Zoff um Grenzkontrollen: Sachsen hofft auf Einlenken des Bundes
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Polizisten kontrollieren an der Kontrollstelle im bayerischen Kiefersfelden an der Autobahn 93 Fahrzeuge, die aus Österreich nach Deutschland kommen. Gerne würde die sächsische Landesregierung auch im Freistaat Grenzkontrollen eingerichtet wissen. Doch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist dagegen. Nun macht Sachsen einen neuen Vorschlag.
© Quelle: Sven Hoppe/dpa
Dresden. Der Brief, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am 16. Mai 2023 nach Sachsen schickte, war freundlich im Ton, aber hart in der Sache. Wie zuerst die „Bild“ berichtete, wies Faeser darin die Forderung von Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) zurück, an den deutschen Außengrenzen zu Tschechien und Polen Grenzkontrollen einzuführen: „Die vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen setzt eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit voraus und hat dabei stets Ultima Ratio Charakter“, schrieb Faeser. Das Migrationsgeschehen an den sächsischen Grenzen gebe das aber nicht her. Von daher seien Grenzkontrollen „derzeit nicht Gegenstand der hiesigen Überlegungen.“
Die Berliner Absage erwischt Sachsen auf dem falschen Fuß. Nach dem Bund-Länder-Gipfel vor knapp zwei Wochen war die Landesregierung davon ausgegangen, dass auch die Bundesregierung auf ihre Linie einschwenken würde. Seit Monaten fordert der Freistaat schließlich Grenzkontrollen. Der Beschluss des Flüchtlingsgipfels enthielt am Ende tatsächlich eine Passage, die man nicht nur in Sachsen als eindeutigen Erfolg wertete: „Lageabhängig wird der Bund das im Verhältnis zu Österreich bestehende Grenzsicherungskonzept auch an anderen Binnengrenzen Deutschlands nach Konsultation mit den betreffenden Ländern der Bundesrepublik Deutschland etablieren.“ Grenzkontrollen, dieser Eindruck herrschte in Dresden vor, seien im Grunde nur eine Frage der Zeit.
Schuster drängt weiter auf Kontrollen an der polnischen Grenze
Faesers Brief sorgt nun für Katerstimmung. Die Landesregierung versucht jetzt wenigstens einen Teil der ursprünglichen Forderungen zu retten. Innenminister Schuster vermied am Dienstag allzu polternde Töne in Richtung Berlin. Im Gegenteil, er verteidigte seine Amtskollegin Faeser ein Stück weit: „Ich kann mit der Bundesinnenministerin mitgehen, wenn wir an der Grenze zur Tschechischen Republik zunächst keine stationären Grenzkontrollen vornehmen. Die Zahl der Zugänge über diese sächsischen Grenzabschnitte erfolgt aktuell nicht in der Höhe wie an der Grenze zu Polen und zu Österreich.“ Er vertraue darauf, dass Tschechien weiterhin „intensiv eigene Anstrengungen“ unternehme, um den illegalen Grenzübertritt nach Deutschland zu reduzieren.
Dann folgte das Aber in Schusters Ausführungen. Mit Blick auf die deutsch-polnische Grenze in Sachsen kommt er zu einer ganz anderen Lageeinschätzung als Faeser: „Die Zugangszahlen liegen hier deutlich höher als an den Grenzen zur Tschechischen Republik, Österreich oder der Schweiz. Die Lage an der deutsch-polnischen Grenze spiegelt exakt die Einschätzung der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler am 10. Mai wider.“
In Sachsen blickt man neidisch nach Bayern
In Sachsen ärgert man sich besonders, dass Faeser nicht sauber argumentiere. Die Bundesinnenministerin begründete ihre Ablehnung von Grenzkontrollen nämlich unter anderem mit einer rückläufigen Entwicklung der irregulären Migration an der deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenze: Im ersten Quartal 2023 seien die Zahlen im Vergleich zum vierten Quartal 2022 zurückgegangen.
Im Freistaat hält man diesen Vergleich für unseriös. Wenn schon, dann müsse man die Zahlen mit demselben Vorjahresquartal vergleichen, heißt es. Zudem habe die Bundespolizei im März 1600 Personen an den sächsischen Grenzen aufgegriffen, im April seien es schon 2500 Personen gewesen. Und die Sommermonate, in denen die Flüchtlingszahlen anstiegen, kämen erst noch. Wie wirksam dagegen Grenzkontrollen seien, sei in Bayern zu merken, wo seit 2015 Kontrollen am Übergang zu Österreich die Regel sind. Rund 15.000 Zurückweisungen gab es dort im vergangenen Jahr – beispielsweise weil Personen schon in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt hätten.
Gemeinsamer Termin der Innenminister in Tschechien
Innenminister Schuster hofft deswegen, dass Berlin seine Haltung überdenkt. Er will mit Faeser in dieser Woche noch einmal das direkte Gespräch suchen. Am Freitag wird sich die Bundesinnenministerin in Petrovice vom Geschehen an der deutsch-tschechischen Grenze selbst ein Bild machen. Auch Schuster wird zugegen sein. Eigentlich hätte am Mittwoch ein ähnlicher Termin auf der anderen Seite der Oder, im polnischen Świecko, stattfinden sollen. Er wurde allerdings am Dienstagnachmittag kurzfristig abgesagt.
Vielleicht bringt auch die Haltung der SPD-geführten Bundesländer die Sozialdemokratin Faeser ins Grübeln. Denn beim Flüchtlingsgipfel waren die Grenzkontrollen unter den Ländern durchaus Konsens – egal, welche Partei die Regierungschefin oder den Regierungschef stellte.
Bedenken, dass mögliche Kontrollen zu Staus auf den Autobahnen führen, hatte Schuster bereits nach dem Flüchtlingsgipfel zurückgewiesen: „Ich kenne die Bundespolizei und sehe nicht das Problem, dass es durch die Kontrollen zu kilometerlangen Staus an der Grenze kommen wird. In Bayern werden Grenzkontrollen seit sieben Jahren durchgeführt, ohne dass die Bevölkerung sich massiv beklagt.“ Nun muss er nur noch Nancy Faeser überzeugen.