Dana Frohwieser: „Der Mensch braucht den direkten sozialen Kontakt“

Wie schafft es eine ehrenamtliche Politikerin, Beruf, Kinderbetreuung und Ehrenamt unter einen Hut zu bringen? Und welche Lehren lassen sich aus der Coronakrise ziehen? Ein sehr persönliches Gespräch mit der SPD-Fraktionsvorsitzenden Dana Frohwieser. Wie geht es Ihnen? Meine Familie ist gesund. Das in diesen Zeiten sagen zu können, ist noch einmal wertvoller, als Gesundheit ohnehin stets ist. Aber in diesen Tagen mache ich mir auch viele Sorgen. Wie sieht Ihre berufliche Situation aus? Mein Arbeitgeber, die TU Dresden, ist seit zwei Wochen im Notbetrieb. Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten komplett im Homeoffice, so wie ich die meiste Zeit auch. Dazu muss ich mich aber auch vor Ort darum kümmern, dass z.B. Rechnungen bezahlt werden oder die Arbeitsprozesse für die Kolleginnen und Kollegen funktionieren. Es ist anstrengend, aber ich bin in der glücklichen Situation, selbst keine unmittelbare, existenzielle Jobangst haben zu müssen. Wie bewältigen Sie als Mutter die Beschulung Ihrer Kinder? Vormittags sitzen wir in unserer Wohnung alle zusammen am Wohnzimmertisch. Ich versuche, so gut es eben geht zu arbeiten und gleichzeitig die Kinder bei den Schulaufgaben zu unterstützen. Dividieren von Dezimalzahlen durch eine natürliche Zahl habe ich jedenfalls seit Jahrzehnten nicht mehr im Kopf gerechnet. Da kann man organisatorisch und inhaltlich schon an seine Grenze kommen. Und dann mache ich mir schon Sorgen, was eine wochenlange Schulschließung für Kinder bedeutet, deren Eltern eine solche direkte Betreuung aus den unterschiedlichsten Gründen so nicht leisten können. „Am Telefon fehlt eben das dankbare Lächeln“: Wie werden Sie in Zeiten von Kontaktverboten politisch tätig? Es gibt ja kein Kontaktverbot, der Begriff physical distancing beschreibt die aktuelle Situation schon besser. Ausschuss- und Stadtratsarbeit wird zur Zeit auf das Unaufschiebbare reduziert. Einmal in der Woche treffen sich die Fraktionsvorsitzenden mit dem Oberbürgermeister, nun in einem großen Raum mit zwei Plätzen Abstand zwischen den Beteiligten. Die meisten Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern kamen auch schon vor Corona per E-Mail. Und in der SPD und der Stadtratsarbeit tauschen wir uns jetzt ebenfalls intensiv per Mail oder Telefon- und Videokonferenzen aus. Aber das ist natürlich kein Dauerzustand, der Mensch braucht auch den direkten sozialen Kontakt. Am Telefon fehlt eben das dankbare Lächeln und per Mail ist nicht zu erkennen, wenn der Gegenüber unglücklich schaut, weil er von ganz anderen Sorgen geplagt wird. Sind alle Fraktionskollegen gesund und munter? Stand heute sind alle Stadträtinnen und Stadträte der SPD-Fraktion und die Geschäftsstellenmitarbeiterinnen glücklicherweise gesund. Ich bin dafür sehr dankbar und wünsche allen, dass es ihnen und ihren Familien auch weiterhin gut geht und bald wieder so etwas wie ein Stückchen Normalität einzieht – man sich beispielsweise wieder regelmäßig physisch treffen kann. Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Stadtverwaltung? Wir erkennen in dieser Zeit den Wert unserer demokratischen Gesellschaftsstruktur. Wer politisch verantwortungsvoll handelnde Regierungen und Bürgermeister/innen gewählt hat, kann in solch außergewöhnlichen Zeiten auf die Exekutive zählen. Es gibt keine Erfahrungswerte mit einer solchen Situation in Dresden, sie ist auch nicht mit den Hochwasserereignissen der Vergangenheit vergleichbar. Und doch erlebe ich eine besonnene und effektiv arbeitende Stadtverwaltung. Dass deren Spitze aus fünf unterschiedlichen politischen Parteien kommt, bewährt sich jetzt in einem breiten Vertrauen, welches sie auch im Stadtrat erfährt. Hier ziehen viele gerade an einem Strang, was großen Respekt und Dankbarkeit verdient. „Solidarität und Gerechtigkeit sind die Garanten unserer Freiheit“: Geht jetzt in der Krise vieles an sozialen Themen den Bach runter, was in den vergangenen Jahren mühsam aufgebaut wurde? Ganz im Gegenteil: Diese Krise, die wir gerade erleben, zeigt doch zu allererst überdeutlich, wie wichtig eine soziale Daseinsvorsorge und ein funktionierender Wohlfahrtsstaat sind. Die Überhöhung des Marktes zu Ungunsten des Sozialen rächt sich jetzt in vielen Teilen der Welt. Gesundheitssysteme, die in Folge neoliberaler Politik mit dem Argument der Wirtschaftlichkeit kaputtgespart wurden, sind nicht mehr krisenfest. Diese Diskussionen haben wir in Dresden beispielsweise auch noch vor wenigen Wochen um das Städtische Klinikum geführt. Müssen Krankenhäuser wirtschaftlich und gewinnorientiert agieren oder sind sie Teil der staatlich auskömmlich zu finanzierenden Daseinsvorsorge, wie wir als SPD stets gefordert haben? Es zeigt sich, dass die Sparpolitik im Gesundheitssektor sich nun bitter rächt. Die Konsequenz daraus muss sein: Höhere Löhne zum Beispiel für Pflegekräfte sowie Ausfinanzierung der öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur. Wer wird politisch von der Krise profitieren? Es geht nicht darum, dass jemand politisch profitiert. Eine solche Überlegung empfinde ich angesichts der dramatischen Lage als zynisch. Allerdings habe ich die Hoffnung, dass sich unsere Gesellschaft in Folge der Krise besinnt. Solidarität und Gerechtigkeit sind die Garanten unserer Freiheit, nicht die Wachstumslogik des Wirtschaftssystems. Wenn das die Lehre aus dieser Krise ist, wird die Menschheit danach ein ganzes Stück klüger sein. Und ich hoffe, dass die Demokratie sich lernfähig zeigt. Wenn alle in der Politik Tätigen die Bedürfnisse der Menschen und der Umwelt wieder über neoliberale Ökonomie stellen und das dann auch gegenüber einer global agierenden Wirtschaft sowie den großen Playern auf den internationalen Finanzmärkten verteidigen, haben Parteien, Institutionen und wir als Gesellschaft die Chance, gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen. Sind jetzt noch Themen wie Klimaschutz und sozialer Zusammenhalt gefragt? Oder muss jeder erst einmal an sich denken? Wann war sozialer Zusammenhalt je mehr gefragt als heute? Wenn die Ärztin oder der Pfleger im Klinikum jetzt nur an sich denken oder der Verkäufer oder die Truckerin, wenn die Nachbarn der alten Dame im Haus keine Einkäufe bringen oder Freunde sich nicht um ihre Kumpels in häuslicher Quarantäne kümmern, dann wäre diese Krise nicht zu überstehen. Das gilt aber auch international. Corona schert sich nicht um Nationalitäten. Ich begrüße ganz ausdrücklich, dass wir versuchen, Menschen aus Italien, Spanien oder Frankreich in deutschen Kliniken zu retten. Modelle à la „America first“ sind eine Sackgasse. Individuelle Nutzenmaximierung vergiftet den sozialen Zusammenhalt und damit unsere menschliche Gesellschaft. „Unser sozialer Wohlfahrtsstaat ist nicht die Kür, sondern Pflicht“: Wenn die Krise vorbei ist: Geht es dann nur darum, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen? Und müssen dann Abstriche an sozialen Errungenschaften für das große Ganze gemacht werden? Eine ökologisch nachhaltige und gerechte wirtschaftliche Entwicklung ist zu unser aller Wohl. Gerade die kleinen lokalen Handwerksbetriebe, die vielen Dienstleister, aber auch Mittelständler vor Ort müssen schnell wieder auf die Beine kommen und sollten dafür auch kommunale Unterstützung erhalten, wenn und wo nötig. Das ist für die SPD-Fraktion klar. Aber auch: Unser sozialer Wohlfahrtsstaat ist nicht die Kür, sondern Pflicht. Die Interessen des Gemeinwohls wie Bildung, Gesundheit und soziale Fürsorge, ganz konkret hier bei uns vor Ort in der Stadt, haben Vorrang vor den Interessen des Marktes. Elementare Dinge des täglichen Bedarfs am anderen Ende der Welt zu produzieren, mag billiger sein, kommt uns aber teuer zu stehen. Wo muss Dresden nach der Krise sparen? Dresden und Deutschland sind finanziell solide aufgestellt. Wo und in welchem Umfang in den kommenden Jahren möglicherweise Abstriche gemacht werden müssen, wäre zum jetzigen Zeitpunkt Spekulation. Aber sicher, die kommenden Haushaltsberatungen werden von der aktuellen Krise geprägt sein. Die Steuern, die wir für das Gemeinwohl ausgeben wollen, müssen zunächst erwirtschaftet werden. An welchen Stellen würden Sie mehr Geld als bisher ausgeben? Wir müssen Investitionen in die soziale, öffentliche Infrastruktur, in Gesundheit, in Bildung, in Nachhaltigkeit und Klimaverträglichkeit auf hohem Niveau fortsetzen oder sogar noch erhöhen. Davon wird auch die Wirtschaft profitieren. Und damit sichern wir die Zukunft. Corona hat Dresden im Griff. Die wichtigsten Texte und weitere Überblicksartikel zum Thema: Aktuelle Texte So haben sich die Infiziertenzahlen in Dresden entwickelt Biotype Dresden bringt Corona-Schnelltest auf den Markt Dixielandfestival 2020 in Dresden wegen Corona-Virus abgesagt Weniger Autos, bessere Luft? 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