Digitales Familienleben: Darf ich mein Kind alleine vor das Tablet setzen?
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Dürfen Kinder alleine vor dem Tablet sitzen?
© Quelle: Youtube Screenshot
Ihr Kinderbuch „Lotta und Klicks“ zeigt einen normalen Morgen. Papa muss noch eine Mail abschicken. In der Zeit dürfen die Kinder mit seinem Smartphone spielen. Auch Hund Klicks will Aufmerksamkeit. Wie entstand die Idee zu einem Kinderbuch über digitales Familienleben?
Als ich die Kita-Eingewöhnung mit meinem ersten Sohn machte, durfte ich eine Stunde im Aufenthaltsraum verbringen. Dort gab es schlechten Kaffee und ein gut gefülltes Bücherregal. Ich entdeckte Bilderbücher zu allen Themen: Körper, Jahreszeiten, Migration, sogar Depressionen oder Demenz. Nur das Thema Digitalisierung fehlte. Also beschloss ich, selbst ein Buch zu schreiben – ganz ohne erhobenen Zeigefinger, aber mit der Anregung, über digitale Balance in der Familie nachzudenken.
Wie verändert sich unser Familienleben durch die Digitalisierung?
Die Digitalisierung verändert unser Familienleben nachhaltig. Dafür gibt es unzählige Beispiele: Mama oder Papa gehen vielleicht nicht mehr morgens aus dem Haus und kommen abends wieder. Dank flexiblem Arbeiten sind sie zu Hause präsenter, holen aus der Kita oder von der Schule ab, begleiten zum Fußballtraining. Dafür müssen sie sich aber auch mal zurückziehen und arbeiten, schauen öfter auf das Smartphone-Display. Ohne den digitalen Familienkalender ist die Organisation von Arztterminen, Kindergeburtstagen und Sportveranstaltungen gar nicht mehr möglich. Auch Kinderserien laufen nicht mehr zu festen Zeiten im Fernsehen, sondern sind immer verfügbar auf dem Smartphone. Vor dieser Entwicklung können wir uns nicht verschließen, sondern müssen eigene Ansätze für den Umgang mit digitalen Medien innerhalb der Familie finden.
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In Elternratgebern wird empfohlen, den Medienkonsum immer aktiv zu begleiten. Gleichzeitig nutzen wir Eltern das Smartphone, um uns Ruhe zu verschaffen – für den Toilettengang oder das Kochen. Darf ich mein Kind überhaupt vor „Peppa Wutz“ parken?
Natürlich ist es in Ordnung, das Kind mal für ein paar Minuten vor das Tablet zu setzen und in Ruhe einen Kaffee zu trinken oder aufzuräumen. Auch sonst muss ich nicht ununterbrochen daneben sitzen und aktiver Teilnehmer des Medienkonsums sein. Es geht aus meiner Sicht eher um eine Fühlnähe – vergleichbar mit dem Schulweg. Am Anfang bringe ich mein Kind noch bis zur Klasse und irgendwann geht es dann allein. Natürlich muss ich mich erst mal mit einer App oder einer Serie beschäftigen, um zu sehen, ob mein Kind vielleicht von Inhalten verunsichert wird oder andere Probleme auftreten. Danach spricht nichts gegen etwas mehr Freiheit für den kindlichen Medienkonsum.
Wie viel Medienkonsum ist in Ordnung und wie richtig sind Verbote und Zeitbegrenzungen?
Netflix und Co. sind keine Babysitter und nicht für einen Dauerkonsum geeignet. Trotzdem halte ich strenge Medienzeiten für Quatsch. Es geht eher darum, die Zeit mit den digitalen Medien sinnvoll zu nutzen. Es ist eben ein Unterschied, ob ich ein lustiges Katzenvideo schaue oder mich mit einer kreativen App beschäftige oder in einem Spiel etwas über den Weltraum erfahre. Ich würde sogar sagen, dass Kinder ab dem vierten Lebensjahr eher zu wenig am Tablet sind als zu viel. Sie machen nur die falschen Sachen. Gleichzeitig finde ich es wichtig und richtig, sich digitale Freiräume im Haus zu schaffen – zum Beispiel kein Smartphone beim Essen. Diese Regeln müssen aber für alle gelten. Immerhin sind wir als Eltern wichtige Vorbilder für unsere Kinder, auch in Sachen Medienkonsum.
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Benjamin Wockenfuß ist Social-Media-Manager und Suchttherapeut. Er lebt mit seiner Frau und drei Söhnen in Bonn. Benjamin leitet das Projekt DigiKids der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen. Als Speaker, Dozent und Coworker ist er bundesweit unterwegs.
© Quelle: Bogdan Harstall
Wie begleitet man seine Kinder auf dem Weg zum „mündigen“ Medienkonsumenten?
Wir müssen aus unserem Elfenbeinturm steigen und uns eingestehen, dass wir die digitale Kompetenz nicht gepachtet haben. Viel wichtiger ist das Interesse an der Lebenswelt meines Kindes. Natürlich muss ich nicht abends die neue Staffel „Peppa Wutz“ oder „Paw Patrol“ auf Kindertauglichkeit prüfen oder, noch schlimmer, mich bei TikTok anmelden und versuchen, so cool wie meine 14-jährige Tochter zu sein. Es macht aber Sinn, gemeinsam mit dem Kind über den Inhalt zu sprechen und zu verstehen, warum das Interesse dafür so groß ist. Hier können wir als Erwachsene auch von unseren Kindern lernen.
Oft heißt es, dass die digitale Welt eine Konkurrenz zur analogen ist. Also wer Fifa spielt, kickt nicht mit Freunden.
Für die allermeisten Kinder trifft das überhaupt nicht zu. Nur weil ich sehe, wie bei „Peppa Wutz“ eine Straße aufgerissen wird, verfliegt doch nicht automatisch die Faszination für echte Baufahrzeuge. Auch viele Kinder und Jugendliche kicken genauso gern auf dem Bolzplatz wie auf der Playstation. Wir wissen, dass nur 1 bis 3 Prozent der Kinder und Jugendlichen wirklich ein Problem mit exzessivem Medienkonsum haben. Eine überwältigende Mehrheit schafft es mal besser und mal schlechter, ausgewogen damit umzugehen, hat aber keine Probleme mit einer vermeintlichen Konkurrenz zwischen analoger und digitaler Welt.
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Viele Eltern haben trotzdem ein schlechtes Gewissen, ihrem Kind ein Smartphone in die Hand zu drücken oder es abends Netflix schauen zu lassen. Woher kommen diese Sorgen?
Das hat unterschiedliche Gründe. Wir erleben einen sehr intensiven Diskurs über Erziehung. Das ist gut und richtig, setzt aber Eltern auch unter Druck und erzeugt Unsicherheiten. Dazu kommt ein digitaler Klimawandel, der uns alle betrifft. Unsere Kinder werden später in Berufen arbeiten, die es noch nicht gibt. Wir müssen sie auf den digitalen Wandel vorbereiten. Gleichzeitig herrscht bei uns Eltern große Unsicherheit über den richtigen Umgang mit Smartphone und Co. Über Themen wie künstliche Intelligenz, Sprachassistenten, das Sammeln von Daten – darüber werden viele Halbwahrheiten verbreitet, eine ernsthafte Auseinandersetzung findet viel zu selten statt. Aus dieser Unwissenheit entsteht schnell das Gefühl, die eigenen Kinder irgendwie vor der Digitalisierung beschützen zu müssen. Hier würde ich mir von den Eltern mehr Selbstbewusstsein bei digitalen Entscheidungen wünschen.
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Benjamin Wockenfuß, Stefanie Messing: Lotta und Klicks. Verlag Friedrich Oetinger. ISBN: 978-3-7891-1351-2 Altersempfehlung: ab 4 Jahren
© Quelle: Oetinger-Verlag
Wie werde ich als Vater oder Mutter zu einem Digitalexperten?
Dafür gibt es im Netz einige gute Anlaufstellen – zum Beispiel Schau hin!, Handysektor oder Klicksafe. Die App-Liste und Spielempfehlungen dort können aber immer nur ein erster Anhaltspunkt sein. Am Ende müssen wir uns als Eltern selbst ein Bild machen und ein Gefühl für passende Angebote entwickeln. Das ist gar nicht so schwierig: Wir kennen unser Kind am besten und können meistens gut einschätzen, ob ein Spiel oder ein soziales Netzwerk passt oder nicht.