von Social Media vorhersagen, zumindest unter jugendlichen Mädchen. „Ich gehe davon aus, dass es sich dabei um ein konstruktives Nutzungsverhalten handelt“, so Trepte. „Vielleicht holen sich Mädchen mit depressiven Symptomen auf diesem Weg Unterstützung von Gleichaltrigen.“

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Der Ausgleich zu Social Media ist entscheidend

Die Einflüsse auf die Psyche sind eine Gleichung mit vielen Variablen. Neben den Medien gehören hier unter anderem die Altersgenossen und die Familie dazu. „Medien haben nie die tragende Rolle“, betont Sabine Trepte. Sie können vielmehr Tendenzen in der Befindlichkeit aufschaukeln oder dynamisieren. „Oftmals sind sie ein Symptom dafür, wie viel sozialen Kontakt die Jugendlichen haben und wie viel oder wenig sich die Eltern um ihre Kinder kümmern.“ Wenn Kinder und Jugendliche Medien sehr stark nutzen, könne man immer davon ausgehen, dass die Eltern die Nutzung nicht regulieren und kontrollieren. „Und das ist schlecht für Kinder und Jugendliche, weil die Zeit für andere Erfahrungen und die Einordnung der Medieninhalte fehlt“, so Trepte. „Wenn ein Jugendlicher am Tag sechs Stunden lang Ballerspiele spielt, ist meist nicht der Medienkonsum an sich das Schädliche, sondern dass da niemand ist, mit dem er reden kann.“ Ähnliches könnte auch für den Social-Media-Konsum gelten.

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Von Christian Wolf/RND

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