Bonsoir Tristesse. Die blinden Schaufensterscheiben der alten Kaufhalle verschlucken wie große schwarze Löcher das wenige fahle Licht, das die davor stehenden Laternen in die laue Sommernacht werfen. Nur in der Mitte, dort, wo auf dem Amalie-Dietrich-Platz die Straßenbahnen halten, werden Farben sichtbar. Die Peripherie des Platzes säuft indes in dunklen Grautönen ab. Randbereiche, in denen es sich auch an diesem späten Abend Cliquen junger Leute bequem gemacht haben. Deutsche, Afrikaner und Araber, viele Männer, auch Frauen, sogar Jungen und Mädchen, deutlich jünger als 16 Jahre, sitzen dort, abends gegen elf.
Gorbitz ist eine klassische Trabantenstadt. In der zweiten Reihe, auf den kleinen Straßen zwischen den seit Anfang der 1980er Jahre hochgezogenen Plattenbauten, rollen am späten Abend kaum noch Autos, sind nur noch vereinzelt Menschen unterwegs. Auf einigen Balkonen rücken zumeist ältere Menschen ihre Stühle zurecht. Eine Ruhe, die im starken Kontrast zu dem steht, was sich derweil wenige Hundert Meter weiter auf dem Amalie-Dietrich-Platz abspielt – einem zentralen Ort im Stadtteil, der seit geraumer Zeit für reichlich Negativ-Schlagzeilen sorgt.
Nicht selten stehen die Beteiligten unter Drogen- oder Alkoholeinfluss
Erst vor einer Woche hatte ein 17-Jähriger dort einen 35-Jährigen niedergestochen.
Nur wenige Tage zuvor gingen Libyer und Syrer mit Flaschen aufeinander los. Zwei Menschen werden verletzt, fünf Beteiligte im Alter zwischen 24 und 29 Jahren vorläufig festgenommen. Im Juni war bei einer Schlägerei zwischen zwei Cliquen ein 14-Jähriger krankehausreif geprügelt worden. Nur drei von etlichen, teils schweren Straftaten, die die Polizei hier in den vergangenen Wochen registriert hat.
Die Beamten des um die Ecke gelegenen Polizeireviers Dresden-West an der Julius-Vahlteich-Straße haben den Platz deshalb längst im Blick. Polizeisprecher Stefan Grohme bestätigt die Häufung von Straftaten in dem Bereich, nennt auch die Höhenpromenade und den Merianplatz. „Herausragend sind Delikte der Gewaltkriminalität oder Raub“, so der Sprecher. Und: Nicht selten stehen die Beteiligten unter Drogen- oder Alkoholeinfluss.
Tatsächlich wird abends auf dem Amalie-Dietrich-Platz reichlich Bier getrunken. Eine Gruppe junger Araber reicht sich einen Joint herum. Mit späterer Stunde nimmt auch die Lautstärke zu. Vom Handy wird Musik wiedergegeben, immer wieder hallen laute Rufe und gelegentliches Gegröle über den Platz. Auch, als plötzlich ein mit drei Beamten besetzter Streifwagen mitten auf den Platz rollt, geben sich die Umhersitzenden davon äußerlich wenig beeindruckt.
Die blau-weißen Fahrzeuge des nahen Reviers gehören offenbar schon zum Inventar des Platzes. Innerhalb von nur einer Dreiviertelstunde lassen sich die Beamten gleich zweimal blicken. Auch ein Transporter der städtischen Polizeibehörde fährt auf, leuchtet mit dem gleißenden Scheinwerferkegel das Areal aus. Präsenz zeigen lautet offenbar die Devise.
Warum es immer wieder auf dem Amalie-Dietrich-Platz kracht, können sich derzeit auch die Polizisten nicht mit belastbaren Fakten erklären. Sehr oft spielen sich die Konflikte zwischen Angehörigen verschiedener Volksgruppen ab. Deutsche, Libyer und Tunesier, aber auch Syrer und Tschetschenen seien bei verschiedenen Vorfällen festgestellt worden, sagt Stefan Grohme. „Zu den Hintergründen liegen keine belastbaren Informationen vor.“ Denn oft wollen – oder können – die Beteiligten gar keine Angaben machen.
Eine mögliche Erklärung könnte derweil das anhaltende Sommerwetter liefern – naturgemäß eine Zeit, in der sich vieles auf den Straßen und Plätzen abspielt. „Auffällig“, so sagt Stefan Grohme, „ist zurzeit ein möglicher Zusammenhang zwischen der aktuellen Wetterlage und dem Feststellen von Straftaten im Bereich des Amalie-Dietrich-Platzes.“ Dass der Platz inzwischen zu einem Ausweichort der Kriminellen vom Wiener Platz geworden ist, kann die Polizei so nicht bestätigten. „Für einen direkten Zusammenhang gibt es bisher keine Beweise, wir prüfen das aber.“
Bei Bedarf hilft die Bereitschaftspolizei aus
Geprüft wird unterdessen auch, ob der Amalie-Dietrich-Platz in Gorbitz angesichts der Häufung von Straftaten künftig als sogenannter Gefährlicher Ort eingestuft wird. Bekannte Beispiele dafür sind der Wiener Platz oder der Scheunevorplatz in der Äußeren Neustadt. Dort können die Beamten schon jetzt ohne konkreten Verdacht Personen kontrollieren. „Wir prüfen, ob der Bereich um den Amalie-Dietrich-Platz die rechtlichen Voraussetzungen für einen Gefährlichen Ort erfüllt“, erklärt Polizeisprecher Stefan Grohme.
Aktuell können die Beamten nur Präsenz zeigen – und bei Straftaten reagieren. Bei Notrufen werden entsprechend der jeweiligen Ausgangsinformation „eine angemessene Anzahl“ von Fahrzeugen und Beamten losgeschickt, heißt es von der Polizei. Wie auch in anderen Problemecken in Dresden werden die Beamten des Reviers West bei Bedarf von ihren Kollegen der Bereitschaftspolizei unterstützt.
Immerhin: An diesem Abend bleibt es zumindest bis kurz vor Mitternacht ruhig. Lediglich ein paar Jugendliche bewerfen sich aus Jux mit Kieselsteinen, einige der Geschosse prallen auf eine vorbeifahrende Straßenbahn. Nennenswerte Schäden, so sagt Falk Lösch, Sprecher der Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB), seien bisher mit Blick auf das Geschehen auf dem Platz an den Bahnen aber noch nicht zu beklagen. „Bei Problemen rufen wir sofort die Polizei“, warnt er. Die Beamten halten sich jedenfalls bereit – falls die Lage auf dem Amalie-Dietrich-Platz doch wieder einmal eskalieren sollte.
Von Sebastian Kositz und Uwe Hofmann