Mediensucht: Wie schütze ich mein Kind?

Die Mediennutzungsmuster sind in ständigem Wandel. Die Digitalisierung ermöglicht einerseits mehr Information, Bildung, bessere Vernetzung aber auch eine Erreichbarkeit rund um die Uhr. Es herrsche keine Einigkeit, was als „normales Mediennutzungsverhalten“ verstanden wird, sagt Dr. Evmorfia Fromme, Leitende Oberärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Helios Park-Klinikum Leipzig. Gewisse Grundregeln können Eltern aber beachten. Wie können Eltern Mediensucht erkennen? Es geht nicht ausschließlich um die reinen Spielzeiten. Wichtig ist zu schauen, ob ein Kind seine Medien beherrscht, also Anfang und Ende findet, oder ob es eher andersherum ist, die Medien also das Kind beherrschen. Eltern sollten sich auch Fragen stellen wie: Gibt es noch andere Interessen und reale Kontakte im Alltag des Kindes? Hat es noch andere Freizeitbeschäftigungen oder steht der Mediengebrauch im Vordergrund? Zieht das Kind sich zurück? Verbringt es mehr Zeit vor dem Bildschirm, als geplant? Gibt die Schule die Rückmeldung, dass die Leistungen nachlassen oder sind Fehlzeiten entstanden? Denn süchtige Jugendliche spielen bis in die späte Nacht und kommen morgens nicht aus dem Bett. Eine wichtige Frage ist, ob die Kinder oder Jugendlichen das Spielen brauchen, um sich besser zu fühlen und negative Gedanken zu vergessen. Dann besteht ein höheres Risiko, dass der Medienkonsum ansteigt. Jungen spielen erfahrungsgemäß eher an PC und Konsolen. Mädchen benötigen das Smartphone für die sozialen Medien wie Instagram, WhatsApp oder Snapchat. Es gibt Jugendliche, die zwar mehrere Stunden täglich spielen, aber trotzdem noch reale Kontakte haben und in der Schule ihren gewohnten Leistungen bringen. Es müssen mehrere Faktoren zusammenkommen, damit aus einer intensiven Mediennutzung eine krankhafte Sucht entsteht. Welche Auswirkungen hat Mediensucht auf Kinder und Jugendliche? Sie verlieren die Kontrolle und schaffen es nicht mehr, den Konsum einzuschränken. Videospiele sind besonders dann attraktiv, wenn sie „süchtig“ machen. Das heißt, dass Spielerinnen und Spieler emotional mit dem Spiel verknüpft werden. Später vermeiden die Jugendlichen dann Gespräche über Spielzeiten und versuchen, ihren Konsum zu verheimlichen. Innerhalb der Familien kommt es zu Diskussionen und Auseinandersetzungen. Wenn Eltern dann versuchen, den Mediengebrauch einzuschränken, reagieren süchtige Jugendliche mit Wut und aggressivem Verhalten. Wer seine Zeit hauptsächlich vor dem Bildschirm verbringt, ernährt sich mit Fast Food, bewegt sich kaum und nimmt oft an Gewicht zu. Die Schule verliert an Bedeutung, Fehlzeiten oder dauerhaftes Schwänzen sind die Folge. Das schafft auf Dauer Streit in der Familie, die Aggressionen nehmen weiter zu und die Stimmung wird auf beiden Seiten schlechter. Bei den Jugendlichen vor allem deshalb, weil ein großer Teil des eigenen Selbstwertes über die Videospiele oder Online-Aktivitäten definiert wird. Eine weitere wichtige Motivation wird durch das eigene Gehirn ausgelöst. Beim Spielen werden Hirnbereiche aktiviert, die für Motivation, Kontrolle und Gedächtnis zuständig sind. Bei jedem Spielerfolg wird das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert und Glückshormone werden ausgeschüttet. Allerdings gewöhnt sich das Gehirn daran und benötigt höhere Dosen, also immer mehr Spielaktionen. Was macht das mit den Eltern? Viele Eltern sind sehr besorgt und unsicher. Sie haben keine Lernmodelle aus der eigenen Kindheit. Die einen reagieren mit großer Strenge. Wenn sie aber in einer solchen Situation versuchen, das WLAN abzuschalten oder den PC herunterzufahren, eskaliert der Streit meist. Die anderen ziehen sich zurück und begrenzen gar nicht mehr, weil sie spüren, dass sie mit ihren Regeln gar nichts bewirken können. Sie fühlen sich hilflos und überfordert. Dieses Verhalten fördert aber die Sucht, statt zu helfen. Wie kann man schon vorher innerhalb der Familien gegen solche Tendenzen vorgehen? Spiele und Unternehmungen in der Familie, gemeinsam geplante Freizeit in der realen Welt sind wichtig. Kinder sollen das Gefühl haben, dass die Eltern sich für ihre Gedanken und Gefühle interessieren. Eltern sollten sich informieren, welche Spiele die Kinder an der Konsole spielen, sich mit Ihnen austauschen und frühzeitig über Risiken und auch vielfältige Möglichkeiten der Mediennutzung sprechen. Bei jüngeren Kindern sollten die Geräte gesichert werden mit Passwort und einer Sperre, dass sie kein Geld ausgeben. Klare Absprachen über die Mediennutzungszeiten sind notwendig. Dies können feste Zeiten pro Tag oder Woche sein. Das Elternhaus hat eine wichtige Vorbildfunktion. Man kann zum Beispiel Offline-Zeiten zum Beispiel bei den gemeinsamen Mahlzeiten vereinbaren und dann müssen sich alle daranhalten. Was passiert, wenn die Sucht schon übernommen hat? Dann sollte man sich auf jeden Fall professionelle Hilfe holen, entweder bei der Jugenddrogenberatungsstelle K(L)ICK oder in unserer Sprechstunde für suchtgefährdete Kinder und Jugendliche der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Welche Tendenzen sehen Sie in Ihrem Alltag? Seit dem Sommer sehe ich in der Sprechstunde überwiegend Jungen, zehn bis zwölf Jahre alt, die wegen einer Medienabhängigkeit vorgestellt werden, aber eigentlich gar nicht abhängig sind. Während des Lockdowns konnten sie nicht in die Schule gehen, Freizeitbeschäftigungen wie Fußball auf dem Bolzplatz oder Sport in Vereinen waren nicht mehr möglich, auch Treffen mit Freunden ging nicht mehr. So wurde das Videospiel eine gute Möglichkeit für Kontakt, Kommunikation und Zeitvertreib. Unter diesen besonderen Umständen ist dies ganz normales Verhalten. Problematisch wird es erst, wenn der Medienkonsum zu Hause nicht thematisiert und begrenzt wird. Die Eltern benötigen Unterstützung in der Medienerziehung. Früher habe ich gefragt, ob der Fernseher im Kinderzimmer steht, heute frage ich: Wie ist der Zugang zu PC, Konsole oder Tablet? Der Standort sollte gut überlegt sein. Ein Platz im allgemeinen Wohnbereich statt im Kinderzimmer lässt einen besseren Überblick über die Aktivitäten der Kinder zu. Sind Medien und Medienkonsum dann nicht allgemein ein Thema für Familien? Natürlich, diese Themen werden heute immer wichtiger. Die Digitalisierung nimmt zu und hat viele Bereiche sehr verändert. Für viele Jugendliche ist das Internet ein ständiger Begleiter. Das Vertrauensverhältnis innerhalb der Familie spielt eine große Rolle. Die Kinder und Jugendlichen sollten sich an die Eltern wenden können, wenn sie eine negative Erfahrung im Netz machen bis hin zum Cybermobbing. Und letztendlich gilt die Grundregel: das eigene Kind stärken. Denn sozial kompetente Kinder kommen besser mit den Medien klar. Von Thomas Bothe