Corona-Mutationen: Auch in Sachsen nehmen die Nachweise zu

Schon allein das Wort an sich klingt bedrohlich: Mutation. Für die Leipziger Band Think About Mutation (deutsch: Nachdenken über Mutation) war es Mitte der 1990er Jahre die naheliegendste Assoziation, um ihren offensiven Klängen einen Markennamen zu geben. Eines ihrer erfolgreichsten Alben hieß damals „Virus“. Im Februar 2021 ist es nun leider keine popkulturelle Anspielung, die Menschen buchstäblich in lebensbedrohliche Atemnot bringt. Es sind markante Veränderungen des ohnehin schon gefährlichen Corona-Virus, die Erfolge im Kampf gegen die Pandemie zunichte machen könnten. Während die Infektionen bundesweit insgesamt stagnieren, steigen auch in Sachsen und Thüringen die Nachweise der Virusvarianten. Immunologe: Variante ist im exponentiellen Wachstum: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnte am Mittwoch, man müsse angesichts der Entwicklung sehr vorsichtig sein. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt aktuell, dass etwa jeder fünfte positive Corona-Test in Deutschland auf die sogenannte britische Mutation B.1.1.7 zurückgeht. Vor zwei Wochen war es noch jeder sechszehnte Test. Laut des Braunschweiger Immunologen Michael Meyer-Hermann (Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung) befindet sich diese Variante hierzulande inzwischen im exponentiellen Wachstum „und die aktuellen Maßnahmen reichen nicht, um diese Entwicklung auszubremsen“. Aus der zentralen Corona-Klinik in Flensburg (Schleswig-Holstein) heißt es, inzwischen haben 50 Prozent der Corona-Fälle diese Mutation in sich. Die Mediziner warnen bereits wieder vor einer Überlastung des Gesundheitssystems. Immerhin scheint sich die südafrikanische Variante B.1.351 bisher noch nicht so stark zu verbreiten. Die Quote liegt bundesweit laut RKI noch unter zwei Prozent. Vergleichsweise wenig erkannte Fälle – Dunkelziffer höher: Auch in Sachsen und Thüringen gibt es Sorgen, dass die derzeit niedrigeren Infektionszahlen mit den Varianten doch wieder ansteigen werden. Zumal das benachbarte Tschechien als ausgewiesenes Mutationsgebiet mit extremen Fallzahlen gilt. Dennoch scheint die Gefahr zumindest auf den ersten Blick noch geringer: In Thüringen waren zuletzt gut 80 Fälle bekannt, Sachsens Sozialministerium sprach am Donnerstag von bisher 112 bekannten Nachweisen – 30 mehr als am Dienstag. Etwa ein Viertel davon stammt aus dem Vogtlandkreis. Nicht überall klappt das Erkennen gleich gut, Lücken in den Daten sind wahrscheinlich, die Dunkelziffer mutmaßlich höher. In Dresden gehen die Verantwortlichen davon aus, dass die Quote tatsächlich wohl ähnlich wie bundesweit ist. In den Großstädten ist man beim Suchen der Corona-Mutanten Dank der medizinischen Möglichkeiten wohl am besten aufgestellt. Im Labor der Leipziger Universitätsklinik (UKL) werden alle positiven Tests der Region akribisch untersucht. „Bei den Proben, die wir erhalten, sehen wir nach wie vor noch relativ wenige Mutanten“, sagt die Leiterin Corinna Pietsch. Nachdem Ende Januar am UKL als erstes die sogenannte südafrikanische Variante B.1.351 in einem positiven Test entdeckt wurde, seien es aktuell vor allem Funde vom britischen Typ B.1.1.7 – mit Tendenz steigend. „Aber auch diese Variante hat aktuell noch einen Anteil von etwas unter zehn Prozent an der Gesamtheit der positiven Testergebnisse“, sagt die Virologin. Zudem gebe es noch keine Konstanz: „Mal ist es eine Familie mit gleich mehreren Betroffenen, dann kommen wieder nur einzelne Fälle“, erklärt Pietsch. Weniger Spielraum – geringere Wirksamkeit: Im Unterschied zum „Original“ zeigen die mutierten Viren Veränderungen an den sogenannten Spike-Proteinen, also an den markanten Spitzen der Außenhülle. Diese machen das Virus wahrscheinlich nicht tödlicher. „Aber es zeigst sich weiterhin, dass beide hier bisher aufgetretenen Mutationen leichter übertragbar sind. Das bringt epidemiologische Probleme mit sich, der R-Wert steigt und wir haben geringeren Spielraum für Lockerungen“, warnt die Virologin. Das andere Problem sei die weniger gute Wirksamkeit der entwickelten Vakzine im Schutz gegen die südafrikanische Variante. „Das zeichnet sich bei immer mehr Impfstoffen ab. Das ist nicht ideal, aber wir gehen weiter davon aus, dass sie zumindest gegen schwere Verläufe schützen werden“, sagt Pietsch. Und das sei schließlich das wichtigste. Hinsichtlich der britischen Variante gibt es dagegen auch Studien, die von einem nicht beeinträchtigten Schutz ausgehen. Impfungen und Kontrolle der Infektionswege: Sachsens Sozialministerium sieht es ähnlich wie die Virologin, setzt im Kampf gegen die Mutationen auf die Verteilung de Schutzes. Bis Donnerstag hatten 139.917 Sächsinnen und Sachsen mindestens ihre Erstimpfung erhalten, in Thüringen waren es 88.278 Menschen. „Auch wenn wir immer noch weniger Impfstoff haben, als wir gern hätten, kommen wir kontinuierlich voran“, so eine Sprecherin. Zudem sei es wichtig, dass die Gesundheitsämter die Verbreitung der Viren aufklären und stoppen – „und das unabhängig davon, um welchen Typ des Virus es sich handelt“. Die Leipziger Band Think About Mutation hat sich übrigens nach fünf Studio-Alben vor etwa 20 Jahren aufgelöst. Die Abschiedstour hieß damals: „Enough is Enogh“ (deutsch: Genug ist genug). Wäre auch für das Corona-Virus eine passende Ansage, um sich endgültig zu verabschieden. Das wird aber nicht passieren. Von Matthias Puppe