Alfred Neugebauer – Wie ein Feuerwehrmann die Ehre Dresdens rettete

„Wissen Sie, warum ich für die Dresdner Synagoge spende“, fragt im US-amerikanischen Columbus ein Bauunternehmer die Journalistin aus Deutschland. Und liefert die Antwort sofort nach. „Wegen dieses Mannes, der den David-Stern gerettet hat.“ Das sei eine „amazing story“, eine erstaunliche Geschichte. Und – aber das denkt sich der jüdische Amerikaner eher als dass er es laut ausspricht – weil der Retter des Dresdner David-Sterns ein Nicht-Jude ist. Es waren und sind also nicht alle gleich, heißt das. So wird der heute 85-jährige Alfred Neugebauer Ende des 20. Jahrhunderts für Juden im fernen Amerika zu einem Garant dafür, dass es sinnvoll ist, den Bau neuer Synagogen in Deutschland zu unterstützen. Im Mai 1939 lädt er den Stern aufs Fahrrad: 60 Jahre früher denkt der junge Feuerwehrmann nur an das nahe Liegendste – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn einer der beiden vom Dach der Semper-Synagoge nach dem Brand abmontierten sechszackigen Metallsterne liegt gleich neben seinem Arbeitsplatz auf der Feuerwache in einer Kiste. Und zwar fast ein halbes Jahr, lang genug, um ihn fast vergessen zu machen für jemanden, für den der Stern nichts ist als ein sperriger Gegenstand in der Ecke. Für Alfred Neugebauer ist er mehr. Er ist eine Möglichkeit, seine Hilflosigkeit wenigstens zum Teil wieder wettzumachen, die er in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 empfunden hatte. Als die Feuerwehr – und damit auch er – zwar zum Brandort am Hasenberg gerufen wurde, aber nicht, um die Synagoge zu löschen, sondern um die benachbarten Häuser vor dem Übergreifen der Flammen zu schützen. Und Juden, auf die mit dem Anzünden ihrer Gotteshäuser die Hatz so richtig eröffnet ist, sind für den jungen Mann aus der Neustadt keine bedrohlichen Fremden, wie es die Nazipropaganda weis machen will. Er kennt sie als gleichaltrige Studenten, die von seinen Eltern als Untermieter aufgenommen worden waren. Und wenn es noch eines Grundes bedurfte – Neugebauer interessiert sich schon als Junge für Heimatgeschichte, für Denkmalschutz. Er weiß um den architektur- und kunstgeschichtlichen Wert der Semper-Synagoge, von der er wenigstens den kleinen Rest noch bewahren helfen will. Im Mai 1939 lädt er den Stern aufs Fahrrad und bringt ihn zum Haus seiner Eltern auf die Prießnitzstraße, versteckt ihn im Keller. 1945 übergibt Alfred Neugebauer das gerettete Symbol der jüdischen Synagoge. Als 1950 die provisorisch aus der ehemaligen Totenhalle umgebaute Synagoge auf der Fiedlerstraße eröffnet wird, leuchtet über ihr wieder der alte, neu polierte Stern. Berühmt wurde Neugebauer deshalb nicht. Und die Tat schützte ihn auch nicht. 1951 verlor er aus politischen Gründen seine Stelle als Fachlehrer an der Feuerwehrschule Lockwitz. Später war er Mitarbeiter im Landesmuseum für Vorgeschichte Dresden. Ehrenamtlich arbeitet der hoch Betagte auf dem Gebiet der Heimatgeschichte, ist der älteste Dozent der Dresdner Volkshochschule e.V. Von Alois Andritzki bis Udo Zimmermann – Alle Porträts in unserem Special Für jenen wohlhabenden Mittvierziger aus der amerikanischen Oberschicht, den die Geschichte so stark beeindruckte, ist Alfred Neugebauer ein Held, seine Story von der Art, aus der man in Hollywood Drehbücher macht. In Dresden hat es noch nicht einmal für den Ehrenbürger gereicht. Als im vergangenen Jahr anlässlich des 85. Geburtstages von Alfred Neugebauer bei der Stadtverwaltung angefragt wurde, ob man dem Retter des Davidsterns nicht die Ehrenbürgerwürde verleihen könnte, wurde abgelehnt. Nur ein Lebenswerk könne so gewürdigt werden, war die Begründung. Eine Tat allein reiche nicht aus. Aber wahrscheinlich sind einfach nur die städtischen Formalien zu klein für eine Tat wie jene Alfred Neugebauers. Aus den Dresdner Neuesten Nachrichten vom 15. August 2000. Von Heidrun Hannusch

100 Dresdner des Jahrhunderts - Alfred Neugebauer – Wie ein Feuerwehrmann die Ehre Dresdens rettete