Tafel Coswig möchte mit mobilen Konzept auch umliegende Orte versorgen.

Acht Uhr morgens in der Coswiger Industriestraße: Die Ehrenamtlichen stärken sich für ihren Einsatz. Brötchen werden aufgeschnitten, in der Luft liegt der Duft von frisch gebrühtem Kaffee. Der neue Transporter wurde bereits mit geretteten Lebensmitteln beladen, ab halb zehn sollen die an Bedürftige verteilt werden. Neuerdings wird die Coswiger Tafel von den Johannitern organisiert. Aus Altersgründen konnten die vorherigen Koordinatoren das Projekt nicht weiterführen. Ein neuer Betreiber musste schnell gefunden werden, denn in Coswig kommen viele ohne die Tafel nicht über die Runden. Neuer Standort in alter Fabrik: Im Sommer 2020 hatte die Stadt erste Gespräch mit der Johanniter-Unfall-Hilfe geführt, die sich bereit erklärte, die Aufgabe zu übernehmen. Mit der alten Tapetenfabrik in der Industriestraße wurde auch ein neuer Standort für das Projekt gefunden. Aber: Die Räume dort bieten zwar genug Lagerfläche, liegen jedoch weit entfernt vom Stadtzentrum. „Wir haben für die Ausgabe einen Ort gesucht, der diskret ist. Wegen der Corona-Pandemie mussten die Leute auf der Hauptstraße teilweise draußen vor der Ausgabe stehen“, erklärt Dirk Roscher, Regional-Vorstand der Johanniter. Tafel-Kunde zu sein, sei aber vielen Bürgern unangenehm. Nun gibt es das mobile Konzept in Coswig. Die Lebensmittel werden nicht mehr auf der Hauptverkehrsader verteilt, sondern aus dem Transporter heraus. Jeden Mittwoch parkt der hinter dem Pfarrhaus der Kirchgemeinde. Dort können Kunden unauffälliger für den Einkauf vorbeikommen. Transport fährt auch nach Weinböhla und Moritzburg: Fünf Euro kosten die reichlich gefüllten Tüten. „Es gibt Brötchen, Brot, Milchprodukte, Obst und Gemüse, manchmal Kräuter und oft auch etwas Süßes, zum Beispiel Kuchen“, erläutert der Johanniter-Vorstand. Mit dem umgebauten Transporter kann die Tafel zudem auch umliegende Ortschaften erreichen. Am Donnerstag werden Lebensmittel am Spitzgrund ausgegeben. Demnächst werden auch Weinböhla und Moritzburg angefahren. „Ich find‘s super“, meint Roscher. Gerade in den weitläufigen Gemeinden macht der mobile Einsatz Sinn. Der Transporter, ausgestattet mit eigener Stromversorgung, bietet reichlich Stauraum für Lebensmittel, einen Kühlschrank und eine gläserne Kühltheke. Der „mobile Marktplatz“ hat gut 50.000 Euro gekostet. Dieselbe Summe wurde auch für einen zweiten Transporter ausgegeben. Auch der ist mit Kühlzellen ausgestattet und dient dem Transport der Lebensmittel in die Industriestraße. Die sechsstellige Summe haben die Johanniter gestiftet. Die Stadt zahlt die Miete für die Lager- und Vorbereitungsstätte. Die Nachfrage ist groß: In Coswig gibt es rund 60 Tafel-Kunden. Mit der Ausgabe in umliegenden Ortschaften werden noch mehr dazukommen. Viele Helfer, viele Kunden: Viele Coswiger wollen helfen. Seit dem Startschuss der neuen Tafel haben sich dutzende Helfer beworben. „Wir sind ganz begeistert und kommen kaum hinterher“, sagt Katja Böhme von den Johannitern. Aber auch eingestandene Ehrenamtliche von der alten Tafel sind weiterhin dabei: Karin Kretschmar hilft seit zehn Jahren, Steffen Stein ist seit acht Jahren dabei. Heute sind sie für die Ausgabe zuständig. „Spitzkohl, Frau Kaiser?“, ruft Steffen Stein aus dem Transporter und winkt mit dem kegelförmigen Kohl. „Ja, schmeckt sehr gut das Kraut“, erwidert die ältere Dame. Bei vielen Kunden reicht die Rente nicht. So wie bei Sabine Kiel. Mit 64 Jahren bezieht sie Erwerbsminderungsrente. Etwa 20 Euro hat sie jeden Monat noch übrig – das ist alles. „Seit 2013 gehe ich zur Tafel, das weiß ich noch genau. Da wurde mein Enkel geboren“, sagt sie. Im nächsten Jahr tritt sie in die richtige Rente ein. Weil es so wenig ist, wird sie weiterhin einen kleinen Nebenverdienst nachgehen: Vorarbeiterin in einer Schneiderei. „Bis ich umfalle“, sagt sie. „Ich habe keine Ersparnisse, keine Rücklagen – gar nichts“, fügt sie hinzu. Mit den drei Lebensmitteltüten der Tafel komme sie bis nächste Woche aus. Sie verstaut die Tüten vorne und hinten in den Körben ihres Fahrrads. Ein dritter baumelt am Lenker. So schiebt sie ihr voll bepacktes Rad nach Hause. Nächste Woche kommt sie wieder. Von Sören Hinze