Peter Sommerer im Interview: „Wir alle können ,online‘ und ,Streaming‘ nicht mehr hören“

Der österreichische Dirigent Peter Sommerer ist seit Januar 2021 neuer Chefdirigent der Sächsischen Bläserphilharmonie und Künstlerischer Leiter der Deutschen Bläserakademie. Katharina Stork hat mit ihm über Wunschkomponisten, ungewisse Planungen und Tatkraft gesprochen. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen Stelle als Chefdirigent der Sächsischen Bläserphilharmonie! Wie fühlt sich der neue Posten an? Dankeschön. Ich bin hier auf ein ganz aktives Team gestoßen und es macht große Freude, noch geduldig zu sein und in die Zukunft zu blicken. Ihr Vertrag läuft über fünf Jahre – eine gute Zeitspanne, um reinzukommen? Meiner Erfahrung nach dauert es immer so drei Jahre, bis man Dinge dauerhaft etablieren kann. Als Gastdirigent ist es einfacher, ein Feuer der Begeisterung zu entzünden. Aber das in eine konstruktive, lang anhaltende Glut zu verwandeln, dazu braucht es Zeit. Das Schöne dabei ist, dass ich hier in ein funktionierendes System komme, denn das Orchester hat in den letzten Jahren viel aus sich heraus geleistet. Liebe auf den ersten Blick: Zuletzt waren Sie Generalmusikdirektor am Landestheater Schleswig-Holstein. Worin unterscheidet sich die Arbeit mit einem Orchester, das die verschiedensten Instrumentengruppen vereint zu einem, das nur aus Blasinstrumenten besteht? Im Repertoire ergeben sich gewisse Unterschiede. Man spielt viele Bearbeitungen. Als Dirigent muss ich sagen: Ich dirigiere in erster Linie Musik. Es geht um das Kreieren eines musikalischen Moments, mit dem man das Publikum erreicht. Und das hat mich hier wahnsinnig überzeugt. Wir sind ja zufälligerweise vor einem Jahr beim Neujahrskonzert zusammengekommen, bei dem ich eingesprungen bin. Das Orchester war neugierig, mit einer Selbstverständlichkeit in einem anspruchsvollen Tun. Anspruch an sich selbst und an den Dirigenten. Vieles macht das Orchester aus sich heraus. Das macht das Arbeiten wahnsinnig befriedigend. Es ist anstrengend, aber es kommt etwas dabei heraus. Peter Sommerer, 1976 in Steyr geboren, studierte Dirigieren in Wien und gab noch während seines Studiums 1998 sein Debüt als Operndirigent an der Neuen Oper Wien. Bis 2019 war er Generalmusikdirektor des Landestheaters Schleswig-Holstein und war danach international als Gastdirigent gefragt. Unter anderem gab er in der Spielzeit 2019/29 mit dem Orquesta Sinfónica de la Universidad de Guanajuato Bucheon Philharmonic sein Debüt in Mexiko. Als prägend bezeichnet er die Zeit von 2002 bis 2005, die ihn als ständiger Assistent von Michael Boder an Häuser wie die Wiener Staatsoper, die Deutsche Staatsoper Berlin oder die Sächsische Staatsoperette Dresden führte. Das heißt, Sie konnten schon gemeinsam proben? Ich konnte im Oktober das Anrechtskonzert mit der Serenadenbesetzung und der Blechbläserbesetzung dirigieren. Das war unser zweites Aufeinandertreffen, noch kurz vor der Schließung. Beim ersten Aufeinandertreffen im Januar war es ein bisschen Liebe auf den ersten Blick. Und dann konnten wir uns eine längerfristige Beziehung vorstellen und haben gesagt: Jawoll, das wollen wir gemeinsam angehen. Mitte Dezember stand es fest, dass ich Chefdirigent werde. Die Leute lechzen nach Live-Musik: Was macht die Sächsische Bläserphilharmonie musikalisch aus? Die Flexibilität ist ein großes Markenzeichen. Es ist schließlich ein A-Orchester. Das merkt man in erster Linie in der Art und Weise, im Selbstverständnis des Musizierens, im musikalischen Anspruch an sich selbst. Auch an der Identifikation jedes Einzelnen mit der „Firma“, wie sie selber immer sagen, also mit dem Orchester. Das macht Freude, das aufzunehmen. Die Auftragsbücher sind voll. Wenn es wieder möglich ist, legen wir los. Auch wenn Sie momentan nicht proben können – geplant wird trotzdem? Auf jeden Fall. Wir werden die Zeit, in der wir nicht proben, in den verschiedenen Gremien per Videokonferenz tagen, um das Spielzeitheft für 2021/22 abschließen zu können. Davor geht das wie in allen anderen Häusern mehr auf Zuruf. Der ganze Kulturbetrieb, auch die Oper, wird sich in Zukunft neu erfinden müssen, neue Konzepte erstellen. Dass der Bedarf und eine Notwendigkeit da ist, das steht für mich völlig außer Frage. Die Leute lechzen nach Live-Musik. Wir alle können „online“ und „Streaming“ nicht mehr hören, wenn wir ganz ehrlich sind. Wichtig ist jetzt, die Krise dazu zu nutzen, daran zu denken, woran man bisher nicht gedacht hat. Was haben Sie derzeit im Blick? Wenn die Open-Air-Saison im Juni wieder losgehen kann, wollen wir unser 70-jähriges Bestehen vom vergangenen Jahr als großes Orchester nachholen. Man muss sich Dinge mit Verantwortungsbewusstsein und Mut ausdenken. Und ein bisschen Mut ist bisher immer belohnt worden. In die neue Stelle starten Sie also voller Tatkraft. Das ist die einzige Chance, die ich darin sehe. Die Verteilungskämpfe werden leider kommen. Das kann man sich kaum anders vorstellen. Und da muss man sich innovativ aufstellen, um eine gewisse Unentbehrlichkeit zu schaffen. Wie Karl Valentin gesagt hat: Wenn’s regnet, freu ich mich. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet’s auch. Haben Sie schon einen bestimmten Komponisten oder bestimmte Werke im Blick, die Sie angehen wollen? Wunschkomponist, ja. Ich würde gerne ein bisschen Richard Strauss einfließen lassen. Und ich möchte verschiedenste Kunstformen und Künste an besonderen Orten zusammenbringen. Weil die Leute neugierig sind. Da gibt es in Leipzig tolle Spielorte, mit denen wir in Verhandlung sind. Perspektiven und Visionen sind da. Und die werden über die Corona-Zeit weit hinausreichen. Verwurzelt in Bad Lausick: Sie beschränken sich also nicht auf Bad Lausick als Wirkungsort? Gar nicht. Hier ist die Verwurzelung, aber die Äste reichen weit darüber hinaus. Hier haben wir ein wunderbares Probenhaus mit Konzertmöglichkeiten. Aber wir werden auch an internationalen Festivals teilnehmen und sobald es wieder möglich ist, als sächsische Botschafter reisen. Sie sind in Ihrer Karriere sehr viel herumgekommen, waren als Gastdirigent in Mexiko, Korea, Teheran … Ich liebe es zu reisen. Das fehlt mir sehr. Ich wohne in Leipzig und hier in unserem Hauptsitz, in Bad Lausick, da kaserniert man sich, ist konzentriert an der Arbeit und dann ist man unterwegs. Das ist für mich eine tolle Kombination. Natürlich dann, wenn es wieder geht. Und wie nehmen Sie Leipzig wahr, als neuen Wohnort? Leipzig war immer schon eine Stadt, mit der ich geliebäugelt habe. Weil das für mich eine lebendige Stadt ist, die im Aufbruch ist und kulturell wahnsinnig viel zu bieten hat. Eine kulturelle Metropole. Es ist auch ein bisschen näher dran an Österreich – verglichen mit Flensburg. Man ist schnell in Berlin, in München. Es ist eine gute Position, um später wieder verreisen zu können. Von Katharina Stork