Zu Hause bei Andreas Führlich: So wohnt der Vorstand des Sonnenstrahl e. V. Dresden

Es ist Montagmittag und über Radebeul-Ost hat sich bereits eine vorweihnachtliche Ruhe gelegt. In der Wohnung von Andreas Führlich angekommen, ist es jedoch vorbei mit der Stille. Die Kinder sind ganz aufgeregt, dass „die Presse“ heute kommt und haben Salzstangen als Willkommensgeschenk vorbereitet. Im Dachgeschoss bei den Führlichs ist es bunt. Im Flur regiert grün, das Wohnzimmer ist in hellem Lila gehalten. Dort hält sich Andreas Führlich derzeit am meisten auf. Der Esstisch wurde kurzerhand zum Schreibtisch umfunktioniert, denn aufgrund der Coronapandemie arbeitet er im Homeoffice. Hauptamtlich bei einer Unfallversicherung, ehrenamtlich als Vorstand beim Sonnenstrahl e. V. Homeoffice auf Olaf Böhmes Stuhl: Fan vom Homeoffice ist Andreas Führlich nicht. „Es ist nicht immer leicht, mit den zwei Wirbelwinden im Haus“, sagt er und deutet auf seine Kinder. Die lautstark widersprechen. Die provisorische Einrichtung des Arbeitsplatzes hat eine Besonderheit. Auf den ersten Blick sieht der Bürostuhl zwar gewöhnlich und auch schon etwas abgenutzt aus, doch die Gebrauchsspuren stammen von niemand Geringerem als Olaf Böhme. Der Schauspieler und Kabarettist erlag im Frühjahr 2019 seiner Krebserkrankung. Um den Nachlass sollte sich der Sonnenstrahl e. V. kümmern. Als alles abgewickelt und versteigert war, wäre der hellbraune lederne Bürostuhl beinahe auf dem Müll gelandet. „Da habe ich ihn dann mit nach Hause genommen“, erinnert sich Andreas Führlich. Seitdem leistet ihm der Stuhl treue Dienste, auch wenn er nicht so ergonomisch ist, wie ein Bürostuhl vielleicht sein sollte. Eine Fahrradtour zum Mutmachen: Gleich neben dem Arbeitsplatz steht Andreas Führlichs liebste Freizeitbeschäftigung: das Rennrad. Derzeit ist es auf eine Rolle gespannt, damit er auch drinnen damit fahren kann. „Wenn die Kinder im Bett sind“, ergänzt der Familienvater. Darüber hängt ein buntes Trikot mit der Aufschrift „Regenbogenfahrt“. Unter dem Motto „Wir haben es geschafft, du schaffst es auch!“ findet die Radtour der Deutschen Kinderkrebsstiftung jedes Jahr statt. Mit dem Rennrad zur Kinderonkologie: Zehn Jahre lang ist Andreas Führlich nicht nur mitgefahren, er hat die Tour auch mit organisiert. Von einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter genesene Menschen nehmen an dieser Fahrt teil und besuchen verschiedene Krankenhäuser, um den Erkrankten dort Mut zu machen. In diesem Jahr war natürlich auch hier alles anders. Und eine zusammenhängende Tour konnte aufgrund von Corona nicht stattfinden. „Das Infektionsrisiko in den einzelnen Kliniken wäre zu hoch gewesen“, erklärt Andreas Führlich. Stattdessen sind die Teilnehmer zu der Klinik in ihrer jeweiligen Heimatstadt gefahren. „Dadurch konnten viel mehr Kinderonkologien angefahren werden als sonst“, ergänzt er. Führlich selbst fuhr von Radebeul nach Dresden und besuchte im Uniklinikum die krebskranken Kinder. Als Organisator ist er zurückgetreten, als seine Tochter Amelie vor zwei Jahren in die Schule kam. Die schönste Trophäe: Das Wohnzimmer ist nicht nur mit Familienbildern geschmückt. Auch vier Trophäen fallen ins Auge. Obwohl sie ganz oben auf dem Regal verstau(b)t sind. Die erste ist die Auszeichnung „HelferHerzen“. Diese bekam Andreas Führlich vor rund vier Jahren für sein ehrenamtliches Engagement, wie er erzählt. Daneben steht der Förderpreis für krebskranke Kinder und Jugendliche – „ein Dankeschön für die Organisation der Regenbogenfahrt“, sagt Führlich bescheiden. Auch die Dankesmedaille für zehn Jahre Regenbogenfahrt reiht sich in die Trophäensammlung ein. Die vierte im Bunde sei seine wertvollste Auszeichnung: „Die Figur, die auf unserer Hochzeitstorte stand.“ Schulzeug, Malbuch, Erinnerungsfoto: Während wir uns über die Regenbogenfahrt und die Auszeichnungen unterhalten, werden die Kinder immer ungeduldiger, wollen doch endlich ihre Zimmer zeigen. Also los. Die achtjährige Amelie führt uns in ihr rosa Reich. Auf dem Schreibtisch liegen noch diverse Schulutensilien, die man für die 2. Klasse eben braucht. Daneben ein Ausmalbuch, denn Amelie malt gern, wie sie sagt. „Aber das Tablet gehört auch zu deinen Lieblingsbeschäftigungen, sei ruhig ehrlich“, sagt Papa Andreas und lacht. „Diese Technik kann man von den Kindern kaum noch fernhalten“, gibt er zu. Gerade jetzt sei es die einzige Möglichkeit, wie die Tochter den Kontakt zu den Freunden halten könne. Zwischen den Jahren öffnen Künstler, Manager, Sportler, Vertreter der Kirche und weitere Persönlichkeiten den DNN die Türen ihres Zuhauses. Zuhause bei Künstler Stephan Bubner: „Ich möchte ein Weiter“ Zwischen Spielzeug und Auszeichnungen: So wohnt der Vorstand des Dresdner Sonnenstrahl e. V. Zuhause bei Thomas Geisler, dem Leiter des Dresdner Kunstgewerbemuseums Zuhause im Zug: Warum der Speisewagen für Jaroslav Rudiš ein Sehnsuchtsort ist Gräfin Cosel und August der Starke bitten zur Audienz unters Dach Alle „Zuhause bei...“-Folgen der vergangene Jahre finden Sie in unserem Special Während ich die Spielsachen inspiziere und mich an meine eigene Playmobilsammlung zurückerinnere, sitzt Amelie am Schreibtisch und malt. Vor ihr steht ein Foto. „Das ist ihre Uroma“, sagt Andreas Führlich. Sie lebte im Pflegeheim, doch hielt mit Amelie regen Briefkontakt. Der letzte Brief erreichte die Achtjährige am Todestag der Uroma. Geblieben ist die Erinnerung und das Foto, das Amelie täglich betrachten kann. Videokonferenz mit ungewöhnlicher Deko: Als wir das Kinderzimmer wieder verlassen, schwebt ein Einhorn-Luftballon über uns. Ein Überbleibsel von Amelies Geburtstag, der bis vor kurzem noch im Wohnzimmer hing. „Das sorgte für Lacher bei der Videokonferenz“, erinnert sich Andreas Führlich. Nun sind aber endlich Albert und sein blaues Reich dran. Der Dreijährige hatte die Wartezeit kaum ausgehalten, bis er an der Reihe war, seine Spielsachen zu zeigen. Und nun weiß er gar nicht so recht, wo er anfangen soll. Wie auch bei der großen Schwester hängt hier ein Regal voller bekannter Kinderfiguren. Benjamin Blümchen, Aladdin und Bibi Blocksberg. Dahinter versteckt sich ein System, was momentan das „Must have“ unter den Kids ist: die sogenannten Tonie-Figuren. Jede davon kann man auf eine spezielle Musikbox stellen und dann erklingt entweder ein Lied oder eine Geschichte. Die Figuren werden munter zwischen den Kindern hin und her getauscht, sagt der Vater. Nebenbei kramt Albert in seinen Spielkisten, schiebt die Lokomotive übers Fensterbrett und präsentiert stolz sein Polizeiauto, das es in diesem Jahr vom Nikolaus gab. Erinnerungen in der Blechkiste: Direkt gegenüber der zweiten Kinderzimmertür steht ein Regal – vollgepackt mit DVDs und Büchern. Winnetou, James Bond und die Eiskönigin. Alles viel gesehene Filme im Hause Führlich. Neben dem Regal ruht eine leicht verbeulte Blechkiste. „Das ist meine Memorial-Kiste“, sagt Andreas Führlich. Hier bewahrt er sämtliche Erinnerungen auf, von denen er sich nicht trennen kann. Beispielsweise seine Schleife vom letzten Tropf, die er während seiner Krebsbehandlung bekam. „Diese wurde immer von der Lieblingsschwester gebunden“, erinnert er sich. Außerdem ist hier der Mitgliedsausweis der Freiwilligen Feuerwehr sicher verwahrt. Dieses Ehrenamt musste Andreas Führlich aufgrund seiner Krebserkrankung aufgeben. Um den Knochenkrebs zu besiegen, musste ihm das rechte Kniegelenk entfernt und durch ein künstliches ersetzt werden. Eine Trommel, ganz oben auf dem Regal, passt nicht in die Erinnerungskiste, gehört aber auch dazu. Die erinnert Andreas Führlich an seine Anfänge beim Sonnenstrahl e. V. Damals war er Mitglied in einer Jugendgruppe, in der sie die Trommeln gebastelt haben. Warum diese ganz oben auf dem Regal steht, ahne ich, als die Kids das Teil entdecken und lostrommeln. „Die beiden finden es toll“, sagt Andreas Führlich und lacht. Vom Nie-Nein-Sagen: Mit der Jugendgruppe fing also alles an. Nun ja, eigentlich mit dem Krebs. Denn der Sonnenstrahl e. V. kümmert sich um erkrankte Kinder und Jugendliche sowie um deren Familien. So fand auch Andreas Führlich 1994 Halt und Hilfe bei dem Verein. Und ist inzwischen Vorstandsvorsitzender. „Ich hab’ einfach nie Nein gesagt“, sagt Andreas Führlich und schmunzelt auf die Frage, wie es dazu gekommen ist. In all den Jahren ist das Ehrenamt zu einem festen Bestandteil seines Lebens geworden. Auch wenn das weniger Zeit für die Familie bedeutet. Doch seine Frau Antje halte ihm immer den Rücken frei, sagt er. Manchmal nimmt er seine Familie auch mit, beispielsweise zur alljährlichen Wochenendfahrt nach Sayda. Andreas Führlich nimmt mich bei Kaffee am Küchentisch mit auf eine kleine Zeitreise durch sein Ehrenamt beim Sonnenstrahl e. V. Zum allerersten Mal erfuhr er von dem Verein, wie die meisten Kinder, auf Station. „Damals haben wir Geschenke bekommen“, erinnert er sich. Die damalige Oberärztin Elke Siegert wurde anschließend seine Nachsorgeärztin und motivierte ihn, sich der Jugendgruppe anzuschließen. „1996 habe ich das erste Mal an einer Ausfahrt teilgenommen“, erzählt der heute 36-Jährige. Seit 1998 war er fester Bestandteil der Gruppe. Sechs Jahre später wurde er dann gefragt, ob der die Jugendgruppe nicht leiten wolle. „Da habe ich zum ersten Mal nicht Nein gesagt“, sagt Andreas Führlich und lacht. Station – Ausfahrt – Jugendgruppenleiter: Und so ging es immer weiter. Er begleitete Spendenübergaben, nahm an Benefizkonzerten und anderen öffentlichen Veranstaltungen teil. 2007 zog er schließlich für ein Jahr aus beruflichen Gründen nach München. Da war Führlich bereits erweiterter Vorstand, also die Schnittstelle zwischen den Gruppen und dem Vorstand. 2008 fragte ihn Elke Siegert schließlich, ob er nicht Teil des Vorstands werden wolle. Da war Andreas Führlich gerade mal 24 Jahre alt. „Ich sollte mich schnell entscheiden, doch das war eine echte Herausforderung“, erinnert sich der Familienvater. Seine Eltern waren damals gerade in Asien unterwegs und so musste er sich ohne deren Hilfe entscheiden. Schlussendlich hat er aber den Mut gefasst und „wieder mal nicht Nein gesagt“. Seitdem ist Andreas Führlich Vorstand des Vereins. Vereinsvorstand seit zwölf Jahren: Und das nach wie vor ehrenamtlich. „Das wird sich auch nicht ändern“, sagt er entschlossen. Durch das Ehrenamt könne er Abstand nehmen, wenn er es brauche, sagt er. Immerhin ist er im Verein auch regelmäßig mit schweren Schicksalen konfrontiert. Und nicht nur da. Auch durch seine hauptamtliche Arbeit bei einer Unfallversicherung hat er es immer wieder mit schweren Fällen zu tun. „Das wird manchmal ein bisschen viel“, sagt er. Andreas Führlich wurde am 1. Oktober 1984 in Radebeul geboren. 1994 erkrankte er an Knochenkrebs. Durch seine Erkrankung kam er mit dem Dresdner Verein Sonnenstrahl in Kontakt. Dort ist er seit 2008 Mitglied des Vorstandes und seit 2013 Vorstandsvorsitzender. Seine Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten absolvierte er zwischen 2002 und 2005 bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft Dresden. Seit 2018 arbeitet er als Referatsleiter bei der Unfallkasse Sachsen. 2011 heiratete Andreas Führlich seine langjährige Partnerin Antje. Tochter Amelie erblickte im November 2012 das Licht der Welt und wurde im März 2017 große Schwester von Albert. Beide sind Mitglied im integrativen Kinderzirkus in Radebeul. Was macht man als Vorstand eigentlich? Spendenquittungen unterschreiben, Notartermine im Falle von Erbschaften wahrnehmen oder auch bei Terminen am Uniklinikum oder Vorstandssitzungen dabei sein. „Aufgrund von Corona hält sich der Aufwand mit rund fünf Stunden in der Woche in Grenzen“, sagt Andreas Führlich. Die Arbeitszeit kann er sich flexibel einteilen, dadurch sind ehrenamtliche Termine auch tagsüber möglich. „Als die Pandemie noch fern war, habe ich manchmal 6 Uhr morgens das Haus verlassen und bin erst abends nach 20 Uhr wiedergekommen“, sagt er. Doch nicht jeder Tag ist so lang. Außerdem sei die Vereinsarbeit sein Hobby und er habe auch schon enge Freundschaften geschlossen, sagt Andreas Führlich. Als Vorstand sei man zudem weniger bei Veranstaltungen, vor allem am Wochenende, dabei. Das ist dann frei für die Familie. Von Lisa-Marie Leuteritz