Chrupalla ist Spitzenkandidat der Sachsen-AfD für Bundestagswahl

Dass Tino Chrupalla zum sächsischen AfD-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gewählt werden würde, stand außer Frage – die Spannung konzentrierte sich am Wochenende in Dresden ausschließlich auf das Ergebnis. Und dieses glich einer Signalwirkung: 77,5 Prozent der mehr als 700 Mitglieder votierten auf dem Landesparteitag für den Co-Bundesvorsitzenden. „Mehr geht nicht“, gestand Chrupalla äußerst aufgeräumt gegenüber der LVZ ein. Als würde es noch eines weiteren Beweises für die Tragweite brauchen, fügte der 45-Jährige lächelnd hinzu: „Das ist mehr als Frauke Petry hatte.“ Geplante Palastrevolte scheitert in Dresden: Tatsächlich hatte die frühere Parteichefin vor vier Jahren 72 Prozent erhalten, nachdem sie auf dem Wahlparteitag angefeindet und in Tränen ausgebrochen war. Nach der Bundestagswahl 2017 hatte sich Frauke Petry aus der AfD zurückgezogen. Wie allgegenwärtig die Ex-Vorsitzende immer noch ist, zeigte eine Aussage von Sachsens AfD-Chef Jörg Urban während des Parteitages: Unter tosendem Applaus erklärte er die Abtrünnige zur Verräterin. Damit war auch klar: Ihre ehemaligen Vertrauten, die intern zu den Moderaten zählen und auf dem Landesparteitag eine Palastrevolte anzetteln wollten, würden es schwer haben. Maier sieht Bezeichnung als Rechtsextremist positiv: Als Erster wagte sich Michael Klonovsky aus der Deckung: Der frühere Petry-Berater und „Focus“-Journalist forderte mit Jens Maier einen Alteingesessenen um Listenplatz 2, also direkt hinter Chrupalla, heraus. Maier sitzt seit 2017 im Bundestag, war in Sachsen der Obmann des als rechtsextremistisch eingestuften und inzwischen offiziell aufgelösten „Flügel“. Auch Maier selbst darf öffentlich als Rechtsextremist bezeichnet werden. Auf eine entsprechende Nachfrage antwortete er auf dem Landesparteitag sichtbar stolz: „Wer in diesen Zeiten nicht als Rechtsextremist bezeichnet wird, macht irgendwas verkehrt.“ Große Zustimmung für ehemaligen „Flügel“-Obmann: Zudem stand Maier in seiner Bewerbungsrede zu seinem „Kameraden“ Andreas Kalbitz, der für ihn „immer noch zur Partei“ gehöre, was der Parteitag mit heftigen Beifallsbekundungen goutierte. Der ehemalige Brandenburger AfD-Vorsitzende war wegen rechtsextremistischer Umtriebe aus der AfD geworfen worden. Maier setzte sich schließlich mit 61,2 Prozent der Stimmen gegen seinen Herausforderer Klonovsky durch, den er zuvor in die Kaste der „Möchtegern-Intellektuellen“ verwiesen hatte – auch dieses Ergebnis darf durchaus als Signal verstanden werden. Damit zeichnete sich schon frühzeitig ab, dass der avisierte Umsturz wohl chancenlos bleiben wird. Bundestagsabgeordnete landen auf Spitzenpositionen: Als entscheidende Wegmarke galt schließlich der mühelose Durchmarsch von Siegbert Droese: Der Bundestagsabgeordnete und Leipziger AfD-Vorsitzende schlug mit 51 Prozent für Platz 3 gleich im ersten Wahlgang vier Kontrahenten. Mit Karsten Hilse (70,6 Prozent bei nur einem Mitbewerber) setzte sich auch auf Rang 4 ebenfalls ein arrivierter Bundestagsabgeordneter, der zuletzt bei einer Querdenker-Demo in Berlin wegen eines verweigerten Mundschutzes für Aufsehen gesorgt hatte, durch. Zuvor war Herwig Schöffler, ein Kandidat aus Leipzig, ausgebuht und ausgepfiffen worden: Er hatte von „Nationalsozialisten in den Reihen“ der Partei und erheblichen rechtsextremistischen Tendenzen gesprochen. Schöffler erhielt prompt die Quittung: 3 von 698 Stimmen. Auf den weiteren Plätzen folgen der AfD-Landessprecher Andreas Harlaß (Listenrang 5), der Anti-Corona-„Spaziergänger“ Steffen Janich (6) und die „Schluss mit dem Schuldkult“-Bibliothekarin Barbara Lenk (7). Droese warnt vor Spaltung durch Bundesführung: Die Signalwirkung aus Sachsen dürfte entsprechend sein – immerhin rumort es in der Partei seit einiger Zeit. Der Konflikt war zuletzt beim Bundesparteitag vor sechs Wochen offen ausgebrochen. Chrupalla gilt mittlerweile als Widerpart seines Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen, der in den Grabenkämpfen auf dem Bundesparteitag nur knapp die Oberhand behalten hatte. Hintergrund ist die Auseinandersetzung zwischen der noch als gemäßigt geltenden Meuthen-Fraktion und den im Osten häufig dominierenden radikaleren Kräften. So gilt in Sachsen eine Mehrheit von mindestens zwei Drittel der Mitglieder offiziell als „Flügel“-Anhänger. Droese warnte in Dresden „Teile des Bundesvorstandes“ vor einer Spaltung der Partei: Wem die Botschaft galt, war eindeutig – zweifellos die Meuthen-Gruppierung. Gauland bezeichnet Verfassungsschutz als Plage: Darüber hinaus ist die Sachsen-AfD seit einigen Tagen als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft worden. In seiner Bewerbungsrede prangerte Chrupalla unter großem Jubel die Beobachtung durch den Verfassungsschutz an: „Das erinnert viele im Osten am Zustände in der DDR. Dafür sind die Menschen 1989 nicht auf die Straße gegangen.“ Schon zum Auftakt des Landesparteitages hatte der AfD-Ehrenvorsitzende und Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland den Verfassungsschutz – ebenfalls unter tosendem Beifall – als „Plage“ gegeißelt und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) selbst Verfassungsfeindlichkeit vorgeworfen. „Wer Deutsch bleiben will, ist ein Fall für den Verfassungsschutz“, rief Gauland in den Saal und bezeichnete den „demokratischen Widerstand“ als oberste Bürgerpflicht. Ehemalige Petry-Vertraute scheitern für vordere Plätze: Chrupalla ging in seiner Rede auf die internen Auseinandersetzung innerhalb der AfD ein und redete dem Parteitag ins Gewissen: „Wer Alexander Gauland angreift, greift auch mich und die gesamte AfD an.“ Dieses Signal, dass sich nicht allein gegen Meuthen richtete, kam bei den Mitgliedern offensichtlich an. Immerhin stellte sich mit dem früheren Petry-Vertrauten Klonovsky der aktuelle Redenschreiber von Gauland zur Wahl – allerdings hatte er sich hinter dem Rücken des „Alten“, wie der knapp 80-Jährige intern genannt wird, eine Direktkandidatur in Chemnitz gesichert. Doch ein solches Verhalten gilt in weiten Teilen der Sachsen-AfD als Blasphemie. Ähnlich erging es Matthias Moosdorf: Der Cellist, der lange Jahre mit dem Leipziger Streichquartett durch die Welt reiste, war ebenfalls Petry-Weggefährte, galt seit Jahren als heimlicher Strippenzieher und wollte nun die Grauzone mit einem prominenten Rang verlassen. Nach der Klonovsky-Pleite griff Moosdorf allerdings nicht mehr in den Kampf um die aussichtsreichen Listenplätze ein: Mit der radikalen Kurssetzung und dem klaren Kontra-Part zur Bundesspitze-West verpufften jegliche Abrechnungsstrategie. Urban gibt „über 30 Prozent“ als Wahlziel aus: Sachsens AfD-Chef Jörg Urban hatte die mehr als 700 Mitglieder auf der Messe Dresden in der „Hauptstadt des Widerstands“ begrüßt. Auch er ging auf die stärkere Beobachtung durch den Verfassungsschutz ein - und warnte die Partei, dass vom Geheimdienst nun „offiziell Spitzel und Provokateure installiert“ werden könnten. Urban gab als Marschroute einen strikten Oppositionskurs aus: Man müsse sich nicht bei der CDU anbiedern, ein Politikwechsel könne auch jenseits der Regierungsbänke erreicht werden. Als Ziel für die Bundestagswahl nannte Urban „über 30 Prozent“. Landesparteitag will 20 Listenplätze vergeben: Vor vier Jahren hatte die AfD in Sachsen zum ersten Mal die Union geschlagen, wenn auch nur mit 0,1 Prozentpunkten. Laut der aktuellen LVZ-Umfrage bleibt die AfD mit stabilen 26 Prozent die zweitstärkste Partei im Freistaat, während die CDU mit 34 Prozent vorn liegt. „Natürlich wollen wir bei der Bundestagswahl wieder stärkste Kraft in Sachsen werden“, machte Urban klar. Durch die Austritte von Frauke Petry, Verena Hartmann und Lars Herrmann sitzen aktuell noch acht sächsische AfD-Abgeordnete im Bundestag. Vor vier Jahren hatte die Partei neben drei Direktkandidaten, die in ihren Wahlkreisen gewonnen hatten, auch acht Listenplatzierte in den Bundestag gebracht. Anhand der Umfrageergebnisse kann für September eine ähnliche Größenordnung erwartet werden. Der Parteitag will bis Sonntagabend 20 Listenplätze nominieren. Ob es dazu kommen wird, ist aufgrund der großen Bewerberzahl offen. Bis Sonntagmittag zog sich das Prozedere, waren zunächst nur neun Plätze gewählt worden. Generalsekretär Jan Zwerg redete seinen Parteifreunden eindringlich ins Gewissen: Allein dieser Parteitag koste 120.000 Euro – ein zweite Auflage „können wir uns nicht leisten“. Dabei beschwor Zwerg auch die Erinnerungen an vorangegangene Listenwahlen herauf: Immer wieder musste die AfD für die Nominierungen mehrmals nachsitzen. Kritik an Massen-Zusammenkunft in Corona-Zeiten: Die AfD hat für die Aufstellungsversammlung zwei Tage angesetzt. Die Zusammenkunft war im Vorfeld kritisiert worden: In Zeiten der Corona-Krise sollten sich nicht Hunderte Menschen versammeln, hieß es. Allerdings gestatten sowohl die sächsische Corona-Schutzverordnung als auch die neue Rechtsverordnung aus dem Bundesinnenministerium eine solche Veranstaltung. Die AfD hat betont, sich strikt an die Hygienevorschriften zu halten. Der Parteitag wurde auch von Kontrollen des Dresdner Gesundheitsamtes begleitet. Von Andreas Debski