Wortmächtiger Dialektiker und satirischer Moralist

Der kann doch gar nicht aufhören zu spielen, zu denken, zu schreiben. Aber auch kaum als Spiritus Rector der „Herkuleskeule“ durch Sohn Philipp abgelöst werden, jetzt, wo die Geißel Gottes Virusplagen biblischen Ausmaßes in die böse Welt sendet, um sie zum Nachdenken zu zwingen. „Da werden wir auf der Kabarettbühne viel zu hinterfragen haben“, sagt Wolfgang Schaller in diesen Tagen. Den Hintern des Virus könnte er zuerst beleidigt fragen, denn auch der Primus der „Keule“ gehört zu dessen Opfern. In den heutigen Montag hinein wollte er seinen 80.Geburtstag mit Freunden und dem ebenso unsterblichen Schlagerstar Frank Schöbel feiern. Nun müsse man warten, bis sich die im Kabarettsaal im Kulti sitzenden Viren nicht nur krank-, sondern totgelacht hätten, schreibt Schaller „mit nicht heilbarem Optimismus“ in seiner Absage. Er müsse wohl oder übel später 80 werden, und zwar am 4.Oktober. Das ist dann ja auch ein historisch unbelasteter Termin. Man hat den begnadeten Kabarettisten bei allen Zeitgeistreicheleien noch nie über den unsäglichen „Führergeburtstag“ spötteln hören, den er mit einem der größten Verbrecher der Weltgeschichte teilen muss. Der hat ihm letztlich auch die Vertreibung aus seiner schlesischen Heimat eingebrockt, wo er 1940 in der späteren Festung Breslau geboren wurde. Weit nach Westen hat es ihn offenbar noch nie gezogen, denn seine erste Stelle als Deutschlehrer trat er im niederschlesischen Görlitz an, unweit der heute immer noch unbefestigten ostsächsischen Demarkationslinie. Dialektik guckt auch aus allen Schaller-Pointen: Dort verließen vor 60 Jahren schon SED-Funktionäre protestierend sein Jugendkabarett, für Wolfgang Schaller ein Zeichen, „dass man mit Kabarett etwas bewegen kann“. Seit 1970 ist er der Dresdner „Herkuleskeule“ engstens verbunden, für die sein Name fast schon synonym steht. Autor, Dramaturg, künstlerischer Leiter, ab 1997 vornehmer „Intendant“ lauteten die amtlichen Bezeichnungen für seine konstant inspirierende Tätigkeit. Inspiriert muss sich auch Birgit gefühlt haben, seit 1987 amtliche zweite Ehefrau, real in dialektischer Einheit und im Kampf der Gegensätze Liebes- und Arbeitspartnerin auf der Bühne. Dialektik guckt auch aus allen Schaller-Pointen und grinst aus den Wortspielen. Man lese seine aktuell erschienenen so gar nicht gestammelten Werke „Eh ichs vergesse“. Auch inhaltlich ein Hardcover, weil man die zeitlosen Fundamente erkennt, von denen aus verbal angespitzte Pfeile in die umgebende Gedankenfinsternis abgeschossen werden. Einen „sehr starken Moralisten“ hat ihn sein langjähriger Partner Wolfgang Stumph vor zehn Jahren genannt. Man könnte auch den streitbaren DDR-Dichter Peter Hacks bemühen: „Zwischen allen Stühlen sitze ich fest auf der Erde …“ Die Adressaten kabarettistischer Subversion, sind deshalb unter beiden Systemen die gleichen geblieben. Nicht nur „die da oben“, sondern wir alle. “Wir haben uns den aufrechten Gang erkämpft, um unser Rückgrat heute unter der Last der Einkaufsbeutel zu krümmen“, sagt im Buch der „Untergrundkämpfer mit hohen staatlichen Auszeichnungen“, wie in Kollege Rainer Schulze nannte. Das „System“ nährt also auch die Schlangen an seiner Brust, mit dem Nationalpreis der DDR, mit dem „Stern der Satire“ oder dem Titel „Dresdner des Jahres“ heute. Wirklich zurückgeschlagen haben aber erst die Anhänger des kommenden Systems der Biodeutschen mit ihrem Angriff auf eine Keulen-Vorstellung im Januar dieses Jahres. Weiterlesen: Herkuleskeule wird nach rechten Pöbeleien gelobt und beschimpft Rechte stören Kabarettaufführung in Dresden mit Parolen und attackieren Schauspieler Von Michael Bartsch

Geburtstag - Wortmächtiger Dialektiker und satirischer Moralist – Wolfgang Schaller wird 80