Sachsen verspricht 650 Millionen Euro zur Corona-Bekämpfung

Geistersitzung am Mittwoch im Sächsischen Landtag. Kein Publikum, keine Schulklassen wie sonst üblich bei den Plenarsitzungen. Stattdessen: Fragebögen zum Auffüllen, Desinfektionsmittel am Treppenaufgang. Der Wachdienst macht letzte Absprachen. „Hier geht keiner hoch, der nicht vorher am Spender gewesen ist.“ Das Coronavirus hat auch den parlamentarischen Betrieb in Dresden erreicht. Die Abgeordneten versuchen – so möglich – einen freien Platz zwischen sich und dem Nachbarn zu lassen. Doreen Schwietzer von der AfD trägt demonstrativ Mundschutz. Pünktlich, 10 Uhr, eröffnet Landtagspräsident Matthias Rößler die 7. Sitzung des 7. Sächsischen Landtages und erreicht zunächst, dass es am Folgetag keine weiteren Beratungen geben soll. Dass sich die Parlamentarier überhaupt hier treffen, liegt an der AfD. Die hat nämlich Rößlers Vorschlag, die Veranstaltung am Mittwoch und Donnerstag abzusagen und lediglich ein Notparlament zum Thema Corona tagen zu lassen, am Montag abgeschmettert. Damit aber hat die formelle Einladung an die 119 Abgeordneten – von denen sich 25 entschuldigen lassen – formell Bestand. AfD-Chef Jörg Urban begründete die Ablehnung des Notparlaments so: „Die CDU-geführte Regierung weigert sich, den Katastrophenalarm in Sachsen auszurufen. Deshalb brauchen wir die Landtagssitzung, um die Regierung zu diesem Schritt zu bewegen.“ Es sei perfide, tausende Bürger weiter in ihren Betrieben arbeiten zu lassen und das sächsische Parlamente ducke sich ab, „bei vollem Bezug der Gehälter“, so Urban weiter. Kretschmer dankt kommunaler Ebene: So tritt denn an diesem Vormittag zunächst Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ans Mikrofon. „Was Sachsen derzeit erlebt, so etwas gab es in unserer Zeit noch nie“, beginnt er und zitiert Alt-Kanzler Helmut Schmidt, der gesagt hatte, in einer Krise zeige sich der wahre Charakter eines Menschen. Ausdrücklich dankt er Bürgermeistern und Landräten für ihr besonnenes Agieren in der Krise. Dann erklärt er das Handeln der Landesregierung. Man habe vorsorglich die Schulen geschlossen, aber den Eltern Zeit gelassen, sich darauf vorzubereiten. „Wir wissen nicht, wie lange diese Situation anhalten wird“, sagt Kretschmer. Das Beispiel der geschlossenen Grenze zu Polen und die Lkw-Staus zeigten aber, wohin eine Situation ohne ausreichende Vorbereitung führen könne. Er kündigt an, in diesem Zusammenhang das Bundesinnenministerium um Hilfe der Bundeswehr und um Unterstützung für den in dieser Sache unermüdlichen Landkreis Görlitz zu bitten. Haushaltsüberschuss für Seuchenbekämpfung: Kretschmer verweist auf die Unterstützung des Freistaats für Kliniken, für die kommunale Ebene, der die Kita-Gebühren wegbrechen, und für kleinere Unternehmen. Sachsen werde die 650 Milllionen Euro Haushaltsüberschuss aus dem vergangenen Jahr zur Bekämpfung des Coronavirus zur Verfügung stellen, verspricht der Ministerpräsident. „Es ist Zeit für gegenseitige Hilfe und Unterstützung.“ Dann geschieht etwas Unerwartetes: Kretschmer greift die AfD frontal an. „Diese Sitzung hier und heute ist unverantwortlich“, sagt er mit ungewohnter Schärfe. Wenn es die AfD nicht schaffe, aus ihrer Hybris auszusteigen, dann sei sie mitverantwortlich für die Krise. „Mir macht das große Sorgen“, fügt er hinzu. Und in Richtung AfD-Fraktionschef Jörg Urban: „Sie haben einmal mehr gezeigt, dass Sie in einer Reihe stehen mit Höcke in Thüringen und Kalbitz in Brandenburg.“ Da bricht der Tumult in den AfD-Reihen aus. Kretschmer schließt: „Das, was hier passiert, ist gefährlich für sehr, sehr viele Menschen.“ Dafür gibt es langen Applaus aus den Regierungsreihen – und sogar von der Linken. Sachsen bestellt 700.000 Schutzmasken: In einer Regierungserklärung informiert Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) danach über den aktuellen Stand bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2. Momentan könnten 1400 Tests täglich durchgeführt werden. Da sei eine Verdoppelung im Vergleich zur Vorwoche, sagt sie. Allerdings würden diese bis nach Ostern noch aufgestockt mit dem Ziel, „dass wir in der Lage sind, das normale Leben auch wieder zu gewährleisten“. Ihr Haus habe 700.000 Schutzmasken in Auftrag gegeben die schon in wenigen Tagen geliefert werden könnten. Köpping mahnt eindringlich: „Wichtig ist, dass wir alle die Nerven behalten und keine Hysterie entsteht, mahnt die Gesundheitsministerin. AfD-Chef Urban wirft der Regierung im Gegenzug vor, viel zu spät und zu zögerlich gehandelt zu haben. Das betreffe die Sicherheit der Grenzen, die Beschaffung medizinischer Ausrüstung und die Auslösung des Katastrophenalarms. Der AfD-Antrag dazu aber wird vom Parlament abgelehnt. Das Handeln der AfD hatte schon im Vorfeld zu heftigen Reaktionen geführt. CDU-Generalsekretär Alexander Dierks twitterte: „Jetzt zeigt sich sehr deutlich der Unterschied zwischen Verantwortung für das Land und verantwortungslosem Geltungsdrang.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Valentin Lippmann, sagte, die AfD sorge mit ihrem „wahnsinnigen Verhalten“ dafür, dass Abgeordnete und deren Mitarbeiter zusammenkommen, „nur damit die AfD auf großer Bühne ihr absurdes Besserwisser-Theater aufführen kann“. Für Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt ist es nach eigenen Worten nicht neu, dass die AfD lüge. „In diesem Fall ist es aber erwähnenswert, weil diese Partei die Gesundheit vieler Abgeordneter und Beschäftigter gefährdet.“ Von Roland Herold

Coronavirus - Geisterstimmung im Sächsischen Landtag – Kretschmer verspricht 650 Millionen Euro