„Kulturgesichter Dresden“: Ein lautes Räuspern der brachliegenden Branche

Der warme Weihnachtsglanz ist abgebrannt; die Januarkälte verbreitet Katerstimmung. Besonders in der Kulturlandschaft. Veranstalter, Techniker, Schauspieler, Sänger, Regisseure, Produzenten: Sie alle sprechen das Wort Lockdown mittlerweile in Großbuchstaben. Mitte März, das dürfen wir uns alle auf der Zunge zergehen lassen, jährt sich der erste Lockdown. Mitte März 2020 war es, als die Veranstaltungshäuser, die Kinos, Theater, Clubs und Konzerthäuser „stillgelegt“ wurden. Und die Aussichten sind trüb. Ausrufezeichen der gebeutelten Kulturbranche: Deshalb regt sich seit den letzten Monaten des Jahres, das alle so gern aus den Annalen streichen würden, in mehreren großen Städten die Initiative „Kulturgesichter“. In Hamburg ging es wohl los, Stuttgart zog mit. So berichtet es Martin Vejmelka, Geschäftsführer der Agentur Landstreicherkonzerte: „Mit den dortigen Akteuren arbeiten wir schon viele Jahre zusammen. Da hat es nicht lange gedauert, bis sie uns gefragt haben, ob wir das nicht für Dresden übernehmen wollen. Dann hab ich mich mit Stephan ’Erich’ Trautz von der Groovestation zusammentelefoniert. Kurze Zeit später war dann auch Mirko Glaser vom Blue Note war dann auch schnell mit im Boot.“ Zweck der Aktion ist ein lautes Räuspern, ein Ausrufezeichen aus Richtung der so arg brachliegenden Kulturlandschaft, oder besser von deren Akteuren in gesamter Bandbreite. Weil diese im Wortsinn von der Bildfläche verschwunden scheinen und nach dieser mittlerweile unschön langen Durststrecke befürchten, die Kulturaffinen unter den Dresdnern könnten sich an ein Leben ohne Party, Konzert oder Lesung gewöhnen, wollen sie sich selbst Sichtbarkeit verschaffen. Kern der Aufmerksamkeitskampagne, die zum Großteil über Social Media laufen soll, sind Plakate, die im öffentlichen Raum als klare, reduzierte Statements die Gesichter, die Macher, die Leidtragenden in den Mittelpunkt rücken werden. Seit Donnerstag laufen dafür im Alten Schlachthof die Shootings. „Die Lage ist existenziell. Es gibt Kollegen, die aus der Not heraus bereits den Beruf gewechselt haben“, mahnt Uwe Stuhrberg, seines Zeichens Konzertveranstalter, der für die hiesige Initiative die Pressearbeit übernommen hat. Lesen Sie auch: Die Corona-Hilfsprogramme gelten unter Kulturschaffenden als Flop „Das Ganze ist aus der bundesweiten Aktion ’Ohne uns ist’s still’ hervorgegangen. Wir arbeiten jetzt hier, ganz ähnlich wie schon die Kollegen in Leipzig und Chemnitz, auf regionaler Ebene, direkt in der Stadt“, so das Credo. Die Porträts fallen dabei bewusst schlicht aus, darunter steht lediglich der Vorname der abgebildeten Person. „Es geht nicht darum, Betroffenheit zu demonstrieren. Wir wollen auch keine Werbung für konkrete Firmen oder dergleichen“, erläutert Vejmelka. Mitte März öffentliche Aktionen: Zum „Jahrestag“ der Pandemie wollen sich die Bündnisse der drei großen sächsischen Städte zusammentun. Für Mitte März sind dann große Aktionen im öffentlichen Raum geplant. Zu deren Details konnte sich Stuhrberg bislang allerdings noch nicht äußern: „Wir müssen abwarten und sehen, was dann möglich sein wird, wie man sich in der Öffentlichkeit wird treffen dürfen.“ Weitergehende konkrete Forderungen sind damit allerdings nicht verbunden. So weit will sich dann doch keiner aus dem Fenster lehnen. Dazu fehlt es ganz offensichtlich auch an Struktur, die Handlungsempfehlungen für öffentliche Veranstaltungen erarbeiten könnte. Genau deshalb können und sollen sich möglichst viele Interessierte aus dem Kulturbetrieb der facebook-Gruppe anschließen; aktuell sind bereits mehr als 300 Beteiligte mit im Boot. Die dazugehörige Webseite wird in den nächsten Tagen mit den ersten Porträts und weitergehenden Informationen bestückt und dann online gehen. Die anfallenden Kosten werden über Spenden getragen. Sollte sich ein Sponsor finden, wären die Akteure alles andere als abgeneigt. So oder so bleibt es aber in diesem Jahr wohl ein besonders langer Winter mit einem weiten Weg bis zur Frühlingssonne. Von Rico Stehfest