Martin Flämig – Kirchenmusiker mit großer Suggestivkraft

Er war von eher kleiner, gedrungener Gestalt, aber voller Energie und überbordendem Ausdruckswillen. Die Dirigierbewegungen seiner Arme schienen die ihm eigene gestalterische Kraft in den Raum zu übertragen, nicht fließend, nicht ästhetisch, aber fordernd; seine Hände reckten sich dem Chor entgegen, als wollten sie aus diesem noch die letzte Reserve herauslocken, und wer in seiner Nähe stand oder saß, hörte zeitweise seine krächzende Stimme, wenn er Partien unbewusst mitsang. Martin Flämig, Kirchenmusiker, Chordirigent, strahlte eine große Suggestivkraft aus, war ein Musikant par excellence, der seine Mitwirkenden, aber auch sich selbst nicht schonte. Als der 1913 in Aue geborene Flämig nach dem Tod Rudolf Mauersbergers 1971 zum Dresdner Kreuzkantor ernannt wurde, bedeutete das zwar eine Zäsur, zugleich jedoch „nur“ die Fortsetzung seines dem Glauben und der Musica sacra gewidmeten Lebens an anderer Stelle. Die Basis dafür waren u.a. das Studium beim Dresdner Landeskirchenmusikdirektor Alfred Stier, anschließend in Leipzig. 1936 bis 47 setzte Flämig als Kantor und Organist in Leisnig erste Achtungszeichen. Nach dem Krieg wurde er für das Fach Chordirigieren an die Akademie für Musik und Theater in Dresden verpflichtet, ab 1953 an die Musikhochschule. 1948 erfolgten die Berufungen zum Landeskirchenmusikdirektor und zum Direktor der Kirchenmusikschule Dresden, zugleich war er Kantor an der hiesigen Versöhnungskirche. Balance zwischen Selbstbehauptung und Anpassung: Was Martin Flämig in diesen Anfangsjahren für Dresdens Musica sacra geleistet hat, ist nicht hoch genug einzuschätzen. In einer Zeit, in der die Kollekte bisweilen noch aus Brotscheiben, Kartoffeln und Suppenwürfeln bestand, begann er eine so mühsame wie erfolgreiche Aufbauarbeit; und was die Dresdner Kirchenmusikhochschule heute ist, ist sie auch durch ihn geworden. In seinem unbändigen Willen zu musizieren griff Martin Flämig – ebenso später als Kreuzkantor – über Gewohntes hinaus zu vielen Werken, die selten oder sehr lange in Dresden nicht erklungen waren, große Oratorien zum Beispiel, wandte sich aber auch neuen Kompositionen zu. Mancher hat Martin Flämig die häufige Präsenz des Kreuzchores bei weltlichen, staatlich angeordneten Festivitäten zum Vorwurf gemacht. Flämig jedoch war die schwierige Aufgabe anvertraut worden, den Chor in einer Zeit zu leiten, in der dessen kirchliche Anbindung nur geduldet, aber nicht gefördert wurde, und musste so die Balance zwischen Selbstbehauptung und Anpassung finden. Die Kruzianer hatten es nicht immer leicht unter ihrem Kantor mit Zweitwohnsitz in der Schweiz, und – so muss betont werden – der Knabenchor wäre weniger leistungsstark gewesen, hätte nicht Assistent Ulrich Schicha für Flämig unermüdlich die Vorbereitung, später auch teilweise Vespern und Gottesdienste übernommen. Von Alois Andritzki bis Udo Zimmermann – Alle Porträts in unserem Special Obwohl Dresden und insbesondere der Kreuzchor Martin Flämig die kontinuierliche Fortsetzung einer Jahrhunderte währenden kirchenmusikalischen Tradition zu danken hatten, verlief sein Ausscheiden aus dem Amt nicht so, wie er es eigentlich verdient gehabt hätte. Nach 1989 meinten einige, dass es Zeit sei für einen neuen Kantor. Flämig ging 1991 und ließ sich ganz in der Schweiz nieder. Am 13. Januar 1998 ist er im Kreise seiner Dresdner Familie verstorben und wurde auf dem Waldfriedhof Weißer Hirsch zur Ruhe gebettet. Aus den Dresdner Neuesten Nachrichten vom 4. April 2000. Von Kerstin Leiße

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