Beatpol Dresden: Chef Carsten Becker im Interview

Nein, dies ist keine „Corona-Serie“! Trotzdem finden die „DNN-Sommerkulturgespräche“ in dieser sehr besonderen Zwischen-Zeit statt. Es geht um einen Status Quo von gestandenen Dresdner Club- und Kinobetreibern, freien Veranstaltern, um ihre persönlichen Gedanken beim Blick zurück, nach vorn und über den Tellerrand hinaus. Carsten Becker, Geschäftsführer im Beatpol Dresden, stand Andreas Körner Rede und Antwort. Frage: Herr Becker, wie lange denken Sie schon darüber nach, den Beatpol als international angesehenen Dresdner Musikclub in die nächste Generation zu bringen, ohne dass wesentliche Wertevorstellungen auf der Strecke bleiben? Carsten Becker: Da gab es keinen festen Zeitpunkt. Ich sehe es als klare Aufgabe an, irgendwann den Wechsel zu vollziehen. Ich glaube, dass dies in der DNA eines jeden Administrativen angelegt ist, der Veranstaltungen organisiert, so wie wir es tun. Es ging bei uns nie darum, einen Club aufzumachen, ihn eine Weile zu betreiben, um ihn dann vielleicht günstig abzugeben und irgendwas anderes zu tun. Das war nie unsere Intention. Bands, die es wert sind – nicht finanziell: Sondern? Dieses Schiff dauerhaft zu steuern. Den Club durch welche wirtschaftlich miese Zeit auch immer zu bringen. Als wir vor über 27 Jahren begannen, war die wirtschaftliche Situation für einen Start denkbar schlecht. Es war aber immer wichtig, uns Menschen an die Seite zu holen, die unsere Idee genau so verstehen und leben wie wir. Was schwierig ist, denn jede Generation hat ihre Eigenheiten und Qualitäten. Da heißt es, sich selbst fortlaufend zu wandeln oder zu erneuern, aber eben der Idee verpflichtet zu sein. Es ist eine Aufgabe. Carsten Becker (58) ist seit 2017 Geschäftsführer und seit 2008 Programmgestalter im Beatpol. Von 1993 bis 2007 war er Vereinsvorstand im beatpol-dresden e.V. www.beatpol.de www.polimagie-festival.de Was braucht es, um im Beatpol anzuheuern? Die Anforderungen, einen Club wie unseren zu führen, haben sich im Laufe der Jahre natürlich verändert. Das Musikgeschäft hat sich auch in unserem Bereich radikal kommerzialisiert. Die Bereitschaft zu Kompromissen muss also zwangsläufig steigen. Andererseits ist eines über all die Zeit gleich geblieben: Flausen im Kopf zu haben und eine elitäre Ausstrahlung nach außen zur Schau zu stellen, vielleicht sogar sich selbst als elitär zu empfinden, darf es nicht geben. Der Blick auf unser Publikum darf nicht verloren gehen, auf Bands, die es wert sind, nach wie vor veranstaltet zu werden, obwohl sie der Kasse vielleicht nie Gewinn bringen. Weil sie eben für eine Kultur stehen, die es braucht. Genau dafür sind wir einst angetreten. Auch das ist eine Aufgabe, die immer wieder neu zu stellen wäre. Ja, ich sehe es an mir. Ich muss mich immer wieder aufrappeln, weil man ja selbst auch verführbar ist, sich von wirtschaftlich guten Jahren täuschen zu lassen, falschen Begehrlichkeiten und der Tendenz zu verfallen, alles, was richtig Geld kostet, aus dem Programm zu werfen. Für uns hieße das, eben kein neues Festival wie das „Polimagie“ anzugehen, keine weiteren Shows im Ostpol oder Special Shows für fünf Euro Eintritt dort beziehungsweise bei uns im Haus zu veranstalten. „Mainstream und Independentkultur vermischen sich offensiver“: Mit Luisa Mühl ist de facto seit 2019, ab diesem Jahr auch offiziell eine junge Frau als zweite Geschäftsführerin im Amt. Welchen Blick auf den Club hatte sie bei Amtsantritt? Eigentlich haargenau den gleichen wie ich. Mehr kann ich dazu gar nicht sagen. Auch Luisa hat es einfach in den Genen. Geht es trotzdem bitte etwas genauer? Sich mit der Aufgabe zu identifizieren. Für sich selbst einen Mehrgewinn zu sehen, der nicht zwangsläufig etwas Materielles bedeutet, also auch die Bereitschaft, sich das Nötige zum Leben notfalls anderswo zu beschaffen. Schlicht, die persönliche Entscheidung zu treffen, dass es niemals zu wichtig werden darf, wie man selbst bei der Sache davonkommt. In den vergangenen 20 Jahren haben sich Geschmacksgrenzen verschoben beziehungsweise aufgehoben. Mischt sich auch das Beatpol-Publikum? Aufs gesamte Monatsprogramm gesehen, ist es ist so. Wir veranstalten heute mehr Konzerte für die so genannte bürgerliche Mitte als früher. Mainstream und Independentkultur vermischen sich offensiver. Unsere kleinere und mittlere Musikbranche wurde dadurch besser finanzierbar. Aber das muss nicht so bleiben. Der Wind kann sich genauso gut wieder drehen. Das eigene Handeln darf dieser Fakt nicht beeinflussen, es geht darum, für jede Phase der Arbeit eine Form zu finden. 27 sehr verschiedene Beatpol-Jahre sprechen eigentlich eine eigene Sprache, dass es uns bislang gelungen ist. Schauburg-Chef Stefan Ostertag im Interview: „Der alten Dame soll es gut gehen“ 25 Jahre Programmkino Ost in Dresden – Die Chefs setzen auf Konstanz und Wertschätzung Die Chefs der scheune Dresden: So geht es mit der Vorplatz-Idee voran Von Rahmen und Horizonten: Der Dresdner Veranstalter Andreas Grosse im Gespräch Das Zentralkino in Dresden startet – Ein Gespräch mit dem Chef „Mit rebellischen Grüßen“ – Ein Blick durch’s Schlüsselloch ins Thalia-Kino Beatpol Dresden: Geschäftsführer Carsten Becker über Corona und die Zukunft Finden Sie noch genügend Partner, beispielsweise unter deutschen Agenten, die Ihre Wertevorstellungen teilen? Meine Altersgruppe ist noch ordentlich vertreten. Und natürlich gibt es unter einigen jüngeren Agenten und Tour-Bookern auch mal eher die Mentalität von Versicherungsvertretern und das Bestreben, in erster Linie einen coolen Job machen zu wollen. Das heißt aber nicht, dass sie uns Ältere nicht mit Respekt und Anstand behandeln würden. Viele Jüngere haben sehr wohl eine Ahnung davon, dass die gestandenen Agenten und Veranstalter vor allem ihre Vision und ihr Idealismus dorthin gebracht haben, wo sie seit vielen Jahren sind. Und dass sie selbst von diesen Säulen, die die Sache tragen, profitieren. Wird es genügend jüngere Menschen geben, die selbst zur Säule werden können? Da bin ich optimistisch. Wenn ich allein auf die teilweise erst 18-jährigen Praktikanten sehe, die in den letzten Jahren im Beatpol waren, wird mir nicht bange. Es müssen nicht viele sein, auch wir waren ja niemals viele. „Manche Konzerte verlege ich gerade das vierte Mal“: Was fehlte Ihnen persönlich in den letzten Wochen besonders? Natürlich Konzerte, Erlebnisse, das Flair im Club, einfach die Belohnung unserer Arbeit, wenn man am Abend selbst vor der Bühne steht. Etwas Luft holen zu können, weil unser Beruf natürlich einem Hamsterrad gleicht, war aber auch nicht schlecht. Immer mit dem Wissen um die enorme Vorlaufzeit in der Konzertplanung: Wie könnte ein Neubeginn aussehen, ohne zu fragen, wann er erfolgen kann? Es klingt immer so leicht, dass jetzt ein irre guter Zeitpunkt sei, Konzepte zu entwerfen… Planung geht gerade überhaupt nicht. Wir sind in Zusammenarbeit mit den Agenten und Künstlern am permanenten Verlegen von Shows. Einmal, zweimal, manche Konzerte verlege ich gerade das vierte Mal. Man schiebt nach hinten, wie weit man es überblicken kann. Für mich ist es eine logische und verständliche Vorgehensweise, denn man kann nur den Schritt gehen, der möglich ist. Punktuell wird es bis zum Jahresende bei uns vielleicht das eine oder andere Konzert geben, aber viele sehe ich da nicht. Werden die ersten Wochen danach vielleicht extrem regional, deutsch, höchstens zart europäisch? Das könnte sein. Keiner weiß, wann es Künstlern aus Übersee wieder möglich sein wird zu reisen. Man darf auch nicht vergessen, dass sich zunächst viele Veranstalter weniger Bands teilen müssen. Die Spreu wird sich auf beiden Seiten vom Weizen trennen und das meine ich nicht einmal negativ. Auf die Qualität wird es gute Auswirkungen haben. Final müssen und wollen wir noch über die „Handwerker“ sprechen, die Konzerte auch im Beatpol erst ermöglichen, Ton- und Lichttechniker zum Beispiel, Stammkräfte für Einlass, Theke, Backstage. Wie geht es ihnen? Vielen geht es nicht gut. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass ihre Anzahl im Zuge von mehr Bands, mehr Veranstaltern und mehr Konzerten ebenfalls gewachsen ist. Im Einzelfall ist es natürlich traurig, aber ich glaube, dass jene, die wirklich mit Herzblut dabei sind, einen Weg finden werden, um dabeizubleiben. Wir hatten alle schon schlechte Zeiten, warum soll es jetzt anders sein? Von Andreas Körner