Rechte „Tumult“-Lesung mit Egon Flaig in Dresden ohne Tumulte

Die Lesungseinführung von „Tumult“-Verleger Frank Böckelmann im Dresdner Dormero-Hotel ließ aufhorchen. „Erkenne die Lage“ sei das Motto seiner „Vierteljahresschrift für Konsensstörung“. Die Lage in Hanau und in der Bundesrepublik war aber offensichtlich nicht des Erkennens wert. Die Häufung rassistischer und ausländerfeindlicher Morde mitten aus der Gesellschaft heraus spielte keine Rolle. Der erste Gast der sechsteiligen Reihe mit „Tumult“-Autoren, der 70-jährige Althistoriker Egon Flaig, kommentierte dennoch mittelbar die „Lage“ auf makabre Weise. In seinem neuen Buch „Was nottut. Plädoyer für einen aufgeklärten Konservatismus“ greift er die angeblich „fatalen Worte“ des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten bei einer Flüchtlingsdebatte nochmals auf: „Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er will“, hatte dieser 2015 geäußert. Walter Lübcke zog sich daraufhin den Hass der gesamten Neuen Rechten zu. Flaig mit widersprüchlichen Thesen: Geschichtsprofessor Flaig gibt dem Ermordeten nun indirekt eine Mitschuld an seinem Schicksal. „Wer in der Öffentlichkeit das Wort ergreift, muss für seine Worte einstehen – lebenslang“, zitierte er aus seinem Buch. Zugleich bezeichnete er damalige Äußerungen unter anderen des CDU-Politikers Peter Tauber als „schlimmsten Hasskommentar“, wonach die „entgrenzte Sprache von rechts“ solche Gewalttaten begünstige. Im krassen Widerspruch zu seiner Lübcke-Verantwortlichkeitsthese verstieg sich Flaig dann zu der Behauptung, ein Sprecher sei „nicht verantwortlich für die Art und Weise, wie seine Worte aufgenommen werden“. Die Wendung „Worte töten“ sei „Schwachsinn“. Zynischer konnte man seine Teilnahmslosigkeit gegenüber den Hanauer Morden einen Abend danach nicht ausdrücken. Flaig exkulpierte mit der abstrakten Unterstellung eines freien Denkens und damit der Urteilsfähigkeit aller Rezipienten jegliche Brandstifter und Volksverhetzer. Volkstümlich übersetzt: Niemand wird gezwungen, ihnen zu glauben. Anwalt der Aufklärung: Im Denksport, solche eklatanten Widersprüche bei Flaig aufzuspüren, bestand neben der Untermalung mit Schostakowitsch-Präludien auf dem Klavier das eigentliche Amüsement des Leseabends. Flaig macht sich einerseits zum Anwalt der Aufklärung, verneint eine Gleichsetzung von Konservatismus und Gegenaufklärung. Die mit ihr verbundene Subjektwerdung des Menschen, die individuelle Befreiung von Klischees und Dogmen mittels einer universellen Vernunft aber stellt er hinter ein amorphes Gemeinwohl zurück. „Wenn die Verfassung Rechte des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt, wird sich die Gesellschaft auflösen“, behauptet der Historiker allen Ernstes. „Du bist nichts, Dein Volk ist alles“, hört man es im Hintergrund geradezu dröhnen. Ganz abgesehen davon, dass ein Flaig-Satz wie „Vernunft begrenzt sich durch Tradition und Orientierung am Bewährten“ nun gar nichts mehr mit Aufklärung zu tun hat. Lässig, Hartung und Hermenau im Publikum: Ausführlich ergeht sich Flaig in einer Apologie von Grenzen und Mauern, ohne die keine staatsbürgerliche Gesellschaft funktioniere. Ein radikaler globaler Neoliberalismus und ein universeller Humanismus lösten diese Grenzen auf. Später jedoch fällt in der Fragerunde der sensationelle Satz: „Der europäische Nationalstaat muss sich transformieren in eine europäische Republik – aber nicht unter Druck von oben.“ Solche Antagonismen aber schienen die knapp 50 Hörer in Dresden nicht zu bemerken, die ausschließlich affirmative Fragen stellten. Unter ihnen die frühere Grüne Antje Hermenau, die ehemalige PDS-Aktivistin Barbara Lässig oder Frauke Petrys ehemaliger Sprecher Thomas Hartung von der AfD. Nach dieser Auftaktlesung darf man sich fragen, warum es um die geplante „Tumult“-Lesereihe solches Aufsehen gab. Monatelang suchte Frank Böckelmann in Dresden vergeblich einen Veranstaltungsort, zuletzt im Lingnerschloss. Rückblick: Kein Forum für die Zeitschrift „Tumult“ im Dresdner Lingnerschloss Die Zeitschrift „Tumult“ war ebenso wie Götz Kubitscheks Verlag Antaios auf der Frankfurter Buchmesse 2017 attackiert worden. Vor dem Dresdner Hotel langweilten sich auch zwei überflüssige Polizeiwagen. Solche sektenähnlichen Zusammenkünfte, die freilich mit verhängnisvollem Gedankengut spielen, kann eine freiheitliche Gesellschaft aushalten – wenn es eine wache und mahnende Öffentlichkeit gibt. Von Michael Bartsch

Aufklärung täte wirklich not - Rechte „Tumult“-Lesung mit Egon Flaig in Dresden ohne Tumulte