Anfang der Neunziger Jahre, als Deutschland nach der Wiedervereinigung vor allem mit sich selbst beschäftigt war, lebte Ursula von der Leyen mit ihrer Familie in Kalifornien. Die Politikerin blickt gern auf diese Zeit zurück, als ihr Ehemann an der Stanford-Universität beschäftig war und ihre Zwillinge zur Welt kamen. Damals entwickelte sich eine sehr persönliche Beziehung zu den Vereinigten Staaten – eine spezielle Verbindung, die einige ihrer Gesprächspartner wohl auch spüren, mit denen sie in diesen Tagen in Washington verhandelt.
Eigentlich reist die Verteidigungsministerin mit einem unangenehmen Auftrag über den Atlantik: Mit Blick auf den NATO-Gipfel hat sie den deutschen Wehretat zu erklären, der in der Augen des US-Präsidenten seit Jahren viel zu niedrig ausfällt. Deutschland, so der ständige Vorwurf von Donald Trump, habe sich unter dem Schutzschild der amerikanischen Streitkräfte gemütlich eingerichtet, ohne seinen Verpflichtungen ausreichend nachzukommen. Ein Vorwurf, der nicht ganz von der Hand zu weisen ist – aber auch nur einen Teil der Wahrheit beschreibt.
Und genau an diesem Punkt kommt offenbar die Familiengeschichte von der Leyens ins Spiel: Gerade weil die USA für die 59-Jährige mal ein Zuhause war und sie bis heute private Kontakte in das Land pflegt, will sie die Debatte um den Wehretat nicht allein den Scharfmachern überlassen und stattdessen ein vollständiges Bild zeichnen. Amerika ist eben größer als das Weiße Haus.
Pentagon-Chef lobt deutschen Anteil an Militärmissionen
Sicherlich: Lautstarke Kritik am Staatsoberhaupt des größten NATO-Partners verbietet sich in führenden Bundeswehrkreisen. Das heißt aber nicht, mit den eigenen Leistungen hinter dem Berg zu halten. So findet selbst der Pentagon-Chef anerkennende Worte für den deutschen Anteil an den internationalen Militärmissionen. Deutschland, so Jim Mattis, ist der zweitgrößte Truppensteller im Bündnis – und ein Partner, der auch bereit ist, über viele Jahre den Aufträgen kontinuierlich nachzukommen. Jeder US-Soldat, der in den vergangenen Jahren nach Afghanistan abkommandiert wurde, wisse um diese enge Kooperation. Und apropos Etat: Nach wie vor ist Berlin der zweitgrößte Nettozahler.
Ob es von der Leyen gelingt, mit ihrer Werbeoffensive die Stimmung im Oval Office zu heben, ist nicht ausgemacht. Angesichts der Unberechenbarkeit des Präsidenten ist es vielleicht gar nicht ihr oberstes Ziel. Einen größeren Effekt verspricht sie sich offenbar davon, mit Donald Trumps Beratern immer und immer wieder zu sprechen, um Überzeugungsarbeit zu leisten.
Mit Blick auf den NATO-Gipfel am 11. und 12. Juli in Brüssel mag die Ministerin keine Prognosen abgeben. Aber in ihrem Umfeld steigt die Zuversicht, trotz aller Turbulenzen die Zuversicht unter den US-Militärexperten und europäische Partnern wieder zu heben.
Von Stefan Koch/RND