Günter Sommer – Vom Freejazz made in GDR zur offenen Improvisation

Dass er früher Trompete gespielt hat, wissen vermutlich die wenigsten, aber es erklärt manches. Für die vielfach schon balladesken Solostücke des Schlagzeugers Günter Baby Sommer spielt der Umgang mit Melodieinstrumenten zumindest eine wichtige Rolle. Meist sind es Schalmeien oder andere einfache Blasinstrumente, die ein Arsenal an Becken, Pauken, Glocken, Gongs, Xylophon, Eigenbau-Schlaginstrumenten auf dem Weg durch vielfältige Klangwelten ergänzen. Sommer, gebürtiger Dresdner des Jahrgangs 1943, sammelte erste Hör- und Spielerfahrungen in der Zeit von Swing und Rock’n’ Roll. Jazz, westlichen Radiosendern abgelauscht und kopiert, hat er schon in seiner EOS-Zeit gespielt – gleich danach ging er an die Dresdner Musikhochschule. Er war dort der allererste Student der neu gegründeten Abteilung Tanz- und Unterhaltungsmusik und absolvierte bis 1966 seine Ausbildung beim Schlagzeuger Siegfried Ludwig. Auftritt in Ost und West: Mindestens ebenso bedeutsam für seine Laufbahn waren die regelmäßigen Abstecher nach Berlin, wohin er damals mitsamt der „Schießbude“ im Zug reiste. Die legendäre Klaus-Lenz-Bigband war es zunächst, in der sich der junge Drummer bewähren konnte, bis es zur Gründung von Formationen wie Friedhelm-Schönfeld-Trio oder Zentral-Quartett kam, die einen Free-Jazz made in GDR international bekannt machten. Im Gegenzug kam es auch zu Gastspielen der Jazz-Avantgarde in der DDR und zu internationalen Besetzungen wie dem Trio Kowald-Smith-Sommer. Dank der Ventil- und Alibifunktion des zeitgenössischen Jazz konnte er bei den Musiktagen in Donaueschingen oder in der Westberliner Philharmonie scheinbar ebenso selbstverständlich auftreten wie bei der Jazzbühne Berlin (Ost). 1985 erhielt er den DDR-Kunstpreis. Sommer, der das Schlagzeug schon im Zusammenspiel der kleinen Besetzungen aus der Rolle des Nur-Rhythmusgebers herausgeführt hatte, lotete später die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten als Soloinstrument(arium) aus. Unter dem Titel „Hörmusik“ abstrahierte er vom Schauwert der Musik-Erzeugung und zwang, hinter einem Vorhang spielend, den Konzerthörer zu einer ähnlich konzentrierten Wahrnehmung wie vor der heimischen Musikanlage. Bislang hat er an der Einspielung von etwa 70 Langspielplatten bzw. CDs mitgewirkt. Vom Free-Jazz fand er zu einer gelösten Auffassung des Improvisierens, die sich auch in Partnerschaften mit „Klassikern“ wie dem Organisten H.G. Wauer bewährt. Von Alois Andritzki bis Udo Zimmermann – Alle Porträts in unserem Special Nachdem sich mit der Wendezeit sein Wirkungskreis südwestlich verlagert hatte (Zusammenarbeit mit Inge Mißmahl und dem Off-Off-Theater Konstanz, den Swiss-Horns wie dem italienischen Crams Percussion Staff) kehrte er 1995 als Leiter der Abteilung Rock, Pop, Jazz an die Dresdner Musikhochschule zurück und arbeitet an der Modernisierung des Ausbildungsprofils im so genannten U-Bereich. Aus den Dresdner Neuesten Nachrichten vom 3. November 2000. Von Tomas Petzold

100 Dresdner des Jahrhunderts - Günter Sommer – Vom Freejazz made in GDR zur offenen Improvisation