Sie haben Minderwertigkeitskomplexe? Wunderbar!
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/GCJIIA7ZDJDRREVHS4XFYUS6XI.jpg)
Es ist gut, sich hin und wieder selbst infrage zu stellen.
© Quelle: Kazi Mizan/Unsplash
Leiden Sie unter Minderwertigkeitskomplexen? Falls ja, gratuliere ich. Denn es ist ein gutes Zeichen, wenn Sie erkennen, dass Sie im Leben noch Luft nach oben haben. Der Psychologe Alfred Adler hat das Wort Minderwertigkeitskomplex geprägt und deutlich gemacht, dass es sich dabei um etwas Natürliches und Gesundes handelt. Ein Mensch kommt unfertig zur Welt, und er strebt nach mehr Vollkommenheit. Das ist wunderbar.
In der Beratung fallen mir immer wieder Menschen auf, die sich schon für ziemlich toll, ja, für fast vollkommen halten. Sie singen Loblieder auf ihre Qualitäten und sind der Meinung, ihren Job aus dem Effeff zu beherrschen. Kein Problem, das sie nicht schon gelöst, kein Projekt, das sie nicht schon gestemmt, kein Kunde, den sie nicht schon überzeugt haben. Sie glauben, nicht mehr dazulernen zu müssen, weil sie schon alles können. Sie sehen sich auf der höchsten Sprosse der Entwicklungsleiter, sogar dann, wenn sie auf der Karriereleiter noch weit unten stehen. Im Zweifel liegt das nicht an ihnen, sondern sie fühlen sich von ihrer Führungskraft, ihrer Firma, ja von der ganzen Welt verkannt.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DMGOZCVWFNFMJBUMXEZCJBR5CM.jpg)
Das Leben und wir
Der Ratgeber für Gesundheit, Wohlbefinden und die ganze Familie - jeden zweiten Donnerstag.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Wachsen heißt jeden Tag dazulernen
Wahr ist: Solche Menschen liegen fast immer daneben. Sie baden in Selbstgefälligkeit und überschätzen sich selbst. Wer glaubt, nichts mehr dazulernen zu müssen, ist nicht besonders perfekt, im Gegenteil. Oft handelt es sich um eine unbewusste Selbsttäuschung: Ein Mensch spielt sich und der Welt Perfektion vor, nur um seine in Wahrheit großen Angriffsflächen zu verbergen. Das ist das Geschäftsmodell, nach dem alle Narzissten kommunizieren.
Dabei besteht Wachstum im Beruf und auch im Leben darin, dass man jeden Tag dazulernt. Das setzt Offenheit voraus. Die beste Haltung, um zu wachsen, hat der Philosoph Sokrates schon vor über 2000 Jahren formuliert: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
Ein Zeichen von Stärke
Das bedeutet: Wenn Sie sich für nicht perfekt halten, wenn Sie noch mehr erreichen wollen, wenn Sie mit sich in etlichen Punkten unzufrieden sind – dann ist das eben kein Zeichen für Schwäche, sondern für Stärke. Entscheidend ist die Frage: Wie gehen Sie mit der Diskrepanz zwischen Ihrem Wunsch und der Wirklichkeit um?
Möglichkeit eins: Sie tragen Ihre Schwächen vor sich her und geben der Welt zu erkennen, dass Sie an sich zweifeln. Das ist keine gute Idee, schon gar nicht im Karriererennen. Klüger ist die zweite Möglichkeit: Sie konzentrieren sich auf Ihre Stärke, darauf, dass Sie ein entwicklungsbereiter Mensch sind und Tag für Tag wachsen. Denken Sie darüber nach, was Sie jeden Monat, jede Woche, jeden Tag im Beruf dazulernen.
Dieses Selbstbild voller Lernbereitschaft verkörpern Sie auch nach außen. So wird das Minderwertigkeitsgefühl zu einem wunderbaren Motor, der Ihre menschliche und berufliche Reife voranbringt und Ihnen Erfolge beschert.
Von wem können Sie heute etwas lernen?
Achten Sie doch mal im Laufe des heutigen Tages darauf, was Sie tun können, um zu wachsen und zu reifen. Gibt es Wissen, das Sie sich aneignen wollen? Wo genau finden Sie diese Informationen? Gibt es jemanden, von dem Sie lernen können? Und wie können Sie am besten von diesem Vorbild profitieren? Welche Haltung, welche Gedanken, welche Worte und welche Taten lassen Sie wachsen? Suchen Sie überall nach Lerngelegenheiten. Wer springen will, muss vorher in die Knie gehen.
Martin Wehrle ist Karrierecoach, sein aktuelles Buch heißt „Wenn jeder dich mag, nimmt keiner dich ernst – Sagen, was man denkt. Bekommen, was einem zusteht“ (Mosaik, 2023).
In der Kolumne „Auf der Couch“ schreiben wechselnde Experten und Expertinnen zu den Themen Partnerschaft, Achtsamkeit, Karriere und Gesundheit. Martin Wehrle ist Karriereberater.