Die reinste Landlust: So schön werden die neuen Dachgärten von Paris
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Grüne Räume über Mietskasernen: Dachgärten gibt es auch in den Vorstädten.
© Quelle: Jean-Pierre Viguié, Culture senville
Sie filtern und reinigen die Luft, geben Sauerstoff ab und reagieren weitaus sensibler auf ihre Umwelt, als es ihre vermeintliche Unerschütterlichkeit vermuten lässt. „Wir, die Bäume“ heißt eine aktuelle Ausstellung in der Fondation Cartier pour l’art contemporain, einem Museum für zeitgenössische Kunst in Paris. Sie präsentiert Bäume als faszinierende Organismen, deren Intelligenz, Kraft und Anpassungsfähigkeit die Menschen oft unterschätzen.
Die Natur wird aufgewertet
In ihrem Klimaschutzplan hat sich die Stadtregierung vorgenommen, zwischen 2018 und 2024 insgesamt 100 Hektar neuer Grünflächen zu schaffen – und ein Drittel davon für urbane Landwirtschaft freizugeben. Bis 2020 will sie zusätzlich 20.000 Bäume pflanzen und 100 Hektar an Dächern, Fassaden und Mauern begrünen.
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Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die aus der Klimaschutz- und Umweltpolitik in der stark verschmutzten und verdichteten Metropole eine Priorität macht, hat ihre Wiederwahl im März 2020 im Blick. Wohl auch deshalb verspricht sie den Aufbau von vier „Stadtwäldern“ und kündigt die Begrünung des Bereichs um den Eiffelturm an.
Die weltweit größte Dachfarm ensteht im Südwesten von Paris
Schlagzeilen macht daneben insbesondere ein anderes Ökoprojekt vor allem durch seine schieren Ausmaße: Auf dem Dach eines neuen Gebäudes auf dem Messegelände Porte de Versailles im Südwesten von Paris entsteht demnächst die weltweit größte Dachfarm. Auf 14.000 Quadratmetern Fläche, also knapp der Größe von zwei Fußballfeldern, wachsen vom nächsten Frühjahr an rund 30 verschiedene Sorten Obst, Gemüse und Aromapflanzen; die ersten werden jetzt ausgesät. Nicht die Stadt selbst betreibt das Projekt, sondern die Unternehmen Agripolis, Spezialist für urbane Landwirtschaft, und Cultures en Ville, zuständig für Veranstaltungen und Workshops. 22 Gärtner werden angestellt, um die Flächen zu bewirtschaften, die während der Hauptsaison bis zu eine Tonne Obst und Gemüse pro Tag abwerfen sollen.
Verkauft werden die frischen Produkte an Besucher vor Ort sowie an Supermärkte, Restaurants, Hotels und Kantinen im näheren Umkreis, sagt Agripolis-Chef Pascal Hardy. Durch die kurzen Vertriebswege wolle man zu einem „weltweit anerkannten Modell für nachhaltige Produktion“ werden. Pestizide oder chemische Produkte würden nicht verwendet, das Biosiegel gibt es dennoch nicht. Es gilt in Frankreich nur für am Boden gepflanzte Lebensmittel – auf der Dachfarm aber sollen die Pflanzen mit der sogenannten Hydroponik-Anbaumethode vertikal aufgehängt und so fixiert werden, dass ihre Wurzeln ständig in einem geschlossenen Behälter von einem Gemisch aus Wasser und biologischen Nährstoffen ernährt werden.
Die Natur soll nicht länger aus der Stadt gedrängt werden
Auf Grünflächen zwischen den Feldern dürfen sich darüber hinaus Insekten und Bienen tummeln. Bienenstöcke auf den Dächern von Paris, darunter so prominente wie jene der Alten Oper oder des Ausstellungsgebäudes Grand Palais, nehmen schon seit Jahren zu. Sie sind der sichtbare Ausdruck des Bemühens, die Natur nicht mehr länger aus der Stadt zu drängen, sondern zumindest in geringem Umfang und manchmal auf symbolische Weise zurückzubringen.
Rentabel werden wollen die Chefs des Urban-Farming-Projektes auf dem Messegelände bereits im nächsten Jahr – auch dank eines umfangreichen Vermarktungskonzepts. Anwohner können Felder mieten, um dort ihre eigenen Karotten, Küchenkräuter und Erdbeeren anzubauen, Unternehmen können Gruppenworkshops für ihre Mitarbeiter organisieren, auch Schulklassen sollen regelmäßig auf die Felder in luftiger Höhe eingeladen werden. Auf einer Panoramaterrasse mit Bar und Restaurant entsteht Platz für 300 Gäste. Die Zutaten für die Gerichte wiederum stammen idealerweise von der Dachfarm nebenan. Mit 10.000 Besuchern pro Jahr rechnen die Betreiber.
Wer Bioprodukte kauft, wird auch die Dachgärten lieben
Zwar sind die Preise für das Restaurant, die Gemüsekörbe oder das Mieten einzelner Felder noch nicht bekannt. Allerdings dürfte das Angebot insgesamt vor allem die zahlungskräftige Bevölkerung ansprechen. Also jene Leute, die sich schon jetzt die in Frankreich vergleichsweise hochpreisigen Bioprodukte leisten können und in der Umgebung der Messehallen im Südwesten von Paris leben – einem teuren Pflaster, das nicht eben für seine soziale Durchmischung bekannt ist.
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Und so schön grün das Projekt auch klingt – vor zu hohen Erwartungen wird dennoch gewarnt. In der Stadt zu produzieren sei in Frankreich deutlich teurer als auf dem Land, gibt Grévoire Bleu zu bedenken, Präsident der französischen Vereinigung für urbane Landwirtschaft: „Sehr wenige Projekte sind rentabel, und 80 Prozent davon gehen im ersten Jahr wieder ein.“ Urbane Landwirtschaft sei zwar innovativ, sagt auch der Agrarwissenschaftler Nicolas Bricas, aber jene auf den Feldern im Land ernähre weiterhin den Großteil der Menschen: „Wir müssen mehr Solidarität zwischen den Städten und den abgelegenen ländlichen Gebieten schaffen.“
Vielleicht ist es ja ein Anfang, dass jetzt ein wenig mehr Land in die Stadt kommt.