Jugendliche im Corona-Lockdown: „Ich habe das Gefühl, es interessiert niemanden, wie es uns geht“

Die Leipzigerin Emma Lippold ist 17 Jahre alt und Schülerin. Sie berichtet von Stress, erzwungener Selbstständigkeit und Lagerkoller. Im Interview spricht sie über enttäuschte Hoffnungen, psychische Belastungen und die Forderung, gehört und geschützt zu werden. Sie schreiben, Ihnen und Ihrer Generation wird das Recht auf Leben abgesprochen. Wie meinen Sie das? Die Situation ist total bedrückend. Ich habe damit zu kämpfen, meine Freunde nicht mehr treffen zu können, geschweige denn sie zu umarmen. Das normale soziale Interagieren fehlt mir. Natürlich müssen auch andere Altersgruppen darauf verzichten. Aber Ältere können von einer längeren, besseren Vergangenheit vor Corona zehren und der Erfahrung, dass Krisen vorbeigehen. Wir Jüngeren haben die nicht. Wir verlieren gerade die Unbeschwertheit, die kindliche Naivität. Und ich habe das Gefühl, es interessiert niemanden, wie es uns geht. Die Schule wird wieder geöffnet, dann wieder geschlossen, und wir haben das alles so hinzunehmen. Natürlich gehört zum Leben die körperliche Gesundheit, aber durch dieses Knebeln wird die seelische stark angegriffen. Welche Tage sind für Sie die schwersten? Am schlimmsten ist es, wenn neue Regelungen rauskommen. Eigentlich schon, wenn vorab Einzelheiten bekannt werden. Das ist für mich purer Stress im Kopf. Wenn beispielsweise bei der Rückkehr in die Schule wieder über die baldige Schließung nachgedacht wird, sorgt das für große Unsicherheit. Ich frage mich dann jedes Mal: Wie soll das bloß weitergehen, und wann endlich wird es besser? Haben Sie Strategien für Corona-Koller? Wenn es ganz schlimm ist, tut Bewegung gut. Und Videotelefonate mit Freunden natürlich. Es ist zwar nicht dasselbe wie im analogen Leben, aber der Kontakt hilft. Was müsste anders laufen, damit es Ihnen generell besser geht? Ich finde, es müsste mehr diskutiert werden, was diese Beschränkungen mit der Gesellschaft machen und weniger über die Wirtschaft. Laut Statistik sind 30 Prozent der Kinder durch Corona psychisch belastet. Das wird veröffentlicht, aber das war es dann auch. Und ich habe den Eindruck, die Politik handelt nach einem Plan, den wir vor einem Jahr auch schon hatten. Es müsste Neues versucht werden, das der Situation gerecht wird. Von denen, die beispielsweise den Zweiten Weltkrieg erlebten, kommt der Appell, uns ginge es vergleichsweise gut und wir müssten uns einfach mal zusammenreißen. Nützt Ihnen das was? Zum einen: Die große Mehrheit vor allem der Jüngeren reißt sich schon zusammen, eine ganze Weile bereits. Wir geben uns wirklich Mühe. Täten wir das nicht, würde es sich in den Zahlen niederschlagen. Natürlich: Der Krieg war furchtbar, dennoch darf ich meine Gegenwart auch furchtbar finden. Dieser Vergleich funktioniert für mich nicht. Finden Sie für sich auch Positives an der Lage? Corona hat durchaus neue Möglichkeiten der Online-Kommunikation eröffnet. Aber eine reale Begegnung bleibt die bessere. Jedenfalls hat die Pandemie meine Wertschätzung für das erhöht, was ich früher als selbstverständlich oder gar als lästig angesehen habe – vor allem der Gang in die Schule oder einfach mal rausgehen zu können. Letzteres ist für Sie gerade verboten, weil ein Familienmitglied positiv getestet wurde und Sie alle unter Quarantäne stehen. Hat das Ihr Verständnis für die Dramatik der Lage verstärkt? Das hätte ich nicht gebraucht. Für mich war immer klar: Das ist ein realer, sehr bedrohlicher Virus. Die Quarantäne macht alles natürlich noch etwas schwieriger. Immerhin können wir mal bei gutem Wetter auf die Terrasse vor dem Haus. Gesundheitlich jedenfalls geht es uns allen gut. Was macht Ihnen Hoffnung? Vor allem das Impfen. Und natürlich auch die Rückkehr in die Schule - und zwar bitte ohne die Angst, dass bald wieder geschlossen werden muss. Hätten Sie gerade die Chance, psychologisch betreut zu werden – würden Sie sie ergreifen? Ich denke schon, dass es mir helfen würde. Generell halte ich psychologische Begleitung für wertvoll. Allerdings sind gerade wegen der Pandemie kaum Termine zu bekommen. Für mich ist es gerade aber nicht so nötig, denn in der Familie verstehen wir uns gut, hier bekomme ich viel Unterstützung. Im Juli werden sie volljährig. Was möchten Sie an dem Tag machen können? Unter den aktuellen Umständen wäre ich schon froh, wenn ich wie im letzten Sommer eine kleine Radtour mit Freundinnen machen könnte. Auf eine große Feier wage ich lieber nicht zu hoffen. Von Mark Daniel