Die Dresdner Schauspielerin Hannelore Koch feiert 70. Geburtstag

Es war ein unfreundlicher Raum, ein paar Stühle standen herum und ein kleiner Tisch. Das junge Mädchen war sehr aufgeregt, schüchtern stand sie vor mir. Sie war sehr schön. Ihr ausdrucksvolles Gesicht fesselte mich sofort. Sie war mir empfohlen worden, sie sei hochbegabt. Ich suchte eine Eva für die Uraufführung von Peter Hacks’ Komödie „Adam und Eva“. Wir saßen an dem kleinen Tisch mit dem Textbuch vor uns. Ich las die Schlange, den Adam und den lieben Gott – sie las die Eva. Mit der Zeit verlor sie ihre Scheu und fing an, die Figur zu gestalten. Ich entdeckte ihre klangvolle Stimme, ihre saubere Artikulation, ihr Gesicht fing an zu leuchten. Fast 50 Jahre Dresdner Theatergeschichte: Sie spielte, und sie gefiel mir, sie gefiel mir sogar sehr. Nach einer guten Stunde bot ich ihr die Rolle an. Das war 1973 in der Berliner Schauspielschule. Die Studentin Hannelore Koch wurde Mitglied des Dresdner Schauspielensembles. Und sie sollte es bleiben bis ins nächste Jahrhundert. Heute wird sie 70 Jahre, und die Erinnerung an ihre künstlerische Entwicklung lässt fast 50 Jahre Dresdner Theatergeschichte lebendig werden, die sie als festes Mitglied und später als fester Gast an herausragender Position mitgeschrieben hat und weiter schreiben wird. So schließt mein Glückwunsch heute die Gewissheit ein, sie weiterhin in Rollen, die ihrem großen Talent angemessen sind, auf der Bühne zu erleben – Shakespeares „Macbeth“ in der Inszenierung von Christian Friedel ist ihre nächste Premiere. „Die Koch spielt mit!“: In den vergangenen Jahrzehnten gab es Höhen und Tiefen am Staatsschauspiel, schwere und gute Zeiten. Wenn es aber zu allen Zeiten sehenswerte Aufführungen gab, so war das auch ein Verdienst von Hannelore Koch. „Die Koch spielt mit. Da kann es so schlimm nicht werden!“, mag vielleicht mancher Besucher gedacht haben und hätte sich nicht geirrt. Ihre Eva war ein großer Erfolg! In ihrer Naivität, gepaart mit Witz und Intelligenz, zeigte sie die Möglichkeiten des Weiblichen und spielte ihre wache Neugier auf die Welt und den Apfel als Ausdruck eines für Gottvater gefährlichen Emanzipationsprozesses! Rollen wie die Helena im „Sommernachtstraum“, wie Chrysothemis, wie die Lessingschen Recha und Emilia, die Hermione im „Wintermärchen“ waren die Vorläufer einer leidenschaftlichen Mascha in Tschechows „Drei Schwestern“, die sie zu einer Protagonistin des Ensembles werden ließ! Kriemhild, Jokaste und Warwara: Glücklich der Regisseur, der eine solche Schauspielerin über Jahre künstlerisch begleiten darf. Natürlich musste ich sie mit anderen Regisseuren teilen. Unvergesslich ihre Kriemhild in Engels „Nibelungen“, ihre Jokaste in Webers „Ödipus“ und ihre Warwara in Schönemanns „Sommergäste“, um nur an einige zu erinnern. Diese beeindruckende dauerhafte Leistungsstärke lag in einer unbeirrbaren Wahrheitssuche begründet, einer Haltung, die beim Probieren und Spielen nie die Verantwortung vergaß, die der Beruf ihr auferlegte. Da war kein Platz für Eitelkeiten und Ungefähres. Das Ganze im Auge haltend, erarbeitete sie ihre Figur. So gelang ihr scheinbar mühelos der Wechsel ins große Charakterfach. Auf eigenwillige Art überzeugten ihre Ranewskaja im „Kirschgarten“ und ihre der Menschlichkeit streitbar verpflichtete Goethesche „Iphigenie“. Sprach da die Figur, die Schauspielerin? Oder sprachen beide? Richard III. Letzter Akt. Quaas spielt den Richard, die Koch die Herzogin von York, seine Mutter. Der königliche Mörder ist gescheitert, die Schlacht verloren. Mutter und Sohn stehen sich schweigend gegenüber. Sie hat das Monster geboren, sie muss die Welt von ihm befreien. Ein Tyrannenmord? Aber es ist ihr Sohn, sie kann es nicht. Mit eiserner Energie zwingt sie ihr missratenes Kind zum Selbstmord, Stück für Stück drängt sie den Widerstrebenden zu jener Fallgrube, in der seine Feinde elend umkamen. Sie schafft es. Er springt! Er stirbt! Der neue Herrscher kommt und verspricht Frieden. Das letzte Wort gehört der Mutter: „Amen“! Beschwörend, fordernd und klagend zugleich spricht die Koch dieses Wort und bringt damit die Botschaft unserer Inszenierung auf den Punkt: Es ist genug! Sprach da die Figur, die Schauspielerin? Oder sprachen beide? Ihre Verlässlichkeit und Disziplin sind sprichwörtlich: In den letzten Jahren spielte sie viel, Rollen unterschiedlichster Größe und Möglichkeiten. Manchen erschien sie als meistbeschäftigte Schauspielerin am Haus. Ihre Verlässlichkeit und Disziplin sind sprichwörtlich. Deshalb schließen meine guten Wünsche zu ihrem Geburtstag ihre Gesundheit, ihre Vitalität ausdrücklich mit ein. Wer ihr begegnet und eine Greisin erwartet, täuscht sich. Hannelore Koch wird 70! Na und? *Klaus Dieter Kirst war 1964 bis 2009 Regisseur am Staatsschauspiel Dresden Von Klaus Dieter Kirst