Wegen Coronavirus: Strompreis kippt ins Negative – aber Verbraucher gehen leer aus

Zugegeben, Ostermontag 2020 ist ein Extremfall. An Feiertagen verbraucht die Industrie grundsätzlich weniger Strom als unter der Woche. In diesen Corona-Krisenzeiten stehen viele Fabriken still, herrscht etwa in den Leipziger Autowerken von BMW und Porsche Produktionspause. Das senkt die Nachfrage nach Energie zusätzlich. Und wenn dann noch, wie Ostermontag, Stürme die Windenergieanlagen antrieben, dann übersteigt das Angebot auf dem bundesrepublikanischen Strommarkt die Nachfrage mehr als deutlich. Mit der Folge, dass an der Leipziger Energiebörse an diesem Tag über Stunden hinweg ein negativer Preis von bis zu 78,15 Cent je Kilowattstunde ermittelt wurde. Was bedeutet, dass die Großabnehmer, die Strom erhielten, noch Geld oben drauf bekamen vom Erzeuger. So, als ob man ein Auto kauft, den Wagen nicht nur gratis erhält, sondern zusätzlich noch einen Tankgutschein in die Hand gedrückt bekommt. „Einspeisung und Entnahme genau in der Waage“: Das Bundeswirtschaftsministerium erklärt diesen ökonomischen Sonderweg, der eng mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und deren Vorrang beim Einleiten ins Netz verbunden ist. Im Gegensatz beispielsweise zu Äpfeln benötige Strom unbedingt Abnehmer, da er nicht einfach entsorgt oder gespeichert werden kann. „Zudem ist das Stromnetz nur dann stabil, wenn sich Einspeisung und Entnahme genau die Waage halten“, so das von Peter Altmaier (CDU) geführten Ressort. „Negative Preise sind kein theoretisches Konzept“, heißt es bei der European Power Exchange (Epex), der europäischen Energiebörse, eine Tochter der Leipziger Energiebörse EEX. Käufer erhalten tatsächlich Strom und Geld vom Verkäufer – weil es für die Erzeuger in diesem Moment günstiger ist als ein Abschalten und erneutes Hochfahren beispielsweise ihrer Kohlekraftwerke. Falls also diese Kraftwerke flexibel genug seien, würden sie, wenn zu viel Strom im Netz ist, die Produktion stoppen, berichtet die Epex, die in acht europäischen Ländern, darunter der Bundesrepublik, die Kurzfristmärkte für die Elektrizität betreibt. Das tägliche DNN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Dresden täglich gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Das Wirtschaftsministerium verweist darauf, dass es sich beim negativen Preis um kein neues Phänomen handelt, „sondern bereits seit September 2008“ an der Strombörse zu beobachten sei. Noch tauchen sie laut Epex vergleichsweise selten auf. „Dennoch sind sie nicht ungewöhnlich.“ In Deutschland., wo unflexible Stromerzeugung durch den starken Zubau von erneuerbaren Energien steigt, wurden 2017 an 34 Tagen mit zusammen 185 Stunden auf dem Intraday-Markt negative Preise ermittelt. Dabei handelt es sich um den Kauf und Verkauf von Strom, der noch am selben Tag geliefert wird. Im vorigen Jahr gab es 211 solcher Stunden, in den ersten dreieinhalb Monaten dieses Jahres 147 Stunden, wie die Bundesnetzagentur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtete. Versorger beziehen Strom mit langfristigen Verträgen: Dem Stromkunden kann diese Erscheinung, zumindest auf den ersten Blick, relativ egal sei. „Wir beschaffen unseren Strom für Privatkunden langfristig in Tranchen über mehrere Jahre am Terminmarkt“, begründet ein Sprecher von EnviaM in Chemnitz. „Die Strompreise am Kurzfristmarkt, beispielsweise in der Stundenauktion der Epex, haben, egal ob positiv oder negativ, folglich keinen unmittelbaren Einfluss auf die Strompreise“, so der Sprecher des größten ostdeutschen Energieversorgers. Da hilft es dem Verbraucher also nicht, dass der Strompreis auf dem kurzfristigen Markt in Deutschland von im Schnitt 37,67 Euro je Megawattstunde im Vorjahr auf 22,49 Euro im März 2020 wegen der gesunkenen Nachfrage gefallen ist. Der Privatkunde ist mittelbar über die Umlage zur Finanzierung des Ausbaus von Sonnen- und Windkraft (EEG-Umlage) mit im Spiel. Denn über diese Abgabe erhalten die Betreiber von Anlagen der erneuerbaren Energien ihre Vergütung – unabhängig vom aktuellen Strompreis. Allerdings liegen auf dem EEG-Konto – hier werden die Einzahlungen der Stromkunden mit den Ausschüttungen an die Betreiber verbucht – gegenwärtig noch gut 1,9 Milliarden Euro. Sechs-Stunden-Regel bei der Einspeisung: Wie weit dieser Betrag reicht, ist unklar, hängt vom Wetter ebenso ab wie von der Frage, wann der durch die Pandemie bedingte Nachfrageabsturz beim Strom beendet sein wird. Zudem gilt, dass die Einspeisung erneuerbarer Energien aus Anlagen, die nach dem 1. Januar 2016 in Betrieb genommen wurden, nicht immer vergütet wird: Dann nicht, wenn der Börsenstrompreis im Verlauf von mindestens sechs Stunden negativ war. Die EEG-Umlage beträgt gegenwärtig 6,76 Cent je Kilowattstunde, und ist von den Verbrauchern zu berappen. Die werden seit Jahren kräftig zur Kasse gebeten. 1998, als der Strommarkt liberalisiert wurde, kostete die Kilowattstunde im Schnitt nach Angaben des Branchenverbandes BDEW 17,11 Cent je Kilowattstunde. Heute sind es 31,37 Cent. Der Anteil von Steuern, Abgaben und Umlagen macht dabei 52,5 Prozent aus, die Netzentgelte schlagen mit 24,6 Prozent zu Buche. Zumeist steht das im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energien. Die staatlich beeinflusste Quote am Strompreis beträgt somit 77,1 Prozent. Der Anteil der Energieversorger für Beschaffung und Vertrieb liegt bei 22,9 Prozent. Von Ulrich Milde

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