Kunststipendiation Fatma Bucak erzählt von ihrer Zeit in Dresden

Ein lauer Sommerabend bei Freunden. Es hat alles, was es braucht - lecker Essen, guter Wein, spannende Gespräche. Inmitten der Tafel sitzt eine junge Frau, aufmerksam schaut sie sich die Gäste an. Sie fixiert jeden Einzelnen von ihnen mit einem wachen Blick. Es ist offensichtlich, sie ist die Unbekannte in der Runde, kaum einer weiß hier wirklich, wer sie ist und fragt sich daher: Wer bist du, wie kommst du hier her, was machst du und warum handelst du so, so und nicht anders? Fatma Bucak stellt an diesem Abend selbst keine einzige Frage, sie befindet sich die ganze Zeit im Antwortmodus. Ankunft im Corona-Lockdown: Seit dem 1. März lebt und arbeitet Fatma Bucak in Dresden, nur wenige Tage später ging Europa in einen Lockdown, gab es für sie keine Rückkehr mehr - weder nach London, Turin, noch nach Berlin. Ihre Ausstellungen wurden abgesagt, im besten Fall verschoben ins nächste Jahr. Und die 1984 in Iskenderun, in der Türkei geborene Künstlerin sitzt in Dresden an der Elbe, schaut auf die wenigen Schiffe, die dort entlang schippern und fühlt sich wie ein Alien. „Es fühlte sich so unwirklich an“, erzählt sie. Ihre Freunde in London, Istanbul oder Turin würden von katastrophalen Szenen in Krankenhäusern berichten, hätten Angst um ihre Lieben und sie sitze in Dresden an der Elbe und genieße das Leben, die Zeit für auch ganz allein, zum Ausruhen, zum Nachdenken, auch über ihre Arbeit. „Das sagt man doch immer so, zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Nie habe ich diese Floskel deutlicher begriffen als in diesen Wochen“, sagt sie und auch dass sie noch immer froh sei über dieses Stipendium. Austausch als Anreiz: Fatma Bucak ist Stipendiatin der Stiftung Kunst und Musik für Dresden. Es klingt fast staunend, als sie meint: „Dieses Artist-in-Residence werde ich so schnell nicht vergessen. Es ist nicht mein erstes Stipendium. Aber dass ich so sehr auf mich ganz allein gestellt war, dass ich eigentlich erst in den letzten Tagen meines Aufenthaltes hier so viele Menschen wie heute Abend treffe, das habe ich noch nie erlebt.“ Umso mehr habe sie jede einzelne Begegnung genossen - sie besuchte den deutsch-syrischen Künstler Manaf Halbouni in seinem Atelier, die Ausstellungen im Kunstverein Dresden, in der Galerie Stephanie Kelly, in der Kunstakademie. Spannend seien die Gespräche mit den Museumsleuten im Albertinum, Residenzschloss, Militärhistorischem Museum oder im Kunsthaus Dresden gewesen. „Diese Treffen waren alle so herzlich und intensiv. Ich konnte über meine Arbeit erzählen, ich konnte aber auch begreifen, in welcher Stadt ich bin, wie die Menschen hier ticken“, erinnert sie sich und weiter: „Diese Stipendien machen nur dann Sinn, wenn Künstler, Kunstwissenschaftler, Museumsleute aufeinandertreffen. Ohne diesen Austausch nützt mir solch eine Einladung in eine fremde Stadt nichts, kann ich auch zu Hause bleiben.“ Das sei ein großer Anreiz, solch eine Residence überhaupt anzutreten. Sie sagt aber auch, ohne Unterstützung wäre dieser Austausch in diesen Tagen nicht möglich gewesen, die Stiftung Kunst und Musik für Dresden habe ihr Türen geöffnet, die sonst in dieser Zeit Corona bedingt verschlossen geblieben wären. „Das ist schön, dass Fatma das so sieht“, meint Stiftungsvorstand Martina de Maizière. „Doch wir als Stadt haben doch auch etwas von dieser Begegnung. Ihre Arbeiten spiegeln unterschiedliche Aspekte von Geschichte und Traditionen wider. Ich erinnere nur an ihre eindrucksvolle Arbeit „Damascus Rose“ Diese Rosen seien mittlerweile eine vom Verschwinden bedrohte Art, führt sie weiter aus, da die syrischen Felder, auf denen sie eigentlich wachsen, infolge des Bürgerkriegs größtenteils aufgegeben wurden. Fatma Bucak untersuche das Wandlungspotenzial von Objekten, ihre Fragilität und somit auch die Aussagekraft von Geschichte. „Davon zu erfahren, sich damit auseinanderzusetzen, das bereichert doch auch uns“, führt Martina de Maizière weiter aus. Deshalb vergibt die Stiftung seit 2015 Stipendien an Künstler und Musiker. Ein ganz besonderes Tagebuch: Fatma Bucak ist in der internationalen Kunstszene keine Unbekannte mehr. Sie hat u.a. Arbeiten in der Fondazione Merz in Turin ausgestellt, im Institut für zeitgenössische Kunst, London, im Harpe 45 in Lausanne und auf der 54. Biennale von Venedig. Den Grundstock dafür legte sie mit mehreren Jahren Studium - Philosophie an der Universität in Istanbul, Kunstgeschichte und Radierung in Turin an der Albertina Academy of Fine Arts, Fotografie am Royal College of Art in London. Warum all das erwähnenswert ist? Weil ihre Ernsthaftigkeit so deutlich spürbar ist an diesem Abend im Garten, wenn sie von ihrer Arbeit hier in Dresden erzählt, von ihrem ganz besonderen Tagebuch. Tag für Tag nimmt sie ein Haar von sich, zündet es an und hält die Asche auf weißem Papier fest, ein Nichts, ein Hauch - und dennoch ein starkes Bild für ein gelebtes Leben. Die Metapher und Symbolik jedenfalls überzeugt. So kann man auch sein Ich festhalten. Mittendrin im Verlust: Fatma Bucak freut sich über ihre Zeit in Dresden: „Als Künstler habe ich mich gefragt, wie Individuen von den politischen Kräften unserer Zeit definiert und herausgefordert werden und wie unsere Geschichte wiederum von der fragilen und angespannten Politik geprägt ist, die sich daraus ergibt. Was wird fallen gelassen und was bleibt?“ Jetzt in diesen Corona-Tagen, Wochen, Monaten stelle sich diese Frage immer mehr. Wenn sie Ende Juni abreist, zurück nach London und Berlin - sie lebt und arbeitet an beiden Orten - dann wird sie dieser Frage weiter nachgehen. „“Eigentlich ist das verrückt. Ich untersuche seit Jahren kontinuierlich die Wahrnehmung von Verlusten in der Öffentlichkeit. Und hier in Dresden bin ich mittendrin im Verlust. Diese Pandemie hat sehr viel verändert, wird noch sehr viel mehr verändern, mehr als uns lieb ist.“ Die Künstlerin mit türkischer und italienischer Staatsbürgerschaft hofft darauf, dass sie im nächsten Jahr nach Dresden zurückkehrt und ihre Forschungsergebnisse, ihre Kunst in Dresden vorstellen kann. Nicht nur an einem lauen Sommerabend bei Freunden. Vielleicht kann Fatma Bucak sich dann auch einfach nur zurücklehnen und lauschen. Wortfetzen hin und her. Wer bist du, wo kommst du her, wen oder was nimmst Du wahr und warum? Was wird fallen gelassen, was bleibt? In all diesen Fragen geht es um nichts anderes als um politische Identität, die Kraft der Zeugnisse. Die junge Frau setzt sich dem aus und nicht nur das, sie teilt sich selbstbewusst mit. Dies zu erleben, macht Freude, diesen einen Abend im Garten der Freunde so besonders. Fatma Bucak, diesen Namen muss man sich merken. Von Adina Rieckmann