Mary Wigman – Unerhört neu, so elementar

Es ist sehr schwer, der heutigen Generation klarzumachen, was für uns damals Mary Wigmans Auftreten bedeutete. Es war etwas so unerhört Neues, etwas so Elementares, dass mir sofort klar wurde: Entweder ich lerne bei ihr tanzen, oder ich lerne es nie!“ So äußerte sich Palucca 1930 über ihre Lehrerin, nachdem sie sich bereits von dieser gelöst und 1925 in Dresden ihre eigene Schule eröffnet hatte. Die am 13. November 1886 in Hannover geborene Marie Wiegmann (später nennt sie sich Mary Wigman) kam 1911 zur Ausbildung an die „Rhythmische Bildungsanstalt“ von Emile Jaques-Dalcroze nach Dresden-Hellerau in das neue Gebäude von Heinrich Tessenow. Mit dem Datum vom 13. Juli 1912 wird ihr bestätigt, „die Prüfung als Lehrer der Rhythmischen Gymnastik nach Jaques-Dalcroze vor der Prüfungskommission der Bildungsanstalt“ bestanden zu haben. Umstrittenes Wirken im Tausendjährigen Reich: In den folgenden Jahren ist sie Schülerin, dann Assistentin von Rudolf von Laban, tritt mit unterschiedlicher Resonanz in Soloabenden zunächst in der Schweiz auf. Als sie 1919 erfolgreich in Dresden gastiert, erhält sie das Angebot, an der Oper als Tanzmeisterin zu arbeiten. Der Vertrag kommt nicht zustande, aber sie siedelt nach Dresden über, gründet gemeinsam mit Berthe Trümpy eine Schule in der Villa der damaligen Schiller-Straße 17, der heutigen Bautzner Straße 107. Das Gebäude wird seit vielen Jahren von der Sächsischen Staatsoper als Proben- und Spielstätte (kleine szene) genutzt. Von Dresden aus bereist Mary Wigman als Solistin und mit ihrer Mary-Wigman-Tanzgruppe, zu der auch Palucca gehört, Anfang der zwanziger Jahre viele Länder Europas. Gefeiert sind ihre Solotourneen 1930/31 und 1931/32 in die USA. Die dritte Amerikareise 1932/33 mit der neu gegründeten Tanzgruppe bleibt in der Resonanz verhaltener. Mary Wigmans umstrittenes Wirken im Tausendjährigen Reich – ihre Schule hat inzwischen weltweit und mit erheblicher Schülerzahl enorme Ausdehnung erfahren – lässt sich mit wenigen Worten nicht umreißen. Man kann sie weder als glühende Protagonistin der Nationalsozialisten noch als deren entschiedene Gegnerin einordnen. Zumal Aufstieg und Fall, Ruhm – zum Beispiel Mitwirkung am Festspiel „Olympische Jugend“ 1936 – und Verweigerung – sie lehnt 1937 die Choreographie einer Huldigung für Adolf Hitler in München ab – bei ihr dicht beieinander liegen. Von Alois Andritzki bis Udo Zimmermann – Alle Porträts in unserem Special 1942 gibt Mary Wigman mit „Abschied und Dank“ ihren letzten Solotanzabend im Komödienhaus in Dresden. Sie verkauft das Schul- und Wohngebäude an die Stadt, übersiedelt nach Leipzig, wo sie einen Vertrag als Gastlehrerin an der „Hochschule für Musik und darstellende Kunst“ erhält. 1945 eröffnet sie eine Schule in Leipzig. Einen erneuten Start gibt es 1949 mit dem Mary-Wigman-Studio in Berlin-Dahlem (bis 1967). Zunächst gibt es ein gemeinsames Beginnen in der Rheinbabenallee mit Marianne Vogelsang, die sich aber ein Jahr später von Mary Wigman löst und mit ihren Schülern nach Berlin-Weißensee geht. Am 18. September 1973 stirbt Mary Wigman im Alter von 86 Jahren in Berlin. Aus den Dresdner Neuesten Nachrichten vom 28. November 2000. Von Gabriele Gorgas

100 Dresdner des Jahrhunderts - Mary Wigman – Unerhört neu, so elementar