Ein Mann, der in Brooklyns ultra-orthodoxer jüdischer Gemeinde Geld für wohltätige Zwecke sammelt, ist gerade auf dem Weg nach Detroit. Plötzlich fühlt er sich sehr krank. Nach seiner Ankunft wendet er sich an einen Arzt. Dieser diagnostiziert dem Patienten Fieber und Husten – mit dramatischen Folgen.
Denn der Mann steckt in den folgenden Tagen 39 Menschen mit dem Masern-Virus an. Sein Fall zeigt, wie leicht sich einer der gefährlichsten Krankheitserreger der Erde ausbreitet – auch bei Menschen die eigentlich außerhalb von städtischen Zentren und dem Mainstream leben, arbeiten und sich sozialisieren.
Ein Ursprung in den Kleinstgemeinden
„Jeder unserer Fälle hatte eine Verbindung zum Ausgangsfall“, sagt Leigh-Anne Stafford. Er ist Gesundheitsbeauftragter von Oakland County, einem Vorort von Detroit. Zu dieser Erkenntnis kommt er aus Erfahrung. Denn in den letzten fünf Jahren traten 75 Prozent der gemeldeten Masernfälle vor allem in Kleinstgemeinschaften auf – darunter bei den Amish in Ohio, der somalische Gemeinschaft in Minnesota, den osteuropäischen Gruppen im pazifischen Nordwesten und der Ultra-orthodoxen jüdischen Gemeinde in New York.
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In diesem besonderen Fall konzentrieren sich die Ansteckungen vorwiegend auf ultra-orthodoxe Gemeinschaften in Westchester, Rockland County (Bundesstaat New York), Oakland County in Michigan und Baltimore County in Maryland. Darüber hinaus habe sich ein Erwachsener nach einem Besuch in Brooklyn mit dem Masern-Virus angesteckt. Schnell wird den Behörden deutlich, dass es zwischen elf Fällen in der Gegend von Ocean County und New York konkrete Verbindungen gibt. „Sie alle leben in unmittelbarer Nähe zueinander“, sagt Daniel Salmon, Professor für internationale Gesundheit an der John Hopkins Bloomberg School of Public Health.
Skeptisch gegenüber der Regierung, TV, Internet und Impfungen
Viele dieser Gemeinden sind der Regierung gegenüber misstrauisch, verzichten auf Fernsehen und Internet. Daher sind die Menschen auch skeptischer gegenüber Impfstoffen. Viele Eltern hält das davon ab, ihre Kinder vollständig zu impfen.
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Der „Patient Zero“ (Jemand der einen Virus in gesunden Gemeinschaften erstmals verbreitet) sei erst letzten November aus Israel nach Brooklyn gekommen. Dort habe er zwei Monate verbracht, bevor er Anfang März in die Region um Detroit weiter gezogen ist, wie der medizinische Direktor des Oakland County, Russel Faust, gegenüber der Washington Post sagt. Das Ziel: Bei den ultraorthodoxen Gemeinschaften in den Vereinigten Staaten Geld für wohltätige Zwecke sammeln.
Eine falsche Diagnose
Als die Krankheit auf der Reise nach Detroit ausbricht, sucht der Mann einen Arzt auf. Dieser verkennt den Ernst der Lage, stellt ihm lediglich eine Fieber- und Husten-Diagnose und verschreibt Antibiotika. Als auf die Beschwerden am nächsten Morgen noch ein Hautausschlag folgt, ruft er abermals den Arzt an. Dieser geht anfänglich von einer allergischen Reaktion aus, kommt nach einiger Zeit aber ins Grübeln. Schließlich sorgt er sich, dass es sich auch um eine Masern-Infektion handeln könnte.
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Er kontaktiert das Gesundheitsamt und hinterlässt diesen auch die Telefonnummer von „Patient Zero“. Darüber ist er jedoch nicht mehr zu erreichen, da sein Mobiltelefon mittlerweile kaputt gegangen ist. Stattdessen wenden sie sich an Steve McGraw, Chef des Rettungsdienstes in Oakland und langjähriges Mitglied einer Notfallhilfegruppe der ultra-orthodoxen Gemeinschaft. McGraw alarmiert die rabbinischen Führer und macht sich selbst in der Gegend, in der der Gesuchte sich aufhalten wollte, auf die Suche.
Fassungslos nach der Diagnose
Patient Zero befindet sich mittlerweile in einem Gästehaus in der Nachbarschaft. Anhand seines auffälligen Mietwagens wird der Patient gefunden. Er ist fassungslos als er von der Diagnose erfährt und anfangs davon überzeugt, dass man sich mit dem Verdacht irren muss. „Das ist die einzige Erklärung. Sie haben die Masern“, gibt McGraw dem Reisenden zu verstehen.
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„Er legte seinen Kopf nach hinten und wurde sehr emotional. Ich konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass er am Boden zerstört war und die Zahnräder in seinem Kopf auf Hochtouren liefen.“ Denn der Patient muss alle Menschen aufzählen, zu denen er seit dem Ausbruch in Kontakt stand.
Kontakt zu hunderten von Menschen
Es stellte sich heraus, dass es hunderte waren – vor allem Gemeindemitglieder. So hatte er dreimal am Tag die Synagoge besucht, um zu beten und zu studieren. Er besuchte koschere Märkte und Pizzerien – innerhalb einer Woche war er an 30 Orten. Und alle Menschen, die mit ihm in Kontakt standen, mussten von den Gesundheitsbehörden ausfindig gemacht werden.
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Wie ansteckend der Maser-Virus wirklich ist zeigen die Zahlen: Menschen können vier Tage vor und vier Tage nach Ausbruch des verräterischen Hautauschlages den Virus verbreiten. Um das Ausbruchsrisiko so weit wie möglich zu minimieren, müssen demnach 96 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Befindet sich ein Mensch in einem Raum, in dem sich zwei Stunden vorher eine mit Masern infizierte Person befunden hat, besteht eine Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent, dass diese sich ebenfalls infiziert – sollte sie nicht geimpft sein.
Die Nachricht erreicht die Öffentlichkeit
Am 13. März gab es dann Gewissheit: Ein Bluttest bestätigt den Masern-Verdacht. Zudem lassen sich die zahlreichen Fälle, die mittlerweile in der New Yorker Umgebung registriert wurden mit dem Fall in Verbindung bringen – dank des genetischen Fußabdrucks des Virus. Nun musste die Öffentlichkeit und vor allem die abgeschotteten ultra-orthodoxen Gemeinden informiert werden. Hierfür nutzten die Gesundheitsbehörden einen internen Nachrichtendienst der Gemeinschaften. Daraufhin erhielten 1200 Mobiltelefone eine Sprachnachricht.
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Verschiedene Ärzte der ultra-orthodoxen Gemeinschaften reisten fortan durch die Gemeinden, testeten und diagnostizierten den Virus. Ein Rat der Rabbiner aus Detroit gab eine Erklärung ab, in der sie ihre Mitglieder verpflichten sich impfen zu lassen. „Um jeden Einzelnen in der Gemeinschaft zu schützen muss jede Institution die notwendigen Vorkehrungen gegen jeden treffen, der sich nicht impfen lassen will“, heißt es in der Erklärung.
Ein tödlicher Virus
Unter Mithilfe der Rabbiner wurden innerhalb einer Woche etwa 1000 Menschen immunisiert. Seit Anfang April hat das Gesundheitsamt mehr als 2100 Impfungen durchgeführt. Dennoch ist die derzeitige Zahl von 555 Masernfällen in 20 Bundesstaaten die höchste seit fünf Jahren.
Masern können schwere gesundheitliche Probleme hervorrufen – so etwa Taubheit, Lungenentzündung, Hinschäden. In Extremfällen können sie zum Tode führen.
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Von RND / Moritz Naumann