Bilder, die in Bann ziehen – Dresdner Kunst in der Kirche von Neudorf

Wer in coronavirusfreien Zeiten mal nach Oberwiesenthal fährt und gar vom Fichtelberg einen Rundumblick nimmt, der könnte, ja sollte auch einen Blick in die Kirche von Neudorf werden. Der Ort wurde um 1530 von Flößern und Köhlern als Waldsiedlung angelegt. Bereits zuvor bestand ein Krax- oder Krachsdorf genanntes Dorf, das aber wahrscheinlich von den Hussiten zerstört wurde. Die erste urkundliche Erwähnung datiert von 1539, der Ort wurde Nauendorff genannt. Was mit einer kleinen Holzkirche begann, stellt sich heute als sogenannte Saalkirche mit barockem Dachreiter dar. Ein Blickfang sind auf alle Fälle die prächtige Kassetten-Holzdecke sowie die nicht minder bemerkenswerten Engel-Bildtafeln an der Orgelempore, die von dem Neudorfer Hans Wägner gemalt wurden. Im Jahr 1700, als im fernen Dresden August der Starke regierte, dessen 350. Geburtstag am kommenden 12. Mai ansteht, fiel eine neue Kanzel samt Schalldeckel im reich verzierten Barockstil ab. Sie stammt aus einer Annaberger Werkstatt, dargestellt sind „die üblichen Verdächtigen“, also die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, zudem Gottvater mit dem Lamm auf dem Arm. Nicht ganz so alltäglich, was den Schauwert angeht: Engel am Rande des Schalldeckels tragen die Marterwerkzeuge, die laut einer alten Chronik ein „erfinderischer Geist der Hölle mit teuflischem Scharfsinne erdacht“ hatte, um Jesus zu foltern. Gottes Sohn ist als Auferstandener mit Siegesfahne auf der Bekrönung des Schalldeckels auszumachen. Fenster mit Darstellung des Schwedenkönigs Gustav Adolf: Aus Dresdner Perspektive interessant ist nicht zuletzt das Jahr 1902. Beim Umbau der Kirche gab es neue Fenster und Türen. Die Bleiglasfenster zeigen im Altarraum Begebenheiten aus der Bibel, an der Ostseite wichtige Personen der Reformationsgeschichte, als da wäre etwa Herzog Heinrich der Fromme, der im albertinischen Sachsen die Reformation einführte. Er versichert laut Inschrift „Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen“. An der Westseite sind allerlei Berufe dargestellt, ob nun in der Forst- und Landwirtschaft oder auch dem Bergbau. So zeigt ein vom Handwerkerverein zu Neudorf gewidmetes Fenster Hans Sachs samt dem Credo „Handwerk hat güldenen Boden“. Interessant die Darstellung des Schwedenkönigs Gustav Adolf, der als Retter des Protestantismus höchst populär war. Unterhalb des Konterfeis ist der Spruch „Fleissig gebetet, ist schon halb gesiegt“ zu lesen. Zudem ist vermerkt: „Gem. v. Karl Gottlob Zahn in Neudorf u. Karl August Zahn in Dresden.“ Bemerkenswert ist die Darstellung eines Hirschs neben einer sprudelnden Quelle. „Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott zu dir“ lautet der Schriftzug dazu. Zudem wird in einer Ecke der Schöpfer des Kunstwerks gewürdigt. Es war der Glasmaler „B. Urban“ aus Dresden. Man fragt sich, unter welchen Umständen Bruno Carl Urban, der am 2. März 1851 in Pulsnitz geboren wurde und am 16. November 1910 in Dresden starb, das Werk schuf. Vor Ort in Neudorf? Oder in Dresden? Wenn hier, dann muss das Fenster beim Transport bis in diese hintere Ecke des Erzgebirges gut geschützt gewesen sein. Nun gut, er schuf auch die Fenster für den Dom im livländischen Riga, da war der Auftrag für Neudorf ein Klacks. Urban hatte sich auf die Herstellung von Kirchenfenstern spezialisiert, sowohl die Altarfenster von der Nikolaikirche in Pulsnitz als auch der Stadtkirche von Stolpen oder etwa die Chorfenster der Lutherkirche in Radebeul stammen von ihm. Hier und da war er auch weltlichen Auftraggebern zu Diensten, was etwa die Glasfenster im Rathaus von Pirna bezeugen. Mit Sicherheit dürfte Urban an Flirtsprüchen wie „Ich liebe es, wenn du ein Glas zerbrichst. Dann sehe ich dein Gesicht in tausend Splittern“ wenig Gefallen gefunden haben. Altarbild stammt vom Dresdner Kunstmaler Alfred Diethe: Als weiterer Geschäftszweig gehörte die Wappenmalerei zum in der Friedrichstraße 40 ansässigen Unternehmen Urbans. Die künstlerische Leitung der Firma lag ab 1890 bei Josef Goller (1868–1947), von 1899 bis 1901 waren sie Geschäftspartner (Urban & Goller). Sie führten die Entwürfe bekannter Maler, wie beispielsweise von Ludwig Otto, aber auch von Goller selbst aus. Die Werkstatt war im Hinterhaus in einem Turmhaus untergebracht, in dem eine spezielle Hängevorrichtung für Kirchenfenster installiert war, die sich nach Bedarf zum Licht hin verstellen ließ. Urban war Mitglied im Deutschen Werkbund und im Dresdner Kunstgewerbeverein sowie Freimaurer in der Loge zu den drei Säulen. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Äußeren Matthäusfriedhof. Auch ein neues Altarbild leistete sich die Gemeinde von Neudorf 1902. Es zeigt den wiederauferstandenen Christus unter den Emmausjüngern. Geschaffen wurde das Werk vom Kunstmaler Alfred Diethe, der 1836 in Dresden geboren wurde und 1919 ebenda starb. Ursprünglich für den Lehrerberuf vorgesehen, studierte dieser in den 1850er-Jahren an der Kunstakademie Dresden. Was speziell die Landschaftsmalerei anging, machte er sich bei Ludwig Richter sachkundig. 1858 verkaufte Diethe sein erstes Bild an den Sächsischen Kunstverein. Zu seinen ersten Werken im Atelier Hübner gehörten die „Verkündigung Mariä“, das Altarbild für Dresden-Plauen – einen „segnenden Christus“ sowie „Christus in Emmaus“. Ein Reisestipendium ermöglichte ihm einen Italienaufenthalt von 1864 bis 1866, wo er unter anderem mit Friedrich Preller d. J. verkehrte und in den Albaner und Sabiner Bergen zeichnete. Verheerend: Was die Polen im 18. Jahrhundert über Dresden dachten Drei Villen in Dresden illustrieren die Geschichte jüdisch-großbürgerlicher Familien Architektonisches Kleinod: Die Brücke zwischen dem Residenzschloss und der Hofkirche Dresden gestern und heute – ein Fotorückblick Teil I Dresden gestern und heute – ein Fotorückblick Teil II Danach war er Lehrer an der Kunstgewerbeschule Dresden; ab 1885 an der Architekturklasse der Kunstakademie. Zusammen mit Julius Scholtz und Hugo Bürkner entwarf er zahlreiche Illustrationen für die Jugend-Magazine „Töchteralbum“ und „Herzblättchens Zeitvertreib“. Zwischen 1890 und 1901 war Diethe, der viele Porträts schuf, darunter etliche von König Albert von Sachsen, Privatlehrer der Prinzessin Mathilde von Sachsen. Zudem fertigte er etliche Glasfenster für Kirchen an, allein in Dresden für die Johanneskirche, die St.-Petri-Kirche, die Heilig-Geist-Kirche sowie auch die Kreuzkirche, die wie so Vieles beim Bombenangriff 1945 vernichtet wurden. Über dem Altaraufsatz der Kirche von Neudorf sind noch die restlichen Figuren einer Kreuzigungsgruppe angebracht, die zum verkauften Altar von 1515 gehören. Von Christian Ruf

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