Deutschland geht es gut – aber trotzdem ist es in einer schwierigen Lage. Wirtschaftlich waren die vergangenen Jahre fantastisch, und in der Flüchtlingskrise war und ist Deutschland ein positives Beispiel – hier hat die Kanzlerin Anstand gezeigt, wie ich es mir von den USA wünschen würde. Die Gefahr ist jedoch, dass Deutschland angesichts seiner Erfolge zu sehr in Zufriedenheit und sogar einem nationalen Egoismus versinkt. In den USA, wo ich lebe, sehen wir mit Donald Trump, wie schnell das passieren und wohin es führen kann. Ich meine, dass wir in Deutschland vor großen Herausforderungen stehen. Wir müssen zum Beispiel sehr viel mehr in die Infrastruktur investieren, in Straßen, Schulen und Universitäten, schnelles Internet. In meinem Bereich, der Wissenschaft, ist viel erreicht worden seit der Zeit, zu der ich in die USA gegangen bin, aber Deutschland muss noch mehr tun. Wir müssen Perspektiven schaffen für begabte junge Wissenschaftler, wir müssen ihnen Stellen und Chancen bieten. Ein Weg wäre, mehr Professuren zu schaffen, auch wenn diese vielleicht geringer ausgestattet sind als bislang; ein anderer, die Grenzen zwischen Schulen und Universitäten durchlässiger zu machen. Deutschland hängt extrem von technologischen Entwicklungen ab, die wiederum ein gutes Umfeld aus Fachhochschulen und Universitäten brauchen und die von mehr Austausch und Förderung profitieren würden – vor allem in der Forschung. Wir brauchen mehr Internationalität, und wir müssen es schaffen, mehr ausländische Talente zu rekrutieren und zu halten. Es ist ein Riesenfehler, auch ökonomisch, sich abzukapseln – aber genau das passiert gerade in vielen Ländern, in den USA und auch in Deutschland. Mehr Weltoffenheit würde dem Land guttun. Thomas Südhof (61), erhielt 2013 den Medizin-Nobelpreis. Er ist Professor in Stanford, USA.