Komponist Helmut Lachenmann wird 85 – Mit Dresden verbindet ihn viel

Es hätte ein Fest werden können, ein musikalisches Fest zum 85. Geburtstag des Komponisten Helmut Lachenmann. Ausgerichtet vom Europäischen Zentrum der Künste Hellerau und der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden. Doch weder darf der Jubilar nach Dresden kommen, noch sind Konzertveranstaltungen vor Publikum möglich. Lediglich eine hochschulinterne Veranstaltung hat stattfinden können, zur Wissensvermittlung und nicht zur Erbauung. Helmut Lachenmann verbringt den tristen November in seinem Häuschen am Lago Maggiore und tut das, was er sowieso tut: Er komponiert. „In meiner Studienzeit hätte ich gern eine so aufgeschlossene und aktive Hochschule erlebt wie das jetzt in Dresden zu beobachten ist,“ sagt er im Gespräch mit den DNN. Den engen Kontakt zum gebürtigen Schwaben – Lachenmann kam heute vor 85 Jahren in Stuttgart zur Welt – hat Jörn Peter Hiekel initiiert, Leitender Professor am Institut für Neue Musik. Eine Begegnung mit Lachenmann verändert jeden Studierenden: Er ist Helmut Lachenmann bereits als Verlagsmitarbeiter bei Breitkopf & Härtel verbunden und pflegt die Verbindung bis heute: „Diese äußerst produktive Zusammenarbeit mit unserer Hochschule gibt es seit immerhin 16 Jahren, und sie geht weit darüber hinaus, nur einen kleinen Kreis von Spezialisten anzusprechen. Ohne jede Übertreibung kann man sagen, dass die Begegnung mit einer solchen Persönlichkeit wie Helmut Lachenmann das Leben der Studierenden verändert. Er arbeitet mit einer solchen Nachdrücklichkeit, die uns bewusst macht, dass Kunst zu allen Zeiten geheißen hat und immer noch heißt, wach und aufmerksam zu bleiben, offen zu sein für neue Klangsprachen, um Musik nicht zu Abendunterhaltung oder Dienstleistung zu degradieren.“ Der Musik von Helmut Lachenmann, der das musikalische Schaffen der Gegenwart seit mehr als einem halben Jahrhundert mitprägt, wurde mehrfach Kopflastigkeit und Intellektualismus unterstellt. Dabei ist sein Werk durchgehend von einer tielen Sinnlichkeit geprägt, von der kompromisslosen Suche nach eigenständigen Klangräumen und der Erweiterung spieltechnischer Möglichkeiten. „Ich bin kein Opernkomponist.“: „Ich habe ein unheimliches Glück gehabt,“ resümiert der mitunter Verkannte, „als ich in Zeiten des Kalten Krieges bei Luigi Nono in Venedig studiert habe, der mich über die in Westdeutschland weitgehend verdrängte unmittelbare Vergangenheit aufgeklärt hat.“ Nach seiner Rückkehr galt Lachenmann in der Bundesrepublik als Linker, wurde in Schubladen gesteckt und hatte sich gegen erhebliche Widerstände durchzusetzen. „Es gibt auch heute noch Situationen, in denen Leute aufstehen und rausgehen, wenn sie meine Musik hören dürfen“, bemerkt der Komponist mit einem Augenzwinkern. Dabei hat ausgerechnet sein 1997 an der Staatsoper Hamburg uraufgeführtes Bühnenwerk „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ für Schlagzeilen und Popularität gesorgt. Die Genrebezeichnung dieser opulenten „Musik mit Bildern“ zu Texten von Hans Christian Andersen, Leonardo da Vinci, Friedrich Nietzsche und anderen hatte Helmut Lachenmann ganz bewusst gewählt, denn noch heute betont er: „Ich bin kein Opernkomponist. Ich habe das einmal probiert und bereue es nicht. Wahrscheinlich ist dieses Stück zu einem Impuls geworden, sich meines Schaffens generell anzunehmen.“ Ein großer Erfolg, der inzwischen mehrfach von mehreren Opernhäusern neuinszeniert und nachgespielt worden ist. „Ich kann mich nicht beklagen. Meine Musik wird heute überall gespielt, respektiert und diskutiert. Da gibt es einige Freunde, „Kollegen“ mag ich nicht so gern sagen, deren Kompositionen ich außerordentlich schätze, denen es in der Hinsicht nicht so gut geht.“ Das Œuvre von Helmut Lachenmann umfasst Solostücke, Kammermusiken, Orchesterwerke und immer wieder auch Musik für die menschliche Stimme. „Mein ganzes Leben war ja eine permanente Auseinandersetzung mit unseren vertrauten Hörkategorien Melodie, Harmonie, Rhythmus,“ so der gern als Nestor der Moderne bezeichnete Musiker. Er freue sich über die gewachsene Wahrnehmung, wünsche sich aber mehr Offenheit für Neues, Ungewohntes, für Experiment, das im Konzertalltag nicht als Feigenblatt zwischen konventionellen Werken versteckt werden dürfe. Kultur darf nicht als banale Freizeitbeschäftigung degradiert werden: Insbesondere die aktuelle Situation scheint ihn zu grämen, denn Kunst und Kultur dürften nicht als banale Freizeitbeschäftigung degradiert werden, sondern seien gelebte Aufklärung. Dieser Teil des menschlichen Daseins habe eine viel größere Wahrnehmung verdient, sinniert Lachenmann in der piemontesischen Abgeschiedenheit. „Ich hab eigentlich jeden Tag Geburtstag. Jeden Tag erlebe ich als Geschenk, das ist mein großes Glück“, freut sich der Jubilar, der auch seinen 85. Geburtstag komponierend verbringen will. Über Neues spricht er nicht gern vorab, verrät nur, dass es viel zu tun gibt, wofür er sich Kraft und Gesundheit wünscht. Sein Telefon, so Helmut Lachenmann, wird heute weitgehend ausgeschaltet sein. Die Musikhochschule gratuliert dem Komponisten virtuell mit einem zwischen 20 und 22 Uhr abrufbaren Stream: www.hfmdd.de/veranstaltungen/1240-musik-als-existenzielle-erfahrung-lachenmann-85/ Von Michael Ernst