Hierarchien am Arbeitsplatz: vom Umgang mit Kaisern und Würmern
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Wer mit guten Argumenten überzeugt, bleibt der Chefin länger im Gedächtnis.
© Quelle: Headway/Unsplash
„Ein wahrhaft großer Mann wird weder einen Wurm zertreten noch vor einem Kaiser kriechen“, sagte Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA. Ein solches Verhalten bringt Ihnen im Beruf Respekt ein, übrigens auch als (große) Frau: dass Sie vor den Mächtigen nicht kriechen und die Ohnmächtigen nicht treten.
Die meisten Führungskräfte schätzen konstruktive Kritik
Konkret gefragt: Was tun Sie, wenn ein Vorgesetzter Ihnen eine Anweisung gibt, die Sie für unsinnig halten? Setzen Sie den Befehl einfach um, weil er von oben kommt? Täuschen Sie vielleicht sogar vor, die schlechte Idee für gut zu halten, weil Ihnen das bessere Karrierechancen verspricht? Dieses Verhalten ist allzu menschlich, viele sagen sich: „Es bringt ja ohnehin nichts, wenn ich widerspreche, ich habe hier nichts zu melden. Und dann bringe ich meinen Chef auch noch gegen mich auf.“
Dahinter steckt der Glaubenssatz „Wenn ich widerspreche, mache ich mich unbeliebt.“ Aber in den meisten Fällen stimmt das nicht. Es gibt etliche Führungskräfte, die es schätzen, wenn Mitarbeiter ihre wahre Meinung sagen. Eine Managerin sagte mal zu mir, begründeter Widerspruch gebe ihr die Chance, ihren Standpunkt zu erklären und auch mögliche Schwachstellen zu entdecken.
Wer zu seiner Meinung steht, erntet nicht selten Lob
Entwickeln Sie also den Mut, Ihre konstruktive Meinung auch dann zu sagen, wenn sie einer Autorität widerspricht. Das können Sie einleiten mit einem Satz wie „Ich bin nicht sicher, ob diese Idee funktionieren wird – wollen Sie hören, was ich darüber denke?“. Das ist gut, weil Sie nicht die Person, sondern ihre Idee in den Mittelpunkt stellen – also sehr sachlich sind. Und weil Sie auch nicht sagen, dass die Idee falsch ist, sondern nur ganz subjektiv: „Ich bin nicht sicher …“ Und zudem holen Sie sich das Okay ein, Ihre Meinung vorzubringen. Und jetzt frage ich Sie: Wer wird dem Manager länger in Erinnerung bleiben und mehr Respekt von ihm bekommen – jemand, der den Auftrag einfach kopfnickend umsetzt, wie alle anderen? Oder jemand, der eine gut begründete Gegenmeinung formuliert? Wenn Sie dazu stehen, hebt Sie das oft positiv ab und kann Ihnen Karrierevorteile bringen.
Ein respektvoller Umgang mit allen Mitarbeitenden
Aber Franklin rät nicht nur davon ab, vor einem Kaiser zu kriechen, sondern auch, einen Wurm zu zertreten. Im Berufsleben bedeutet das: Behandeln Sie Menschen, die in der Hierarchie unter Ihnen stehen, genauso respektvoll wie solche über Ihnen. Wer das nicht tut, begibt sich auf dünnes Eis. Zum Beispiel wurde ich Zeuge, wie ein Topmanager ins Bewerbungsgespräch kam. Er war ein gefragter Mann in der Branche und stand ganz oben auf der Liste der Wunschkandidaten. Das Gespräch lief gut. Doch unmittelbar danach betrat die Chefsekretärin den Raum und erwähnte, dass der Kandidat sie hochnäsig und herablassend behandelt hatte. Diese Frau war über 20 Jahre im Haus und genoss hohes Ansehen. Damit hatte sich der Manager als Bewerber selbst erledigt. Es liegt auf der Hand, dass die Sache anders gelaufen wäre, wenn die Sekretärin gesagt hätte: „Was für ein netter und zuvorkommender Mann!“
Wer der Meinung ist, er dürfe „Würmer“ zertreten, schadet nicht nur den sozial Schwächeren, sondern auch sich selbst. Wer sich unbeliebt macht bei seinen Mitarbeitern, hat am Ende nur noch Gegenarbeiter. Aber wer Schwache unterstützt, darf sich deren Unterstützung sicher sein – und macht sie und sich damit stärker.
Martin Wehrle ist Karrierecoach und Bestsellerautor. Sein aktuelles Buch: „Den Netten beißen die Hunde: Wie Sie sich Respekt verschaffen, Grenzen setzen und den verdienten Erfolg erlangen“.
In der Kolumne „Auf der Couch“ schreiben wechselnde Experten zu den Themen Partnerschaft, Achtsamkeit, Karriere und Gesundheit. Martin Wehrle ist Karriereberater.