Dresdner Violintradition: Karl Unger wäre 100 Jahre alt geworden

Für den warmen „Dresdner“ Streicherklang wird die Sächsische Staatskapelle in aller Welt gelobt. Solche Merkmale lassen sich jedoch nicht im Labor generieren oder kreieren, sie sind über die Jahrhunderte gewachsen, gepflegt und weiterentwickelt worden. Einer, der daran beteiligt gewesen ist, war Karl Unger. Als Mitglied der Sächsischen Staatskapelle pflegte er den Dresdner Streicherklang im Orchester, fünfzig Jahre lang, von 1952 bis 2002, bildete er an der Musikhochschule den Nachwuchs aus. Dass dieser Nachwuchs auch eine Herkunft braucht und diese Arbeit schon vor dem Studium beginnt, war Karl Unger bewusst – er war an der Gründung der Violinklasse für junge Geigerinnen und Geiger an der Spezialschule für Musik (heute Landesgymnasium für Musik) beteiligt. Für sein umfangreiches pädagogisches Wirken wurde er 2018 mit der Ehrensenatorenwürde der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden ausgezeichnet. Bis ins hohe Alter im „Unruhestand“: Karl Unger kam aus einem musikalischen Elternhaus. Schon sein Vater spielte Violine im Gewandhausorchester. In seiner Heimatstadt Leipzig studierte der Sohn bei Kurt Stiehler, seine Laufbahn wurde unmittelbar nach dem Abschluss jedoch durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges unterbrochen. Erst nach seiner Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft konnte er sie fortsetzen, als Karl Unger in die Sächsische Staatskapelle aufgenommen wurde. Hier blieb er bis 1991, erlebte in über vierzig Jahren berühmte Dirigenten mit, Gastspielreisen führten das Orchester durchs östliche und westliche Europa, nach Amerika und bis nach Japan. Einen zusätzlichen Schwerpunkt stellte schon bald die Ausbildung junger Geiger dar, zwischen 70 und 80 Absolventen sollen es gewesen sein! Sie wechselten erfolgreich ins Berufsleben und spiel(t)en in den Orchestern der Komischen Oper Berlin, des Theaters Lübeck, der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz. Auch in Erfurt oder in Radebeul fanden sie Aufnahme, und natürlich in der Sächsischen Staatskapelle. Bis ins hohe Alter blieb Karl Unger im „Unruhestand“, war regelmäßig bei den Podien-Abenden seiner Frau Annette Unger oder beim renommierten Internationalen Szymon-Goldberg-Violinwettbewerb anwesend. Seine Interessiertheit und Aufgeschlossenheit war nicht nur Grundlage für die Arbeit, er hat sie auch an andere weitergegeben. Ebenso wie eine aktive, gesunde Lebensgestaltung. Yoga gehörte für Karl Unger dazu – dass man ihn manchmal vor dem Auftritt bei Ruhe- oder Entspannungsübungen sah, mochten manche Kollegen noch als eine Eigenart wahrgenommen haben, seinen Schülern und Studenten vermittelte er den Zusammenhang von Körper und Geist nachhaltig, „ganzheitliche Betrachtung“ nennt man das heute. „Eingleisig“ einer Funktion folgen, sich auf ein Bewahren beschränken, ist kein Erfolgsrezept. So gab es immer wieder neue Aufgaben, wie die Gründung des Dresdner Kammerorchesters, auch daran war Karl Unger beteiligt. Er verstarb im März vergangenen Jahres, mit 98 Jahren. Von Wolfram Quellmalz