Studie über Multitasking und fokussiertes Arbeiten

„Der Vormittag ist am besten geeignet, um konzentriert zu arbeiten“

Konzentriertes Arbeiten ist vor allem in den ersten Stunden des Arbeitstags möglich.

Konzentriertes Arbeiten ist vor allem in den ersten Stunden des Arbeitstags möglich.

In vielen Berufen sind Telefonate, E-Mails und Firmenchats fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Auch das Smartphone ist längst allgegenwärtig, berufliche und private Angelegenheiten vermischen sich dabei ständig. Die Unterbrechungen sind für die meisten Arbeitnehmenden nicht außergewöhnlich. Doch konzentriertes Arbeiten ist so kaum noch möglich. Wie viel Zeit, Energie und Produktivität dadurch verloren geht, hat jetzt eine Studie des Thinktanks Next Work Innovation ermittelt.

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Für die Untersuchung haben 637 in der Wissensarbeit tätige Personen aus 25 Unternehmen Tagebuch geführt. Auf einer Strichliste notierten sie drei Tage lang in einem bestimmten Zeitraum jede Unterbrechung und gaben die Daten in einer App ein. Das Forschungsteam hat die Aufzeichnungen anschließend genauer untersucht und verschiedene Ursachen für die Unterbrechungen ermittelt.

Beschäftigte werden alle vier Minuten in ihrer Tätigkeit unterbrochen

Die Ergebnisse wirken erschreckend: Rund 15-mal pro Stunde wurden die Teilnehmenden in ihrer Tätigkeit unterbrochen, also alle vier Minuten. Aus den Daten ging auch hervor, dass die Beschäftigten zweimal pro Stunde versuchten, mehrere Aufgaben, bei denen Konzentration nötig ist, gleichzeitig zu bearbeiten. 1,5 Tage pro Woche verbrachten die Befragten in Meetings. Sie gaben an, dass 35 Prozent dieser Meetings entfallen könnten, weil sie keine Relevanz für ihre Tätigkeit haben.

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„Es braucht ein größeres Bewusstsein für das Thema“, sagt Studienleiterin und Wirtschaftspsychologin Vera Starker. Sie weist darauf hin, dass der Anteil von Wissensarbeit seit Jahren an Bedeutung gewinnt. Laut der Statistikbehörde Eurostat betrug der Anteil von wissensintensiven Dienstleistungen an der Gesamtbeschäftigung in Deutschland im Jahr 2020 rund 42 Prozent. Dazu zählen etwa Tätigkeiten im Bereich Forschung, Bildung und Erziehung, Gesundheit, Rechts- und Steuerberatung, Werbung und andere kreative und künstlerische Arbeit.

Obwohl es bei diesen Tätigkeiten besonders auf konzentriertes Arbeiten ankommt, sei der Alltag in vielen Unternehmen geprägt von Lärm in Großraumbüros, Fragmentierung, Multitasking, ineffizienten Meetings und einer Kultur der ständigen Erreichbarkeit, heißt es in der Studie. Das Forschungsteam um Vera Starker machte aber nicht nur eine Bestandsaufnahme, sondern listet auch eine ganze Reihe an Vorschlägen auf, um eine störungsfreie Arbeitskultur zu fördern. Dazu gehören zum Beispiel eine radikale Meetinginventur, die Überlegung, welche digitalen Tools wirklich nützlich sind, sowie die Einführung von Fokuszeiten.

Left to right: BJ NOVAK as Ryan Howard, RAINN WILSON as Dwight Schute, STEVE CARELL as Michael Scott, JOHN KRASINSKI as Jim Halpert and JENNA FISCHER as Pam Beesly on 'The Office: An American Workplace. Date: 30.12.2004.

Warum Empathie für Führungskräfte unverzichtbar ist

Ob sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen, hängt Studien zufolge in großem Maß vom Verhältnis zu direkten Vorgesetzten ab. Einfühlungsvermögen ist deshalb eine der wichtigsten Eigenschaften für Führungskräfte, die allerdings oft unterschätzt wird. Das kann Unternehmen Millionen kosten – ein Teil der Lösung könnten mehr Chefinnen sein.

Die optische Wahrnehmung des Smartphones genügt schon, um uns abzulenken

Um konzentriert zu arbeiten, rät Vera Starker dazu, Mailprogramme zu schließen und das Smartphone nicht nur auszuschalten, sondern ganz wegzulegen. Die optische Wahrnehmung des Handys reiche schon aus, um uns abzulenken. „Das Belohnungserwartungssystem bringt uns dazu zu denken: Schau doch mal rein.“ So stark sei die Interaktion mit dem Handy automatisiert. Das führe dazu, dass wir die Ablenkung aus Gewohnheit oft selbst suchen, auch wenn das Handy gar nicht piept.

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„Für das Gehirn ist nicht die Länge der Unterbrechung entscheidend“, sagt Starker. Schon nach einer Störung von wenigen Sekunden benötige das Gehirn Zeit und Energie, um sich neu zu fokussieren. Daneben sei auch der aufgeräumte Schreibtisch wichtig. „Alles, was reizarm ist, hilft uns.“ Man könne auch aktiv an der Konzentrationsfähigkeit arbeiten, etwa durch Lesen: „Wenn ich mir wieder angewöhne, am Stück länger zu lesen, trainiert das die Konzentration.“

Wir könnten die Vier-Tage-Woche ohne Probleme durch mehr konzentriertes Arbeiten gegenfinanzieren.

Vera Starker, Wirtschaftspsychologin

Vera Starker betont aber zugleich, dass konzentriertes Arbeiten keine individuelle Angelegenheit sei, sondern in der Verantwortung von Unternehmen liege. Teams könnten zum Beispiel ausmachen, dass sie jeden Tag zwei Stunden für ungestörte Fokuszeit einrichten.

Aus ihrer Sicht könnte mehr konzentriertes Arbeiten erhebliche Produktivitätsgewinne für Unternehmen bringen. „Wir könnten die Vier-Tage-Woche ohne Probleme durch mehr konzentriertes Arbeiten gegenfinanzieren.“ Das Forschungsteam hat ermittelt, dass Beschäftigte rund fünf Arbeitstage pro Monat durch Multitasking und Unterbrechungen verlieren. Pro Jahr bedeute das für deutsche Unternehmen Kosten in Höhe von etwa 114 Milliarden Höhe.

Wer morgens viel schafft, geht ohne Druck in den Nachmittag

Vera Starker, die auch als Beraterin tätig ist, erlebt häufig ein Aha-Erlebnis bei Firmen und Beschäftigten, wenn diese sich darüber klar werden, dass die Dauerpräsenz von Smartphone, E-Mails und Firmenchat keineswegs normal ist. „Wir können es steuern und gemeinsam überlegen: Was können wir rauswerfen? Wo können wir uns stärker fokussieren? Das kann auch richtig Spaß machen“, sagt die Wirtschaftspsychologin.

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Wenn es Beschäftigten gelingt, Freiräume für ungestörtes Arbeiten zu schaffen, heißt das aber nicht, dass die Konzentration unmittelbar einsetzt. Sie müssten auch Strukturen schaffen, die der eigenen Arbeitsweise entgegenkommt, sagt Starker. „Der Vormittag ist in der Regel am besten geeignet, um konzentriert zu arbeiten“, sagt sie. Morgens sei der Cortisolspiegel am höchsten. Cortisol ist als Stresshormon bekannt, reguliert aber auch den Schlaf-Wach-Rhythmus. Neben der Tageszeit sei die Etablierung von Routinen von besonderer Bedeutung. „Die permanente Frage, was ich als nächstes mache, verbraucht Energie und Willenskraft.“ Je mehr Willenskraft jemand verbrauche, umso weniger Ressourcen stehen für Konzentration zur Verfügung. „Routinen erleichtern es mir, weniger mit mir selbst zu diskutieren“, sagt Starker.

Nach einer konzentrierten Arbeitsphase am Morgen empfiehlt sie eine ausgedehnte Mittagspause – ohne digitale Medien. Der Nachmittag könnte dann stärker für Telefonate, Austausch oder spontane Ideen genutzt werden. „Weil wir morgens schon ein Tagwerk vollbracht haben, haben wir dann schon das Gefühl, viel geschafft zu haben.“ Dadurch können die Arbeitnehmenden ohne Druck in den Nachmittag gehen. Oder in den frühen Feierabend.

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