Wie Corona für übervolle Blaue Tonnen in Dresden sorgt

Sie quillt über. Kein bisschen Platz ist mehr in der Blauen Tonne des Mehrfamilienhauses an der Niederauer Straße in der Leipziger Vorstadt. Altpapier landet kistenweise im Restabfall, haben Mieter beobachtet. Kartons stapeln sich neben der Blauen Tonne. Der Papiercontainer an der Bärnsdorfer Straße ist genauso hoffnungslos überfüllt. Was ist da los? Spontaner Rückzug eines Unternehmens sorgte für Stress: Das städtische Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft räumt auf Anfrage der DNN Probleme bei der Abfuhr der Blauen Tonne ein. „Die Gründe dafür sind vielschichtig und betreffen Technik und Personal, veränderte Betriebsabläufe aufgrund der Coronapandemie und die Einbindung neuer Anschlussobjekte nach dem teilweisen Rückzug des Unternehmens Kühl Entsorgung und Recycling GmbH & Co. KG“, erklärte eine Stadtsprecherin. Das private Unternehmen Kühl hatte sich im Oktober 2019 aus der gewerblichen Altpapiersammlung zurückgezogen. Das, so das Amt für Abfallwirtschaft, habe die Schwierigkeiten verschärft. „Vor allem im rechtselbischen Gebiet treten derzeit Probleme bei der Sammlung der Blauen Tonne auf.“ Mit dem „spontanen Rückzug“ von Kühl hätten mehrere tausend Haushalte mit neuen Tonnen bestückt werden müssen. Für die Neugestaltung der Touren seien ein höherer Personalaufwand und mehr Fahrzeuge erforderlich, insbesondere die Technik habe sich in der kurzen Zeit nicht beschaffen lassen. Drähte zum Abfall-Infotelefon laufen heiß: Diese Probleme seien durch die Coronakrise noch verschärft worden. „Wie sich jeder denken kann, fallen in den einzelnen Haushalten deutlich mehr Abfälle als üblich an“, teilte das jetzt dort tätige Entsorgungsunternehmen Remondis mit. Da die Konsumenten in der Zeit geschlossener Läden auf Onlinehandel und Versand umgestiegen seien, seien die Mengen an Kartonagen und Papier deutlich gestiegen. Eine Begleiterscheinung: Die Drähte zum Abfall-Infotelefon laufen heiß. Seien dort 2019 mehr als 1000 Anrufe zur Blauen Tonne eingegangen, wurden allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 769 Anrufe registriert, darunter Beschwerden und Fragen zur An- und Ummeldung der Tonne. Die Entsorgung sei im normalen Rhythmus geleistet worden, jedoch hätten sich Nebenablagerungen bei dem enormen Anstieg der Mengen in den Haushalten nicht gänzlich vermeiden lassen. Was auch daran liege, dass die Empfänger der vielen Pakete die Pappen und Kartonagen teilweise nicht zerkleinert in die Tonnen stopfen würden. Diese sind schneller voll, weitere nicht zerkleinerte Pappen und Karton landen auf oder neben der Tonne. „Diese Nebenablagerungen behindern und verzögern den Leerungsprozess – mit der Folge, dass Tourenpläne nicht eingehalten werden können“, so die Stadtsprecherin. Stadtreinigung bereitet Übernahme der Entsorgung vor: Besserung verspricht sich das Amt von den weitgehenden Lockerungen der Coronarestriktionen und einem höheren Personaleinsatz. „Wir gehen von einem zeitnahen Rückgang der Probleme aus“, heißt es aus dem Rathaus. Ab 1. Juli werde außerdem die Stadtreinigung Dresden (SRD) die Altpapiersammlung an den Wohnhäusern mit der städtischen Blauen Tonne übernehmen. Das beschloss gestern Abend der Stadtrat. „Die Stadtreinigung Dresden bereitet gegenwärtig den Übergang vor“, so die Stadtsprecherin. Dem Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft spielt dabei in die Karten, dass Veolia ab dem 1. Juli die komplette Leichtverpackungssammlung (Gelber Sack) übernimmt. Dadurch werden bei der SRD Kapazitäten an Fahrzeugen und Mitarbeitern frei, die für die Blaue Tonne eingesetzt werden können. „In den vergangenen drei Monaten haben sich die Mitarbeiter der Abteilung Abfuhr verstärkt auf diese neue Aufgabe konzentriert und unter anderem die Tourenplanung vorbereitet“, teilte die Verwaltung gestern auf Anfrage mit. Da der bisher im städtischen Auftrag ausgestellte Behälterbestand der Blauen Tonne unverändert stehen bleibt, muss die Stadtreinigung nur die zusätzlichen Behälter stellen. Zwar gebe es einen Lagerbestand, der ab Juli angezapft werde. Komme es aber durch kurzfristige Kündigungen der bisherigen Entsorger zu höherer Nachfrage, seien Engpässe möglich. Schließlich müsse auch die Stadtreinigung die bis zu sechswöchigen Lieferfristen der Behälterhersteller abwarten. Stadt verzeichnet erhöhte Nachfrage nach Blauen Tonnen: Da die bisherigen Entsorger den Nutzern ihrer Blauen Tonnen seit Tagen ankündigen, die kostenfreie Entsorgung für Privathaushalte zum 30. Juni einzustellen, ist die Nachfrage bei der Stadt schon jetzt erhöht. Im Mai 2020 wurden 333 Bestellungen ausgelöst, ein um 50 Prozent höherer Wert als der Monatsschnitt von 2019. „Darüber hinaus erwarten wir, dass aufgrund des Veolia-Rückzugs bis August vermehrt Bestellungen eingehen“, so die Stadt. Üblicherweise dauere es vier Wochen bis zur Aufstellung, je nach Bestellvolumen und Lieferfrist könne es aber auch länger dauern. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 2654 Blaue Tonnen bestellt, 2020 bislang (Stand: 15. Mai) bereits 2182 Stück – auch dies sei großteils eine Folge des Kühl-Rückzugs. Etwa 32 000 Objekte in Dresden nutzen eine städtische Blaue Tonne. Das ist ein Anschlussgrad von etwa 60 Prozent. „Für die Zukunft gehen wir davon aus, dass der Anschlussgrad moderat steigen wird“, hieß es aus der Verwaltung. Darüber hinaus gebe es im Stadtgebiet 350 Wertstoffcontainer sowie eine Reihe gewerblicher Anbieter, die Altpapier sammeln. Große Pappen nehmen auch die Wertstoffhöfe entgegen. Trotz drastisch gesunkener Margen brachte die Altpapierverwertung der Stadt im Jahr 2019 immerhin die Gesamtsumme von 1,32 Millionen Euro ein. Von Thomas Baumann-Hartwig und Stefan Schramm

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