Lockdown bei Ratags in Langenwolmsdorf: Wenn selbst die größte Kreativität nicht mehr hilft

Rege Betriebsamkeit herrscht in diesen Tagen bei Ratags Kunsthandwerk in Langenwolmsdorf bei Stolpen. Allerdings nur in den Büroräumen: Wie immer zu Jahresbeginn ist Inventur angesagt. „Auch in Pandemiezeiten muss der Jahresabschluss sorgfältig vorbereitet und aufgezeichnet werden“, erklärt Johannes Dose. Er ist bei dem auch in Dresden mit drei Ladengeschäften vertretenen und daher gut bekannten Unternehmen für Grafik, Vertrieb und Medienarbeit zuständig. Zweiter Lockdown geht an die Substanz: Die Inventur bildet also ein Stück Normalität in keineswegs normalen Zeiten. Denn auch Ratags Kunsthandwerk und die mit ihr verbundene Ratags Heipro GmbH haben schwer mit den Folgen der Coronapandemie und der gegen diese ergriffenen Maßnahmen zu kämpfen. „Den ersten Lockdown im Frühjahr 2020 haben wir noch ganz gut überstanden“, blickt Johannes Dose auf den März und den April des vergangenen Jahres zurück. Der derzeitige zweite Lockdown jedoch, „der geht an die Substanz, denn er zieht sich ja gefühlt bis in die Unendlichkeit.“ Mit seinen etwa 100 Mitarbeitern müsste Ratags monatlich etwa 200.000 Euro erwirtschaften. Doch daran ist gegenwärtig bei Weitem nicht zu denken. Finanzielle Hilfen von staatlicher Seite sind bislang ausgeblieben. Die einzige Möglichkeit, das Unternehmen aufrecht zu erhalten, besteht darin, die Lohnkosten zu senken. Und so befinden sich die Mitarbeiter der Gaststätte und Pension „Bauernwirtschaft“ am Stammsitz Langenwolmsdorf bereits seit November in Kurzarbeit Null. In der Produktion arbeiten montags und dienstags im Wechsel etwa zwei bis drei Kollegen, um Aufträge von Händlern und aus dem Onlineshop abzuarbeiten. „Anfang des Jahres ist eigentlich die Zeit der Händler, die die Bestellung für die kommende Saison in Auftrag geben, und der großen Messen“, berichtet Johannes Dose. „Aber auch dieses Geschäft läuft eingeschränkt, die Messen sind zum Teil schon abgesagt.“ Ein großer bayerischer Händler musste Insolvenz anmelden – auch für Ratags ein herber Schlag. Den einzigen Lichtblick stellt in dieser trüben Zeit der Online-Shop dar: „Er hat das Überleben unseres Traditionsbetriebes im November und Dezember gesichert.“ „Zsolty“ komplettiert die Schwibbögen: In der Schauwerkstatt riecht es nach Holz, Leim und Farbe. „Normalerweise müsste jemand hier sein“, meint Johannes Dose, während er mit seinem Besucher den Gang abschreitet. Doch kein Geräusch ist zu hören. Sonst kann man hier den geschickten Holzhandwerkern – zumeist Frauen – bei der Arbeit über die Schulter schauen. Hier entstehen neben Pyramiden, Räuchermännern, Fensterbildern, Raumleuchten und Osterhasen auch die berühmten 3-D-Schwibbögen, die einst von der Firmengründerin Gitta Heider erfunden wurden. Die Idee ist ebenso einfach wie genial: Zwei miteinander verbundene identische Schwibbögen, die von innen heraus beleuchtet werden und so in dunklen Winternächten die Illusion einer räumlichen Weihnachtsszene herbeizaubern. 1987 war es, als Gitta Heider – damals noch im heimatlichen Hinterhermsdorf – gemeinsam mit ihrem Mann Gunther Hantzsch ihr Hobby zum Beruf machte. Bereits 1988 – also noch zu DDR-Zeiten – kauften die beiden den ersten Dreiseithof in Langenwolmsdorf, 2002 den zweiten, vis-à-vis gelegenen Hof. Die Entwicklung des Unternehmens verlief kontinuierlich, und am 28. Februar 2020 übergab Gitta Heider ihr Lebenswerk an Enkelin Juliane Buschmann. Diese modernisiert Ratags seitdem behutsam, hält an Bewährtem fest und optimiert die internen Abläufe. Mittlerweile ist Johannes Dose am Ende der Schauwerkstatt angekommen und hebt bedauernd die Schultern: „Wie es scheint, ist heute gar niemand da.“ Doch dann kommt ihm ein freundlich lächelnder Mann entgegen: Zsolt M. Toth, genannt „Zsolty“, ein ungarischer Künstler, der auf Honorarbasis für Ratags arbeitet und gerade dabei ist, Schwibbögen um die noch fehlende Elektrik zu ergänzen. In Ungarn ist er vor allem für seine mit der Kettensäge „geschnitzten“ Eisskulpturen bekannt, hier jedoch geht er genauso geschickt mit viel filigranerem Werkzeug um. Schneewittchen wartet auf die Besucher: Wieder im Freien, macht Johannes Dose an der großen Pyramide Halt, die Ende 2019 völlig neu aufgebaut wurde. „Hier, in unserem Märchenwald, gibt es ständig etwas zu tun und zu erneuern. Darauf hat auch Corona keinen Einfluss“, erklärt er. Der Hase, der vergeblich dem Igel hinterher rennt, trägt einen schweren Schneebuckel. Schneewittchen wartet nicht nur auf die sieben Zwerge, sondern vor allem darauf, dass die Besucher zurückkehren. Geplant ist, dass sie nicht „einfach so“ in den Märchenwald gelangen, sondern durch einen als Tor gestalteten Riesen-Schwibbogen. Wenn, ja wenn die gegenwärtige Pandemiesituation das endlich wieder zulässt. „Seit der Gründung im Jahre 1987 ist das Geschäft stetig gewachsen und hat innovative Produkte entwickelt. Internationale Geschäftsbeziehungen wurden aufgebaut und haben den guten Ruf der Ratags-Produkte in die Welt getragen. Diese Kreativität und Beständigkeit sind jetzt bedroht durch eine weitere Fortführung des Lockdowns und ein weiteres Ausbleiben finanzieller Hilfen“, resümiert Johannes Dose die gegenwärtige Situation. Spätestens ab Ostern soll auf den beiden Dreiseithöfen wieder rege Betriebsamkeit herrschen – und das nicht nur wegen der Inventur im Büro. Von Uwe Menschner