Was bleibt – posthume Werkschau von Priscilla Ann Siebert

Es sind keine großen Formate, die Priscilla Ann Siebert in ihren Ölgemälden und Druckgrafiken bespielt, und dennoch entfalten die Arbeiten der Britin einen Sog und eine Weite, denen man sich kaum entziehen kann. An einem wolkigen Herbstnachmittag schweift der Blick im Ausstellungsraum der Galerie am Damm am Körnerplatz über die trotz des bedeckten Himmels von innen heraus leuchtenden Stillleben, über karge Landschaften und prägnante Porträts von Siebert, die im Frühjahr dieses Jahres kurz vor ihrem 103. Geburtstag gestorben ist. Das war während des ersten Corona-Lockdowns, an eine Trauerfeier im großen Rahmen war nicht zu denken, noch weniger an eine Gedächtnisausstellung. Nun ist der nächste Lockdown verhängt, aber Ausstellungen in privaten Galerien dürfen öffnen, sodass diese kleine Personalausstellung mit Werken aus dem Nachlass der Künstlerin im Gedenken an den „Roten Engel“ weiter stattfinden kann. Der „Rote Engel“ lebte seit 1952 in Dresden: „Roter Engel“, so nannten einige Kollegen die kommunistische Künstlerin mit dem liebenswerten Wesen, die, geboren 1917, in den 1920er- und 30er-Jahren an der Südküste Englands aufwuchs. Durch die Heirat mit dem deutschen Widerstandskämpfer Hans Siebert 1942 kam sie nach Kriegsende zunächst nach Berlin, dann nach Kleinmachnow, 1952 schließlich wechselte sie nach Dresden. Zentral: Segelboot-Gemälde in Erinnerung an van Gogh: Den ersten Zugang zur Kunst eröffnete Siebert, die zu jener Zeit noch Thornycroft hieß, der begeisterte und begeisternde Kunsterzieher Innes Meo, genannt Gigi. In den 1930ern studierte sie am Arts College Worthing, anschließend Malerei, Grafik und Angewandte Kunst an der berühmten Londoner Slade School. Als Studentin konnte sie Henry Moore bei der Arbeit in seinem Atelier zusehen, in Südfrankreich suchte sie nach jenen Segelbooten am Strand, die Vincent van Gogh fast 50 Jahre zuvor auf jenem berühmten Bild gemalt hatte, das sich heute im Amsterdamer Van Gogh Museum befindet. Als die junge Frau das alte Boot mit dem Namen „Amitié“ dann tatsächlich vor sich liegen sah, hatte sie das Gefühl, ihr Herz „kippe um“, wie die Künstlerin später in ihren Erinnerungen festhielt. Das Jahre später entstandene Ölbild Sieberts hängt nun an der zentralen Wand der Ausstellung in der Galerie am Damm. Es ist ganz auf die einprägsame Form der Boote reduziert und dabei unglaublich kraftvoll durch den Gegensatz zwischen dem Grau-Schwarz des alten Holzes und dem dürren gelbgrauen Untergrund. Charaktere und Stimmungen treffend eingefangen: Die Zeichnungen und Lithografien offenbaren Sieberts Kunst, Charaktere, Haltungen und Stimmungen so treffend einzufangen, dass wenige Figuren und Gegenstände, manchmal schon einige Striche ausreichen. Da ist zum Beispiel das Blatt mit der Darstellung eines in der Dresdner Neustadt beobachteten ungleichen Paares in Rückenansicht: Links der breitbeinige Punk mit Irokesenschnitt, rechts neben ihm sein bulliger, vollkommen in sich ruhender Hund, der erwachsener und im Wortsinne gesetzter wirkt, als es sein Herrchen jemals werden möchte. Tierdarstellungen für Kinderbücher: Bei solchen Bildern denkt man an die Illustratorin Siebert, die in der DDR vor allem Tierdarstellungen für die ABC-Zeitung und für Kinderbücher anfertigte. Dabei teilte sie zuweilen auch die eigene Wohnung mit Fröschen oder Küken, um sie lebensnah beobachten zu können. Mitunter surreale Bildsprache: In den Gemälden, den späteren zumal, entwickelte Siebert immer deutlicher eine persönliche, immer lyrische, zuweilen surreale Symbolsprache, die das Dechiffrieren mitunter schwer macht. Bestimmte Motive, wie Strandlandschaften mit Muscheln, Flugobjekten und von Wasser und Wind verformten, an Figuren Moores erinnernden Hölzern und Steinen, Katzen und Pferde, Blüten und Zweige, sowie Figuren aus der Welt des Zirkus tauchen bei ihr immer wieder auf und werden mitunter so miteinander kombiniert, dass an Träume erinnernde, unwirkliche Kompositionen entstehen. Dabei verdankt sich die Wirkung nicht nur den für Siebert typischen einfachen Sujets und ihrer kräftigen und dabei sensibel abgestimmten farblichen Umsetzung und den ebenso reduzierten wie stilisierten Formen, sondern dem mitunter gewagten Bildaufbau. Ein ums andere Mal bestehen die Szenen aus dicht an die Betrachtenden gerückter Vordergrundebene, in der Stilllebenelemente wie Früchte, Fische, blühende oder mit Dornen besetzte Zweige zu sehen sind, und einer viel weiter entfernten Hintergrundszenerie aus Meer, Dorf oder grüner Landschaft, bevölkert von winzigen Figuren. Der Mittelgrund scheint wie herausgeschnitten, sodass ein fast naiv anmutendes künstliches Arrangement entsteht, das gleichwohl nicht gesucht wirkt. Siebert reduziert das Bild nie auf die Nachbildung des Natureindrucks, sondern bringt die Essenz des Gezeigten zum Vorschein. bis 24. November, Galerie am Damm, Körnerplatz 10, geöffnet Di–Fr 14–19 Uhr, Sa 11–14 Uhr. Bitte die geltenden Corona-Regeln beachten. Anfragen unter Tel. 0172 218 22 53. www.galerie-am-damm.de Von Teresa Ende